Gerade einmal fünf Wochen ist es her, dass der frühere Halbschwergewichtsmeister der Ultimate Fighting Championship, Tito Ortiz, sein Karriereende eindrucksvoll abwandte.
Aufgrund einer nie dagewesenen Verletzungsserie wird er nun in Philadelphia wieder ins Octagon steigen - und zwar gegen einen alten Bekannten: Rashad Evans. Evans, der Sieger der zweiten Ultimate Fighter-Staffel, traf vor vier Jahren schon einmal auf den "Huntington Beach Badboy". Damals gewann Ortiz die ersten beiden Runden, während Evans die dritte Runde für sich entscheiden konnte. Wegen eines Punktabzugs gegen Ortiz endete der Kampf jedoch einstimmig unentschieden und damit denkbar unbefriedigend.
Ortiz auf dem Weg zurück
Die Karrieren der beiden Männer haben sich seitdem diametral entwickelt: Evans wurde Weltmeister im Halbschwergewicht, während Ortiz immer mehr abbaute und zuletzt mehrfach den Rücktritt nahegelegt bekam. Mit dem sensationellen Erstrundensieg gegen Ryan Bader im Juli sicherte Ortiz nicht nur seinen Verbleib in der Königsklasse des MMA-Sports, sondern er zog sich auch am eigenen Schopf aus dem Abgrund, den man "Selbstzweifel" nennt.
Machen wir uns nichts vor: Kämpfer sind Menschen wie du und ich. Sie erleben dieselben Höhen und Tiefen, die wir alle durchmachen. Nach einem Sieg ist man ganz oben, nach einer Niederlage im Tal der Tränen. Mit steigender Zahl der Pleiten kommen zwangsläufig Selbstzweifel auf. Habe ich es noch drauf? Warum funktioniert das nicht mehr, was mich jahrelang erfolgreich gemacht hat? Was muss ich tun, um den Anschluss wieder zu bekommen?
Ein Sieg, wie ihn Tito Ortiz bei UFC 132 einfuhr, ist genau das, was man braucht, um aus einem jahrelangen Karrieretief zu entfliehen.
Natürlich ist er immer noch derselbe Kämpfer, mit denselben Stärken und Schwächen. Natürlich wird die nächste Niederlage die Selbstzweifel wieder zurückbringen. Doch für diesen einen Moment hat Ortiz das Gefühl, unschlagbar zu sein. Das ist im Kampf gegen den jüngeren, schnelleren und gefährlicheren Evans seine stärkste Waffe - und eine Waffe, die ihm niemand nehmen kann.
Physische Vorteile für Evans, psychische für Ortiz
Evans mag härter an seinem Ringen arbeiten und deswegen den Vorteil haben. Er mag öfter, länger und intensiver trainieren und deswegen favorisiert werden. Doch psychologisch hat Ortiz die Oberhand. Während er momentan im siebten Himmel schwebt und ein Titelkampf in greifbare Nähe gerückt ist, befindet sich Evans immer noch im Loch, in das er fiel, als er vor zwei Jahren in der ersten Runde von Lyoto Machida ausgeknockt wurde. Nein - er wurde nicht nur ausgeknockt. Er wurde vielmehr vorgeführt.
In den beiden Fights, die er seitdem hatte, sah es aus, als habe sich Evans zurückentwickelt. Vorbei waren die Zeiten, als er mit Verve und einer erheblichen Portion Selbstbewusstsein die Legende Chuck Liddell ausknockte. Vergessen sind die Zeiten, als er den damaligen Weltmeister aus dessen Guard heraus technisch k.o. schlug und so überraschend zu Titelehren kam.
Evans, der früher dafür bekannt war, dass er jeden Kampf langsam angehen ließ, um dann in Runde zwei aufzudrehen, warf plötzlich gleich alles, was er besaß, in die Waagschale. Gegen Thiago Silva und Quinton "Rampage" Jackson brachte es ihm nicht den ersehnten vorzeitigen Sieg. Dafür powerte sich Evans so aus, dass er in beiden Kämpfen in der dritten Runde in erhebliche Schwierigkeiten gebracht wurde.
Die Psyche ist ein mächtiger Freund - aber auch ein mächtiger Gegner. Ganze vierzehn Monate musste Evans nun aus verschiedenen Gründen pausieren. Aus einer Titelchance gegen Weltmeister Jon Jones wurde ein Kampf gegen den aufstrebenden Ringer Phil Davis. Nachdem dieser auch verletzungsbedingt absagen musste, findet sich Evans nun in der Position wieder, den lang erwarteten Rückkampf gegen seinen alten Rivalen Ortiz zu bekommen.
