Ein Hauch Königsklasse oder nur ein "Formel-1-Plagiat"? Die Meinungen über die DTM 2013 gehen dank DRS und Co. mal wieder auseinander. Hans-Werner Aufrecht, Chef der Deutschen Tourenwagen-Masters, sieht die technischen Innovationen positiv: "Die Formel 1 hat es vorgemacht, und wir haben gesehen, was da möglich ist." Der Ehrgeiz, das Produkt DTM weiterzuentwickeln und besser zu vermarkten, ist deutlich erkennbar.
In den nächsten Jahren sollen neue Hersteller die Tourenwagen-Bühne betreten - Honda, Nissan und Toyota könnten bereits 2015 das Markentrio erweitern. Der DTM-Rechteinhaber ITR einigte sich zudem mit dem amerikanischen Serienbetreiber GRAND-AM auf eine Zusammenarbeit. Ergebnis: Eine amerikanische Version nach DTM-Reglement in den Staaten.
Auch eine WM nach Fußball-Champions-League-Vorbild ist für 2016 angedacht. In einem Rennen der Kontinentalmeister sollen die Fahrer den Weltmeister ausmachen. "Das Finale kann dann überall auf der Welt stattfinden: Abu Dhabi, Shanghai oder New York", so BMW-Motorsportchef Jens Marquardt im "Focus". Doch auch dieses Jahr gibt es einige Neuerungen.
Die Fahrzeuge:
Von den Serienfahrzeugen steckt in den über fünf Meter langen und fast zwei Meter breiten Geschossen fast gar nichts. Die Boliden der drei Hersteller bestehen aus rund 11.000 Einzelteilen. Allein etwas mehr als 6000 Teile entfallen auf den gewaltigen 500 Nm Drehmoment starken 4-Liter-Motorblock. Diese V8-Aggregate befeuern die nur knapp 1100 Kilogramm schweren Leichtbauten mit bis zu 500 Pferdestärken.
Um die Kosten zu senken, haben sich die Hersteller auf 50 Einheitsteile geeinigt. Zu den gemeinsam entwickelten Elementen zählen teure und wichtige Elemente wie das gesamte Kohlefaser-Monocoque, der Heckflügel sowie die Antriebswellen. Die Fahrzeuge sind Hightech pur. Rund sieben Kilometer (!) Kabel sind in jedem Wagen verlegt. Neu ist die Schaltung. Der Schalthebel wurde abgeschafft. Die Piloten wechseln die Gänge künftig über Schaltwippen am Lenkrad.
Das Reglement:
Im Vorjahr wurde das Punktesystem an die Formel 1 angepasst. Die Staffelung vom Sieger bis zum Zehnten lautet fortan 25-18-15-12-10-8-6-4-2-1 Punkte. Doch das ist nicht das einzige zur Königsklasse analoge Element. Wie im Vorjahr stehen die Fahrzeuge auf brachialen 300 Millimeter (vorne) beziehungsweise 320 Millimeter (hinten) Hankook-Reifen. Einen immensen Unterschied gibt es bei den 18-Zoll-Walzen zum Vorjahr.
Nach Formel-1-Vorbild hat die DTM neue Optionsreifen eingeführt. Den Herstellern steht pro Rennen ein Satz der gelb markierten weicheren Gummimischung parat. Diese baut verhältnismäßig schnell ab, soll jedoch bis zu 1,5 Sekunden schnellere Rundenzeiten ermöglichen. Zum anderen wird auch der verstellbare Heckflügel abgekupfert. Das als DRS (Drag Reduction System) bekannte pneumatisch gesteuerte System soll Überholmanöver erleichtern.
Beträgt der Rückstand auf der Start-und-Ziel-Geraden auf den Vordermann weniger als zwei Sekunden, erhält sein Bolide über das Marshalling-System der Rennleitung ein Signal. Innerhalb des nächsten Umlaufs darf der Fahrer das DRS einmal aktivieren. Der Heckflügel wird um 15 Grad flacher gestellt, der Luftwiderstand sinkt und der Wagen wird auf der Geraden rund fünf bis sieben km/h schneller.
Streitpunkt Stallorder:
Teamwork unter den Einzelkämpfern? Die Stallorder ist seit jeher der Zankapfel des Motorsports. Zur neuen Saison wurden teaminterne Absprachen legalisiert. Die Teamorder war in den letzten Jahren trotz Verbots häufig missachtet worden.
Das Rennwochenende:
Auch im Ablauf der Events hat sich etwas verändert. Der Zeitplan wurde deutlich enger und kompakter gestaltet, statt drei Tagen ist die DTM zur Zweitagesveranstaltung geschrumpft. Das Freitagstraining und das Warm-up am Sonntagmorgen entfallen. Ein 90 minütiges Training am Samstag muss den Fahrern und Ingenieuren reichen, um die optimale Abstimmung zu finden. Zwischen Qualifying und Rennen darf das Setup nicht mehr verändert werden.
DTM-Legende Bernd Schneider im SPOX-Interview
Die Rennen:
Die Saison beginnt und endet auf dem Hockenheim-Ring. Insgesamt finden sechs der zehn Rennen auf deutschem Boden statt. Mit dabei ist neben dem Lausitz-, Noris- und Nürburgring auch die Kultstrecke in Oschersleben.
Des Weiteren macht die DTM wie gewohnt Abstecher nach Großbritannien (Brands Hatch), Österreich (Spielberg) und zur Dünenstrecke in den Niederlanden (Zandvoort). Aus dem Rennkalender gestrichen wurde das Rennen in Valencia sowie das Show-Event im Münchner Olympiastadion. Neu ist der DTM-Export nach Russland. Zum ersten Mal trägt die Rennserie ein Rennen auf dem Moskau Raceway aus. Ebenfalls neu: Statt wie gewohnt um 14.00 Uhr findet der Rennstart 2013 bereits um 13.30 Uhr statt.
