SPOX: Herr Williams, Jamaika ist in der Sportwelt vor allem für seine schnellen Sprinter bekannt. Wie kommt man darauf, bei einer Ski-WM teilzunehmen?
Michael Williams: Für einen Sprinter bin ich zu schwer (lacht). Aber Spaß beiseite: Seit Olympia 1988 in Calgary wollte ich immer bei Winterspielen teilnehmen. Die Weltmeisterschaft in Schladming ist also ein Zwischenschritt zur Erfüllung meines großen Traumes. Außerdem sollen die Leute erfahren, dass aus Jamaika nicht nur Sprinter und Reggae-Musiker kommen.
SPOX: Was hat Sie in Calgary fasziniert?
Williams: Cool Runnings natürlich! Die Geschichte von den vier Bobfahrern kennt auf Jamaika fast jeder. Wie die Jungs den Eiskanal runtergefahren sind, hat mich damals sehr stolz gemacht. Und mir gezeigt: Man kann alles im Leben schaffen, wenn man ganz fest an sich glaubt. Ich habe mit Devon Harris sogar einen der originalen Truppe kennenlernen dürfen und mich bedankt.
SPOX: Wofür denn bedankt?
Williams: Er hat mir irgendwie den Weg geebnet und mich inspiriert. Als ich mit ihm gesprochen und von meiner Idee erzählt habe, war er hin und weg. Er hat immer davon geträumt, dass es Nachahmer gibt.
SPOX: Sie haben sich dennoch für die Skipiste entschieden. Warum?
Williams: Wegen zwei Typen. Einerseits Alberto Tomba. Der hat immer eine Coolness ausgestrahlt, unfassbar. Und natürlich Pirmin Zurbriggen, der für mich wie ein Gott war. Nicht umsonst habe ich mir den Spitznamen "schwarzer Zurbriggen" gegeben. Das waren meine Helden in Calgary.
SPOX: Da fehlt aber noch jemand, oder? Wie man hört, haben Sie damals auch für eine deutsche Eiskunstläuferin geschwärmt.
Williams: Oh Gott, wo haben Sie denn das her? (lacht) Aber es stimmt, ich fand Katarina Witt einfach umwerfend. Für die Medien war sie natürlich alleine wegen ihres Aussehens gefundenes Fressen, aber ich war vor allem beeindruckt, wie sie mit dem Druck umgegangen ist. Sie war immer charmant, immer freundlich, hatte immer ein Lächeln auf dem Gesicht. Genau darum sollte es im Sport gehen. Natürlich will man gewinnen, aber man darf das Publikum nicht vergessen. Sehen Sie sich Usain Bolt an. Er ist ein ganz normaler Kerl und will auch nur Spaß haben, und das bringt er perfekt rüber. Der Unterschied ist halt, dass er die 100 Meter in neun Sekunden läuft.
SPOX: Wie steht es mit Ihnen, sind Sie mittlerweile auch ein kleiner Star?
Williams: Nein, soweit würde ich nicht gehen. Ich kann immer noch ganz normal über die Straße gehen. Auf Jamaika ist es so: An erster Stelle kommt Bolt, und dann kommt erst mal lange gar nichts. Aber mich freut es, wenn Leute dennoch meine Geschichte mitbekommen.
SPOX: Wie reagieren Ihre Landsleute auf ihr Vorhaben?
Williams: Sie sind begeistert. Es gab sogar eine Geschichte über mich im "Jamaica Observer", einer Zeitung bei uns. Ich habe sofort einen Anruf von unserem Skiverband bekommen, die mich dazu beglückwünscht haben. Das ist total verrückt. Bis vor zwei Jahren wusste ich noch gar nicht, dass wir so einen Verband haben.
SPOX: Sie wussten nicht, dass es einen jamaikanischen Skiverband gibt?
Williams: Nein, woher auch. Das ging alles so schnell. Im Juni 2011 stand ich zum ersten Mal auf Skiern. Ich wurde in Montreal geboren, deswegen habe ich in meiner Kindheit viel Eishockey gespielt. Am Anfang dachte ich mir, dass der Unterschied zwischen Eishockey und Skifahren nicht so groß sein dürfte. Ich habe mir also sofort einen professionellen Trainer geholt, der mir nach dem ersten Tag tief in die Augen geblickt und gesagt hat: "Du hast keine Ahnung vom Skifahren!" Aber er hat weiter mit mir gearbeitet, weil er gesehen hat, dass ich seine Anweisungen umsetzen kann und ehrgeizig bin.
SPOX: So ehrgeizig, dass Sie so schnell wie möglich an Ihrem ersten Rennen teilnehmen wollten.
