"Unser Fahnenträger ist Gerd Nowitzki." Mit diesem längst legendären Fauxpas verkündete Michael Vesper, damals Chef de Mission der deutschen Mannschaft, Deutschlands Fahnenträger für die Olympischen Spiele 2008 in Peking.
Der Generalsekretär des Deutschen Olympischen Sportbundes löste damit einen Streit aus. Dass Vesper den NBA-Star der Dallas Mavericks "Gerd" genannt hatte, war nicht das Problem. Viel mehr stieß zahlreichen Funktionären und Athleten sauer auf, dass der DOSB mit der Ernennung Nowitzkis für einen Tabubruch sorgte.
Der Grund: Erstmals überhaupt wurde ein Sportler als deutscher Fahnenträger bestimmt, der noch keine olympische Goldmedaille geschweige denn eine Olympia-Teilnahme vorzuweisen hatte.
Dirk Nowitzkis Vorgänger ganz andere Olympia-Kaliber
Nowitzki war zwar zu diesem Zeitpunkt längst ein Weltstar, der wahrscheinlich weltweit gesehen bekannteste aktive deutsche Sportler überhaupt. Der heute 46-Jährige hatte auch bereits große Verdienste um die Nationalmannschaft, führte die DBB-Korbjäger 2002 zu WM-Bronze und 2005 zu EM-Silber.
NBA-Champion mit den Mavs wurde der 14-malige All-Star aber erst 2011. Und vor allem: Seine unmittelbaren Vorgänger als Fahnenträger waren in Sachen Olympische Spiele ganz andere Kaliber gewesen.
2000 in Sydney beispielsweise wurde Birgit Fischer ausgewählt. Die Kanutin hatte zu diesem Zeitpunkt bereits fünfmal Gold und dreimal Silber errungen und ist heute mit acht Goldmedaillen und vier Silbermedaillen die erfolgreichste Olympionikin Deutschlands.
Vier Jahre später in Athen trug Springreiter Ludger Beerbaum die Fahne, der bis dato drei Goldmedaillen auf dem Konto hatte und am Ende seiner Laufbahn mit viermal Gold und einmal Bronze vom Pferd stieg.
Dirk Nowitzki als Fahnenträger: Es hagelt Kritik
"Er ist authentisch, untadelig, ein Vorbild für die Jugend und verbindet Erfolg mit Teamfähigkeit. Er hat das Big Business kennen gelernt, ist aber trotzdem bescheiden geblieben", begründete Vesper die DOSB-Entscheidung für Nowitzki - und stieß damit auf Unverständnis
"Ich bin schon enttäuscht, dass es erstmals kein Athlet, der vorher Olympia-Teilnehmer war, geworden ist. Auch bei der Begründung mit der Authentizität haben viele von uns im Team den Kopf geschüttelt. Es hätte viele Sportler gegeben, die es verdient gehabt hätten", sagte der 2008 neben Isabell Werth (Reiten), Fabian Hambüchen (Turnen) und Ralf Schumann (Schießen) als Fahnenträger gehandelte Andreas Dittmer, der im Kanu dreimal Olympia-Gold für Deutschland holte.
"Unsere Teilmannschaft ist schon ein wenig enttäuscht, dass mit der alten Tradition gebrochen wurde, langjährige und erfolgreiche Olympioniken für diese Aufgabe auszuwählen", meinte Sportschützen-Sportdirektor Heiner Gabelmann. Seiner Meinung nach wäre Pistolenschütze Schumann (drei Goldmedaillen) ein besserer Kandidat gewesen.
Und Kathrin Boron, vierfache Olympiasiegerin im Rudern, kritisierte: "Für mich muss ein Fahnenträger jemand sein, der Erfolge bei Olympia vorzuweisen hat und aufgrund seiner Leistungen Deutschland auch repräsentieren kann."
Dirk Nowitzki: "Hätte auch mit einem Staffellauf leben können"
Nowitzki zeigte durchaus Verständnis für die Kommentare der Enttäuschten, nahm auf seine Wahl als Fahnenträger bezogen selbst das Wort "Tabubruch" in den Mund und bat alle, die sich vergeblich Hoffnungen auf einen Einsatz an der Stange gemacht hatten, um Entschuldigung.
"Mir ist klar, dass eigentlich gestandene Olympioniken die Fahne tragen. Ich will niemandem auf den Schlips treten", meinte der 153-malige DBB-Spieler: "Ich hätte auch mit einem Staffellauf leben können, bei dem mehrere Athleten abwechselnd die Fahne tragen."
Gleichwohl ging für Nowitzki "ein Traum in Erfüllung, es ist eine Riesenehre". Beim Einmarsch ins Nationalstadion von Peking, dem sogenannten "Vogelnest", machte der 2,13-Meter-Riese mit ausrasierten olympischen Ringen auf seinem fast kahlgeschorenen Schädel eine gute Figur.
Sportlich lief es anschließend allerdings mau. Die Mannschaft von Bundestrainer Dirk Bauermann gewann ihr Auftaktspiel gegen Angola, verlor dann aber viermal in Folge gegen Griechenland, Spanien, China und die USA und verpasste den Einzug ins Viertelfinale. Platz zehn von 12 teilnehmenden Teams stand letztlich zu Buche.
Dirk Nowitzki: "Mir war das fast ein bisschen peinlich"
"Es war für mich eine der größten Ehren meines Lebens, unsere Nation ins Stadion zu führen", sagte Nowitzki Jahre später über seine erste und einzige Olympia-Teilnahme: "Mir war das fast ein bisschen peinlich. Ich habe mir auch Gedanken darüber gemacht und auch andere Sportler gefragt, ob das den Sportlern gegenüber, die es vielleicht mehr verdient gehabt hätten, okay ist. Manche fanden es nicht so toll, insgesamt bekam ich aber viel Zuspruch. Ich finde es trotzdem gut, dass der Fahnenträger mittlerweile gewählt wird."
Seit den Olympischen Spielen 2016 in Rio de Janeiro stimmen Öffentlichkeit und Fans gemeinsam mit den teilnehmenden Athleten darüber ab, wer die deutsche Fahne trägt. Schröder gewann 2024 die Wahl deutlich vor Tennisspieler Alexander Zverev. Der DBB-Kapitän wird damit gemeinsam mit Judoka Anna-Maria Wagner, die sich bei den Frauen relativ knapp vor der Fußballerin Alexandra Popp durchsetzte, die Flagge präsentieren.
Ärger, wie es ihn 2008 um "Gerd" Nowitzki gab, bleibt Team Deutschland seither erspart.
Wer gewann bei Olympischen Sommerspielen die meisten Medaillen für Deutschland?
Name | Sportart | Medallien |
Birgit Fischer | Kanu | 8x Gold, 4x Silber |
Isabell Werth | Dressurreiten | 7x Gold, 5x Silber |
Reiner Klimke | Dressurreiten | 6x Gold, 2x Bronze |
Kristin Otto | Schwimmen | 6x Gold |
Hans Günter Winkler | Springreiten | 5x Gold, 1x Silber, 1x Bronze |
Kornelia Ender | Schwimmen | 4x Gold, 4x Silber |
Roland Matthes | Schwimmen | 4x Gold, 4x Silber, 4x Bronze |
Katrin Wagner-Augustin | Kanu | 4x Gold, 1x Silber, 1x Bronze |
Kathrin Boron | Rudern | 4x Gold, 1x Bronze |
Ludger Beerbaum | Springreiten | 4x Gold, 1x Bronze |