Pro Rafael Nadal: Der König hat noch eine letzte Patrone
von Felix Kneidl
Es gibt da eine berühmte Szene, die sich im vergangenen Jahr nach dem French-Open-Viertelfinale zwischen Rafael Nadal und Novak Djokovic abgespielt hat. Der Spanier hatte seinen ewigen Rivalen gerade in vier umkämpften Sätzen geschlagen und ließ sich vom Publikum feiern, als Kommentar-Legende Jason Goodall folgende Worte in sein Mikrofon sprach:
"Nach der Auslosung flüsterte das Schicksal in Rafas Ohr: 'Es zieht ein Sturm herauf'. Und Rafa, ohne zu zögern, flüsterte zurück: 'Hier, in Roland Garros, bin ICH der Sturm'".
Diese 20 Sekunden fassen die Beziehung zwischen Rafa Nadal und dem Turnier auf der roten Asche von Paris perfekt zusammen. Egal, wie angeschlagen er ist, egal, wie sehr in Form die Gegner sind, egal, wenn alles gegen ihn spricht: in Roland Garros ticken die Uhren anders. Hier regiert der Sandplatz-König.
Umso bitterer, dass dieses Jahr eine neue Zeitrechnung beginnt. Zumindest vorerst. Rafael Nadal hat bekannt gegeben, dass er nicht nach Paris reisen wird.
Die Verletzung an der Hüfte, die er sich bei den Australian Open zugezogen hat, ist immer noch nicht auskuriert. Der "Matador" leidet so sehr, dass er sich sogar entschieden hat, die restliche Saison auszusetzen. 2024 steht dann voraussichtlich sein Abschiedsjahr auf der Tour an. Nadal will es dann nochmal wissen und vor allem in seinem geliebten Wohnzimmer in Paris angreifen. Doch, kann das was werden?
Nicht wenige hatten sogar mit seinem sofortigen Rücktritt gerechnet, als er am Donnerstag die Presse an seiner Akademie versammelte. Nadals 36-jähriger Körper streikte in den vergangenen Jahren immer häufiger. Seit der Verletzung im Match gegen Taylor Fritz in Wimbledon war Rafa nicht mehr kompetitiv genug für die absolute Weltspitze.
Und das soll jetzt besser werden, wenn er 2024 als dann 37-Jähriger zurück auf die Tour kommt und dort auf die "Next-Next-Gen" um Rune, Sinner und Alcaraz trifft? Auf den wieder erstarkten Daniil Medvedev? Auf den ewigen Djoker, seinen größten aktiven Rivalen? Ich verstehe jeden, der da müde lächelnd abwinkt. Trotzdem sage ich: ja!
Rafael Nadal: Nicht zum ersten Mal als Underdog erfolgreich
Die Pause, die Nadal sich und seinem geschundenen Körper jetzt gibt, kann genau richtig sein, um die nötige Kraft zu tanken für den letzten Tanz des Matadors. Auch mental. Wenn er sich nicht von einem Trainings-Rückschlag zum anderen hetzt, sondern mal komplett abschaltet. Dass sein Kampfgeist ungebrochen ist, unterstrich der 22-fache Grand-Slam-Sieger selbst:
"Ich werde versuchen, mein letztes Jahr nicht nur zu einer Party zu machen, sondern auf höchstem Niveau zu spielen und mir die Möglichkeit zu geben, auf der Sandplatztour Turniere zu gewinnen."
So, wie er es bereits bei seinem großen Comeback 2022 geschafft hatte. Auch damals kehrte Nadal nach sechsmonatiger Wettkampfpause auf die Tour zurück, war komplett abgeschrieben, startete das Jahr dann mit einer Bilanz von 20:0 und holte sich dabei in Melbourne seinen 21. Major-Titel. Der vielleicht größte Triumph seiner Karriere.
Als ihn mit einer gebrochenen Rippe und dem maladen Fuß wieder zwei Verletzungen stoppten, kehrte Nadal im Mai als angeschlagener Underdog nach Paris zurück - und holte am Ende dennoch zum 14. Mal den Titel. Seine Bilanz in Paris? 112:3. Nochmal: Hundertzwölf zu drei. So jemanden schreibt man nicht ab!
Rafael Nadal: Seine Grand-Slam-Titel im Überblick
Australian Open | French Open | Wimbledon | US Open |
2009, 2022 | 2005-2008, 2010-2014. 2017-2020, 2022 | 2008, 2010 | 2010, 2013, 2017, 2019 |
Man kann noch weiter zurückgehen. 2012 besiegte er Djokovic in Roland Garros, nachdem er zuvor drei Grand-Slam-Finals in Folge gegen den Serben verloren hatte. Nole hatte den Rafa-Code scheinbar geknackt - außer im Finale von Paris.
2020 sprach wieder alles gegen ihn: Das Turnier war in den kalten Oktober verschoben worden, im Finale wurde das Dach geschlossen und am Ende verpasste Nadal dem Djoker dennoch eine Abreibung in drei Sätzen. Wieder mal setzte Rafa sich gegen alle Widerstände durch.
Es ist dieser unfassbare Kampfgeist, gepaart mit einer gnadenlosen, peitschenden Vorhand und der für Nadal scheinbar magischen roten Asche von Paris, die mich an das letzte große Comeback glauben lassen. Titel Nummer 15 ist möglich.