Williams: Ich wollte mich mit anderen messen, davon konnte mich niemand abhalten. Also habe ich mich früh bei einem offiziellen FIS-Rennen angemeldet. Es gab jedoch ein paar Probleme: Ich hatte keine Skihose, keine Skijacke, keine Skischuhe. Ein Freund von mir hat mir dann alles geliehen. Das meiste war mir viel zu groß, deswegen haben mich wohl alle ziemlich komisch angeschaut. Das kommt nicht alle Tage vor, dass auf einmal ein jamaikanischer Skifahrer vor einem steht. Ich wusste ja nicht mal, wie man die Skier richtig trägt. Aber mir war das total egal.
SPOX: Das waren sicherlich nicht die letzten Hindernisse, oder?
Williams: Leider nicht. Erst im Januar habe ich mir im Training das Kreuzband gerissen.
SPOX: Und Sie starten dennoch bei der WM im Riesenslalom und Slalom?
Williams: Auf jeden Fall. Ich habe viel mit meinem Arzt gesprochen. Ich muss mich nach der WM einer Operation unterziehen, aber dank einer Orthese, die mein Knie stabilisiert, kann ich trotzdem in den Qualifikations-Rennen an den Start gehen. Leider habe ich dadurch kein richtiges Gefühl mehr mit diesem Bein. Manchmal fühlt es sich an, als hätte ich gar kein Bein mehr. Aber das ist erst mal zweitrangig. Ich will jetzt einfach nur die Zeit genießen und viele Leute kennenlernen. Alleine die Eröffnungsfeier war klasse.
SPOX: Wurden Sie von den ganzen Weltklasse-Fahrern denn erkannt?
Williams: Es hört sich blöd an, aber es kamen tatsächlich ein paar Sportler auf mich zu. Aksel Lund Svindal wollte sogar ein Foto von mir. Ein Olympiasieger mit mir? Das ist doch nicht zu fassen. Ich glaube, sie sehen, dass ich zwar sicherlich kein richtiger Profi bin wie sie, aber denselben Respekt vor der Sportart habe.
SPOX: Stimmt der Eindruck, dass Sie sich von fast nichts aus der Bahn werfen lassen?
Williams: Das habe ich vor allem zwei Menschen zu verdanken. Meinem Cousin Andrew, den alle wegen seiner Zähne nur "The Beav", also Biber, genannt haben, und Kris Kirk, einer Freundin seit der Schulzeit. Leider sind beide vor einigen Jahren an Krebs gestorben, aber sie haben mich immer ermutigt. Beav hat vor seinem Tod zu mir gesagt: "Accept things or reject things!" Man soll sich von niemandem seine Träume ausreden lassen. Und Kris hat immer ein halbvolles Glas gesehen. Ihren Optimismus werde ich nie vergessen.
SPOX: Sie bekommen auch heutzutage noch viel Unterstützung aus Ihrem Freundeskreis.
Williams: Ich kann mich wirklich glücklich schätzen. Es gibt eine Aktion auf meiner Facebook-Seite, bei der meine Freunde irgendwelche Sachen versteigern. Appleton Rum, Zigarren, Baseball-Tickets - das ist ziemlich verrückt. Ich wusste davon gar nichts, bis sie mir das erzählt haben. Das Geld benutze ich für meine Reisen zu den einzelnen Events. Ein Winter kostet mich immerhin zwischen 30.000 und 50.000 Dollar.
SPOX: Bleibt Ihnen denn überhaupt noch Zeit, ab und zu nach Jamaika zu fliegen?
Williams: Das muss sein. Schon als Kind bin ich mit meiner Familie jeden Sommer hingefahren. Ich liebe es dort. Die netten Menschen, die schöne Landschaft, die coole Musik - in Jamaika liegen meine Wurzeln, auch wenn ich in Kanada geboren wurde. Die Familie steht für mich an erster Stelle.
SPOX: Auf Ihrer Internetseite stehen viele Sprichwörter Ihrer Großmutter, wie zum Beispiel "When dog got money...
Williams: ...he buys cheese" (lacht). Klasse Spruch, oder?
SPOX: Aber was bedeutet er?
Williams: Man soll keinen Blödsinn anstellen oder Unsinn kaufen. Ein Hund sollte keinen Käse kaufen, das schmeckt ihm doch gar nicht. Er braucht Knochen. Ein anderer Satz, den sie mir immer gesagt hat, war: "One one coco fill basket." Man soll nichts überstürzen, sondern alles step by step machen. Das hat mir vor allem nach dem Kreuzbandriss geholfen.
SPOX: Geben Sie diese Weisheiten auch an Ihren Sohn weiter?
Williams: Klar, wobei er sich vor allem eines merken soll: "Dreams are ageless!" Ich bin mit mittlerweile 43 Jahren das beste Beispiel. Oder dieser Opernsänger in England...
SPOX: Paul Potts?
Williams: Genau, Paul Potts. Der gewinnt eine TV-Show, kann damit endlich seiner Leidenschaft nachgehen und wird weltbekannt. Es gibt nichts Schöneres im Leben, als sich seinen Traum zu verwirklichen.
Gesamtweltcup der Herren