Zeit für Rock'n'Roll

Von Jannik Schneider
Bei den ATP-Finals in London mischen die aktuell acht besten Spieler der Weltrangliste mit
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4. Gael Monfils (Gruppe Ivan Lendl)

Die Zuschauer in London dürfen sich erstmals auf einen der besten Shotmaker und den vielleicht beeindruckendsten Athleten freuen, den der Tennissport je gesehen hat. Der Grund: Gael Monfils hat das beste Jahr seiner bewegten Karriere hingelegt. Gestartet ist er von Position 25 - in dieser Woche rangiert der Franzose auf Platz sechs.

Der Davis-Cup-Spieler sicherte sich in Washington seinen größten Individualtitel und erreichte in mOMACO sein erstes Masters-Finale seit sechs Jahren. Gegenüber der ATP bekannte er vor Wochenfrist: "Die Leute vergessen, dass wir irgendwann erwachsen werden. Ich bin jetzt 30 geworden und habe auf viele Dinge eine andere Sicht."

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Die weise Einsicht half seinem neuen Coach Mikael Tillström individuelle Abläufe in der Vor- und Nachbereitung von Turnieren zu verbessern. Zwar ist Monfils immer noch nicht besessen von Regeln. Aber die Einsicht im Alter half, den nächsten Schritt zu gehen.

Die Konsequenz war der Halbfinaleinzug bei den US Open. Und auch, wenn es im Herbst etwas ruhiger um den Franzosen wurde und er zuletzt wegen einer leichten Hüftverletzung pausieren musste, ist einiges von ihm zu erwarten. "Ich fühle, dass mein Spiel nicht weit von der Spitze entfernt ist und ich bin voller Hoffnung, das in London unter Beweis zu stellen", so Monfils. In der etwas leichteren Gruppe wird Monfils sich hinter dem Djoker durchsetzen.

3. Novak Djokovic (Gruppe Ivan Lendl)

Wer nach dem gewonnenen French-Open-Finale den weiteren Saisonverlauf des Serben skizziert hätte, wäre mit großer Wahrscheinlichkeit auf einheitliches Unverständnis gestoßen. Doch tatsächlich fiel der Djoker erst in ein mentales, dann in ein spielerisches Loch.

In diesem Zeitraum überraschte er mit mehreren Interviews, in denen er offene Einblicke in sein Seelenleben gewährte. Der Branchenprimus hat - wohlgemerkt auf extrem hohem Niveau - zeitweise seine Balance verloren, was dazu führte, dass er begann, alle Komponenten seines Umfelds zu hinterfragen. Dazu gehört auch, ob er im kommenden Jahr weiter mit Boris Becker arbeiten wird. Diese Überprüfungen helfen ihm kurzfristig bei den Finals allerdings gar nichts.

Die Halbfinalniederlage vor Wochenfrist in Paris gegen Marin Cilic und der Verlust der Nummer eins werden ihm langfristig neuen Ehrgeiz eingehaucht haben. Kurzfristig wird er sein Spiel aber nicht von 90 Prozent an die absolute Leistungsgrenze heben können. Dazu ist er nicht der Typ.

Der Djoker benötigt Balance, Stabilität, eine hohe Quote und das Selbstvertrauen, diese Eigenschaften mit einer Leichtigkeit fehlerfrei gegen jeden Gegner der Welt einsetzen zu können. Die fehlt ihm momentan und deswegen wird er spätestens in einem möglichen Halbfinale gegen Wawrinka Probleme bekommen.

Immerhin versprühte der Superstar unter der Woche wieder Optimismus. In den sozialen Medien postete er ein Trainingsfoto garniert mit den Worten: "Raus aus den Federn. Es ist Zeit für Rock'n'Roll". Doch bereits in der Vorrunde wird der Djoker Schwerstarbeit verrichten müssen.

2. Stan Wawrinka (Gruppe John McEnroe)

Bereits im Panel auf SPOX nach dem gewonnenen US-Open-Finale gegen Djokovic erklärte der Ex-Profi Alex Antonitsch: "Wawrinka ist einer der wenigen Spieler, vor dem jeder Respekt hat und der ein Schlagrepertoire besitzt, um einen Djokovic zu schlagen."

Zwei Monate später muss man diesen Satz auf Andy Murray ausdehnen. Als dreifacher Grand-Slam-Champion hat Stan alles, um auch die ATP-Finals erstmals zu gewinnen.

Der Schweizer ist einer der wenigen Akteure auf der Tour, bei dem die aktuelle Form eine etwas untergeordnete Rolle in der Bewertung spielen darf. Zugegeben: Seit dem Titel in New York wurde es etwas ruhig um die Nummer drei der Welt. In St. Petersburg erreichte er noch das Finale (Niederlage gegen Alexander Zverev). Danach folgten unerwartete Pleiten unter anderem gegen Mischa Zverev und zuletzt gegen Jan-Lennard Struff.

Doch Wawrinka liebt die große Bühne, auch, weil er sich über die Jahre mental konsequent gesteigert hat und mittlerweile über eine beeindruckende Final-Bilanz verfügt. Behält er gegen den formstarken Cilic in der Gruppe die Oberhand, ist das Halbfinale gebucht. Dann würde es wohl zum hochinteressanten Duell gegen Djokovic kommen. Der 31-Jährige hätte dabei beste Chancen, die Oberhand zu behalten.

1. Andy Murray (Gruppe John McEnroe)

Viele Fans von Roger Federer haben sich jahrelang über das angeblich limitierte Konterspiel des Schotten lustig gemacht, mit welchem er gegen Federer und Djokovic dauerhaft nicht konkurrenzfähig sei. Im November 2016 grüßt er von der Spitze der Weltrangliste.

Und das völlig zurecht: Murray hat seit dem verlorenen French-Open-Finale noch ganze zwei Einzel abgeben müssen (eines davon im Davis Cup). Zuletzt gewann er vier Turniere in Serie. Der 29-Jährige wirkt trotz der langen Saison mit vielen Spielen körperlich topfit, was dem Fitnessprogramm zuzuordnen ist, das Murray um den Jahreswechsel regelmäßig abspult. Tommy Haas bezeichnete die Umfänge und Intensität Murrays in der Vorbereitung einst als unmenschlich.

Doch Murray hat auch deswegen sein Spiel perfektioniert. Mental strotzt er naturgemäß in diesen Wochen vor Selbstvertrauen. Ein Gegner auf absoluter Augenhöhe stellt sich ihm unter normalen Umständen momentan nicht in den Weg.

Murray kann und wird das Turnier beherrschen und letztlich für sich entscheiden. Ein Schwächeln erscheint unrealistisch. Der Schotte wird seine neue Vormachtstellung zumindest bis zu den Australian Open zementieren.

Die ATP-Finals im Überblick

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