2024 wird der Mallorquiner während des Turniers seinen 38. Geburtstag feiern. Es wird also mal wieder alles gegen ihn sprechen.
Ja, Vater Zeit ist unbesiegt und wird es ganz am Ende auch bleiben. Aber Rafael Nadal Parera wird ihm den Kampf seines Lebens liefern.
Contra Rafael Nadal: Rafa hatte seinen magischen Moment schon
von Stefan Petri
Oh weh, Felix: Jetzt muss ich hier den Spielverderber geben. Dabei schlägt auch in mir das Herz eines Romantikers - und Nadal zum 15. Mal mit dem Coupe des Mousquetaires in seinen Händen, da würden nicht viele Augen trocken bleiben.
Wie kann man bloß gegen Rafa setzen? Wir wissen doch, dass das Alter spätestens in der Ära der "Big Three" nur eine Zahl ist. Es würde mich nicht wundern, wenn er bei den Buchmachern trotz seiner Absage am Donnerstag immer noch Favorit auf den Titel wäre, so dominant spielt er in Paris.
Zumal ein Jahr Pause beim Lieblingsturnier nichts heißen muss: Nole hat es im Januar bei den Australian Open vorgemacht, nachdem er 2022 noch in Schimpf und Schande des Landes verwiesen worden war. Auch wenn die Schwierigkeiten bei Djokovic eher psychologischer als physischer Natur waren.
Dennoch befürchte ich, dass wir Nadal zum letzten Mal als Grand-Slam-Champion gesehen haben. Da wäre eben nicht nur sein Alter zu nennen, sondern auch die unglaublich vielen Meilen, die er bereits auf dem Tacho hat. Im Juni 2024 wird er nicht nur 38 sein, sondern ein 38-Jähriger mit einer exorbitanten Verletzungshistorie, der jahrelang mit Schmerzen gespielt hat.
Natürlich wird die Pause helfen, aber jünger werden wir nun mal alle nicht mehr, auch Rafa nicht. Und um wirklich in Form zu kommen für potenziell siebenmal fünf Sätze, dafür wird auch er Vorbereitungsturniere brauchen. Im nächsten Frühjahr wird er über einen Zeitraum von fast zwei Jahren kaum gespielt haben. Das ist auch für ihn zu viel.
Mal ehrlich: Eigentlich ist es ein Wunder, dass Nadal überhaupt so lange auf allerhöchstem Niveau gespielt hat, bei dieser kräftezehrenden Spielweise und den vielen Verletzungen.
Rafael Nadal: Die Konkurrenz ist zu stark
Nun gut: Rafa ist Rafa, die French Open sind sein Wohnzimmer. Selbst auf einem Bein könnten ihn dort wenige schlagen - und viele haben es versucht. Aber, und das ist der zweite Punkt, der gegen ihn spricht: Die Konkurrenz wird immer stärker.
Damit meine ich nicht nur Djokovic. Auch der Serbe wird irgendwann dem Alter Tribut zollen müssen. Aber ein Carlos Alcaraz ist schon jetzt der beste (Sandplatz-)Spieler der Welt - wie wird das erst nächstes Jahr aussehen? Diesmal kann sich Carlitos mit dem Status als Favorit vertraut machen, 2024 wäre er mehr als bereit für das Duell mit Nadal, selbst auf dem Philippe Chatrier. Es ist ja auch nicht so, als hätte er Nadal nicht schon auf Sand besiegt.
Wer weiß, wer bis 2024 noch dazukommt. Jannik Sinner ist ein brutales Talent, vielleicht findet Alexander Zverev wieder in die Spur und sogar Daniil Medvedev scheint sich so langsam mit der roten Asche anzufreunden. Gegen Casper Ruud würde ich auch 2024 noch auf Nadal setzen - aber ich bezweifle, dass der wieder im Finale warten würde ...
Rafael Nadal: Ein Abschied wie bei Roger Federer?
Bei den ganz Großen ihrer Zunft sollte man nie gegen ein letztes großes Hurra setzen. Ich erinnere mich noch an den US-Open-Erfolg von Pete Sampras 2002, als ihn niemand mehr so wirklich auf der Rechnung hatte. Es gibt sie, diese magischen Momente.
Aber ich glaube, Nadal hatte seine schon. 2022, wie du es so schön beschrieben hast, mit dem unfassbaren Erfolg Down Under und später mit seinen 14. French Open, Sieg über Djokovic inklusive.
Mir fällt als Parallele Roger Federer ein. Seine zwei Grand-Slam-Siege 2017, dann noch einmal die Australian Open 2018, mit 36. 2019 wollte er es dann noch einmal in Wimbledon wissen - auch mit fast 38 übrigens. Er hatte im Finale sogar Matchbälle, aber am Ende war mit Djokovic genau der ein kleines bisschen besser, der ihn als Rasenkönig ablösen sollte. Der letzte erwartete Anlauf in Wimbledon blieb 2022 dann aus.
Ich glaube nicht, dass es Nadal so ergehen wird. Wir werden ihn noch einmal auf dem Platz sehen. Aber selbst wenn er sich noch einmal zu alter Größe aufschwingen solle, wird am Ende dann doch ein anderer ein kleines bisschen besser sein.