Die Fahrer:
Die Verhältnisse in der DTM haben sich verschoben. Während die Begeisterung bei BMW gefühlt grenzenlos ist und die Münchner die Anzahl ihrer eingesetzten Fahrzeuge von sechs auf acht erhöht haben, schlägt Mercedes einen radikal anderen Weg ein. Nur noch sechs Mercedes AMG C-Coupes werden die Stuttgarter einsetzen. Die Verantwortlichen um Motorsportchef Toto Wolff trennten sich von den Routiniers David Coulthard (42) und Ralf Schumacher (37). Der Altersschnitt wurde grundlegend verjüngt und sank von 29,1 (2012) auf 23,7 Jahre. Die Mercedes-Talentschmiede schickt mit Pascal Wehrlein (18) den jüngsten DTM-Fahrer aller Zeiten auf den Asphalt. Die Ingolstädter von Audi setzen nach einer verkorksten letzten Saison auf eine breit aufgestellte Leistungsspitze.
Die Favoriten:
Die Testzeiten aus Barcelona und Hockenheim machen eine Saisonprognose schwierig. Bei den Testfahrten entschied die Tagesform. Ein klares Bild zeichnet sich nicht ab - kein Fahrer fuhr an mehreren Tagen Bestzeiten. Dennoch: Die Tendenz spricht für BMW, denn die Münchner präsentierten sich geschlossen schnell und absolvierten die meisten Testrunden. Über den Titel wird vor allem die Konstanz entscheiden. Bei nur zehn Saisonläufen kann nur derjenige den Thron besteigen, der beständig in die Punkte fährt.
Topfavorit auf den Titel ist sicherlich der Vorjahresmeister Bruno Spengler vom BMW Team Schnitzer. Im Debütjahr von BMW eroberte der Kanadier im letzten Rennen trotz zweier Saisonausfälle den Titel. Der 29-Jährige will den Dreifachtriumph in der Fahrer-, Team- und Markenwertung wiederholen. Für Spengler spricht eine materialschonende Fahrweise.
Mercedes setzt nach dem Abgang von Jamie Green alle Karten auf einen Fahrer. Lediglich Gary Paffett kann ernsthaft um den Titel mitfahren. Der DTM-Champion von 2005 bekommt ein explizit auf ihn abgestimmtes Team zur Seite gestellt. Letztes Jahr verlor der Brite die Führung der Gesamtwertung im letzten Rennen. Dieses Jahr ist Paffett wohl motivierter denn je, den Meistertitel zum zweiten Mal zu gewinnen.
Die Voraussetzungen bringt der 32-Jährige mit. Kaum ein anderer Fahrer ist so auf das Renngeschehen fokussiert. Biss, Nervenstärke und fahrerische Klasse garniert mit einer hochgradig ausgeprägten Comebackfähigkeit. Kein anderer aktiver DTM-Fahrer hat mehr Siege auf dem Konto (18). Die "Ein-Mann-Strategie" bedeutet für Mercedes jedoch auch ein hohes Risiko. Sollte der Saisonstart des Briten nicht nach Maß verlaufen, die Technik streiken oder Paffett in unnötige Kollisionen verwickelt werden, droht dem Unternehmen mit dem Stern ein Krisenjahr.
Die Leistungsdichte der DTM ist bemerkenswert. Neben Spengler und Paffett können weitere Fahrer den ganz großen Coup schaffen. Die Münchner setzen vor allem auf Martin Tomczyk. Der Hüne unter den Rennfahrern (1,88 Meter) hatte letztes Jahr vor allem gegen Saisonende jede Menge Pech und Pannen. Drei Ausfälle in den letzten vier Rennen verhinderten eine bessere Gesamtplatzierung als Rang acht. Der Meister von 2011 ist nach Timo Scheider (Debüt: 2000) der erfahrenste DTM-Pilot (2001).
Audi-Motorsportchef Dr. Wolfgang Ullrich war nach der letzten Saison enttäuscht. Die Ingolstädter konnten nicht in den Titelkampf eingreifen. Rockenfeller, Mortara und Ekström beendeten die Saison zwar auf den Gesamträngen vier, fünf und sechs, den eigenen Ansprüchen konnte das aber nicht genügen. Audi rekrutierte neue Ingenieure und Techniker und entwickelte den Audi RS 5 entscheidend weiter.
Mit Neuzugang Jamie Green hat Audi zudem jede Menge Qualität hinzugewonnen. Gewöhnt sich der Gesamtdritte des letzten Jahres schnell an das neue Fahrzeug, dann ist der Brite ein ganz heißer Bewerber auf den Titel. Green fährt seit 2005 in der DTM und überzeugt durch einen eher unauffälligen, aber effizienten Fahrstil. Nur Green konnte 2012 in allen zehn Rennen in die Punkte fahren - Konstanz pur!
Auch der schwedische Gesamtsieger von 2004 und 2007, Mattias Ekström, kann in den Titelkampf eingreifen - sollte die Formkurve nach zwei schwächeren Jahren wieder nach oben zeigen.
Für eine große Überraschung im Wetteifern der gestandenen Piloten könnte der 26-jährige Edoardo Mortara sorgen. 2011 gab der gebürtige Genfer sein Debüt. Kein Fahrer lernte bis dato so schnell, niemand zeigte so viel Entschlossenheit und Ehrgeiz von Beginn an. 2012 fuhr der Audi-Pilot in Spielberg und Zandvoort zum Sieg, auf dem Nürburgring reichte es zu Platz zwei.