Ortiz hat einen Lauf
Machen wir uns nichts vor: Auf dem Papier ist Evans zu Recht der haushohe Favorit. Gleichzeitig sprechen die "weichen" Faktoren eher für Altmeister Ortiz: Er hat nicht mit Ringrost zu kämpfen, hat einen wichtigen Sieg im Rücken und findet sich nun in der ungewohnten Rolle als einer der populärsten Kämpfer der UFC wieder. Im Englischen spricht man von "momentum": Ortiz hat - frei übersetzt - einen Lauf, und Evans wird in Topform sein müssen, um diesen Lauf zu beenden.
An Motivation wird es ihm nicht fehlen, denn ein Sieg gegen den Kalifornier bringt ihm endlich den Titelkampf ein, auf den er nun so lange gewartet hat. Doch eine Niederlage würde Evans "um Jahre zurückwerfen", wie der frühere Weltmeister SPOX bestätigte. "Es ist denkbar, dass ich meine Karriere dann auch gleich beenden könnte, weil ich wohl nie mehr Topherausforderer werden würde", so Evans.
Belfort gegen Akiyama
Ähnliche Gedanken müssen sich die Kontrahenten im zweiten Hauptkampf, der Brasilianer Vitor "The Phenom" Belfort und der koreanisch-stämmige Japaner Yoshihiro Akiyama machen.
Belfort wurde im Februar in der ersten Runde von Mittelgewichts-Weltmeister Anderson Silva deklassiert und gilt sowieso als Wackelkandidat. Akiyama hat in seinen drei UFC-Kämpfen qualitativ voll überzeugt und den für Asiaten schwierigen Sprung zum Publikumsliebling geschafft. Gleichzeitig hat er seine letzten beiden Kämpfe aber verloren und steht mit dem Rücken zur Wand.
Der Japaner ist dafür berüchtigt, seine ausgezeichneten Grapplingfähigkeiten im Judo nicht einzusetzen und lieber mit seinen Gegner in den Infight zu gehen, um den Fans einen unterhaltsamen Kampf zu bieten. Seine Zähigkeit ist legendär, aber gerade gegen den im Striking sehr gefährlichen Belfort wäre diese Taktik das Dümmste, was Akiyama tun könnte. Er weiß das - und wird sich vermutlich trotzdem auf einen Schlagabtausch einlassen.
Das ist der Punkt, an dem der Kampf Fahrt aufnimmt. Akiyamas Kinn ist ausgezeichnet, und von Belfort kennt man, dass er sehr schnell seinen Kampfgeist einbüßt, wenn der Gegner ihm standhalten kann. Interessant wird es also zu sehen, ob Akiyamas Kinn oder Vitor Belforts Fäuste sich am Ende durchsetzt. Gelingt Belfort kein schneller Knockout, rückt der Sieg für Sexyama in greifbare Nähe. Für Spannung ist also gesorgt.
Gustafsson vor Aufstieg
Im Vorprogramm von UFC 133 trifft der Schwede Alexander "The Mauler" Gustafsson auf den Veteranen Matt "The Hammer" Hamill. Gustafsson, der in seiner Karriere erst eine Niederlage hat einstecken müssen und seine letzten beiden Kämpfe eindrucksvoll per Aufgabe beenden konnte, könnte mit einem Sieg gegen den bekannten Namen Hamill den Aufstieg in die Oberliga der Gewichtsklasse gelingen.
Die Aufgabe wird allerdings keine einfache werden, denn Hamill hat seinerzeit bisher nur gegen Quinton Jackson, Rich Franklin und Michael Bisping verloren - zwei frühere Weltmeister und die kontroverseste Punktrichterentscheidung der UFC-Geschichte. Kann es Alexander Gustafsson gelingen, der erste Kämpfer zu werden, der Hamill jemals zur Aufgabe gezwungen hat? Am Samstag bekommen wir die Antwort.
UFC 133: Evans vs. Ortiz 2 wird in der Nacht von Samstag auf Sonntag ab 3 Uhr auf SPOX und UFC.tv übertragen. Die Vorkämpfe starten um 00:15 Uhr auf facebook.com/UFC.