Sein alter Rivale Gatlin aus den USA - mehrfach in seiner Karriere des Dopings überführt - gewann Gold mit 9,92 Sekunden. Dritter wurde sein Landsmann Christian Coleman (9,92).
Gatlin wurde nach seinem Sieg ausgebuht, der 35-Jährige richtete mehrfach den Zeigefinger auf den Mund in Richtung des Publikums. Vor zwölf Jahren war Gatlin schon einmal Weltmeister, seither hatte er Bolt vergeblich gejagt. Nun weinte Gatlin hemmungslos, er ging vor Bolt auch auf die Knie und huldigte dem Supermann der vergangenen Jahre.
"Ich habe versucht, mich so gut wie möglich zu konzentrieren. Es ist absolut surreal, jetzt gewonnen zu haben. Obwohl ich gewonnen habe, ist dass der große Moment von Usain Bolt", sagte Gatlin bei Eurosport: "Er ist der größte Champion aller Zeiten. Ich danke Usain dafür, dass er zu Zeiten meiner eigenen Karriere gelaufen ist. Er hat mir (nach dem Rennen, Anm. d. Red.) gesagt, dass ich es nicht verdient habe, so ausgebuht zu werden.
Das 100-Meter-Finale von London war Bolts letztes großes Einzelrennen, nach den Titelkämpfen beendet der achtmalige Olympiasieger seine Karriere. 2009, 2013 und 2015 hatte Bolt WM-Gold über die prestigeträchtigen 100 m gewonnen, 2011 war er wegen eines Fehlstarts disqualifiziert worden.
Bolt erwischt schwachen Start
Bolt wollte mit aller Macht ungeschlagen in Rente gehen, doch es hat nicht sollen sein: Mit mittlerweile 30 Jahren fiel sein sonst so unwiderstehlicher Schlussspurt diesmal deutlich weniger kraftvoll aus. Dabei hatte sich der Weltrekordler und Olympiasieger trotz einer holprigen Vorbereitung zuletzt gesteigert und äußerst selbstbewusst präsentiert. Doch wie im Vorlauf erwischte Bolt wieder einen schwachen Start - trotzdem ließ er sich ausgiebig feiern.
"Es ist Zeit loszulegen. Also lasst uns loslegen", hatte Bolt vor dem Finale gesagt: "Wenn ich bei einer Weltmeisterschaft antrete, solltet ihr wissen, dass ich vollstes Vertrauen in mich habe. Ich bin bereit." Doch es hatte sich schon angedeutet, dass Bolt in diesem Jahr schlagbar sein könnte.
Der Körper machte dem Schlaks wieder einmal zu schaffen, Bolt war nur als Nummer sieben der Welt an die Themse gereist. Wie schon vor Olympia in Rio ließ er sich im Vorfeld zwar erneut in München von seinem Lieblingsarzt Dr. Hans-Wilhelm Müller-Wohlfahrt am maladen Rücken behandeln, doch die Probleme blieben offenbar zu groß. Bolt wurde schneller, aber nun war er wirklich zu stoppen.
Coe vergleicht Bolt mit Muhammad Ali
Und seine Fans konnten es nicht glauben. Bolt ist nach wie vor die größte Nummer der Leichtathletik, er faszinierte die Massen nach wie vor, er brauchte nur mit den Augen zu zwinkern und das Publikum grölte. Keine Frage, Bolt wird der Leichtathletik auch als geschlagener König fehlen.
"In meinem ganzen Leben habe ich noch keinen Sportler - neben Muhammad Ali - erlebt, der die Menschen so in seinen Bann gezogen hat", hatte Weltverbands-Präsident Sebastian Coe vor dem Finale gesagt: "Ich bin großer Boxfan, daher wage ich diesen Vergleich: Damals, als Ali aufgehört hat, fragten sich auch alle plötzlich, wer ihm nachfolgen, wie es weitergehen werde. Das gleiche Szenario erlebt jetzt die Leichtathletik, weil Bolt abtreten wird. Die Antwort ist: Du ersetzt weder Ali noch Bolt!"
Raphael Holzdeppe im SPOX-Interview: "Würde Bolt nicht mit Ali vergleichen!"
Bolt selbst verspürt nach eigenem Bekunden keinen Bammel vor der Rente. "Es wird eine Freude sein, sich zurückzulehnen" und "sich zu erinnern", sagte er. Was er vermissen wird? "Die Menge im Stadion. Das Training werde ich definitiv nicht vermissen." Bolt hat schon angekündigt, auf dem Oktoberfest in München jetzt "mehr Biersorten ausprobieren" zu wollen. Und Kinder will Bolt haben, "ganz sicher".