Vor zehn Monaten beim WM-Waterloo in Shanghai hatte Steffen ihren Sportlerausweis noch verschämt und frustriert wie einen Blickschutz benutzt. Doch bei der EM in Debrecen ist die 28 Jahre alte Berlinerin wieder guter Dinge - und lässt sich die gute Stimmung auch nicht von ihrer bescheidenen Zeit beim Staffelgold verderben.
"Ich werde bei meinen Einzelstarts keine Chance auf den Titel haben", sagte Steffen trotz Vorlaufbestzeit über 100 Meter Freistil am Dienstagmorgen. Sie verkündete diese eigentlich ernüchternde Erkenntnis nicht mit betretener Mine, sondern mit einem Lächeln. Das hat seinen Grund: Steffen bestreitet die kontinentalen Titelkämpfe in der ungarischen Provinz aus dem vollen Training. Der Fokus liegt auf Olympia in zwei Monaten in London. Ein möglicher Misserfolg bei der EM ist eingeplant.
"Ich habe meine Beine kaum noch gespürt"
Am Tag unmittelbar vor dem EM-Auftakt hatte Steffen noch zwei kräftezehrende Trainingseinheiten absolviert. 4.000 Meter Grundausdauer, dazu eine Serie 30 mal 50 Meter Sprints. Das schlaucht. "Ich habe meine Beine kaum noch gespürt", erklärte Steffen. Dass sie als Startschwimmerin der 4x100 Meter Freistilstaffel deutlich über der Grenze von 54 Sekunden blieb und damit wesentlich langsamer war als bei den deutschen Meisterschaften eine Woche zuvor in Berlin, ist nachvollziehbar.
Den Lorbeer für den Triumph der Golden Girls wollte Steffen deshalb auch nicht für sich beanspruchen. "Dass es zum Sieg gereicht hat, war vor allem der Verdienst von Schluss-Schwimmerin Daniela Schreiber", sagte Steffen. Mit diesem Ausspruch bewies sie auch Größe. Es war eine Geste, die zeigt, dass Steffen im Augenblick mit sich im Reinen ist.
Zwei Stunden Dopingkontrolle statt Titelfeier
Da verhält es sich mit Paul Biedermann als zweiter Hälfte des deutschen Schwimm-Traumpaares schon etwas anders. Auch Biedermann kann nach seinem Sieg über 400 Meter Freistil als Europameister nach London fahren. Doch hinter dem Leistungsvermögen des 25-Jährigen aus Halle/Saale steht ein Fragezeichen.
Es spricht für Biedermann, dass er trotz des Titels selbstkritisch blieb. Als "blöd" bezeichnete er sich, da er das Rennen auf den ersten 200 Metern "verpennt" habe. Es ist nicht das erste Mal, dass ihm dies passiert ist. Also schrieb sich Biedermann auf die Fahnen, künftig doch bitte schön "frühzeitiger aus der Hüfte zu kommen".
"Feiern kann ich noch in London"
Auf eine kleine Siegesfeier verzichtete Biedermann. Das "Partyprogramm" bestand aus zwei Stunden Dopingkontrolle, dann Essen, Massage und Schlafen.
"Feiern kann ich noch in London. Das wäre auch der passendere Rahmen", sagte Biedermann. Hoffnung gibt ihm der wieder einmal fulminante Schlussspurt. Dass er die Olympia-Norm nicht unterbieten konnte und vom "Freilos" Gebrauch machen muss, wertete er als gutes Omen.
"Das war letztes Jahr auch so - und am Ende habe ich bei der WM auch über 400 Meter Bronze gewonnen", sagte Biedermann, der als letzten Formcheck für Olympia wohl noch einen Start in Paris einstreuen wird. Und er gilt ja als Kämpfertyp, der sich gegen starke Konkurrenz stets zu steigern weiß. So soll es in London auch sein. Es gibt leichte Zweifel, aber noch lange keinen Grund zur Panik.