Inmitten der modernen Tanzkunst eine Ballerina mit Beinprothese, an der Seite lokaler Sambagrößen ein blinder Sänger, alle vereint unter einer Botschaft: "Every Body has a Heart", jeder Körper hat ein Herz. Die Trennung des englischen Wortes "everybody" ist von den künstlerischen Leitern der Paralympics-Eröffnungsfeier bewusst gewählt, die Barrierefreiheit bei der Show am Mittwoch erst recht.
Der Auftakt des Behindertensportfestes in Rio de Janeiro (7. bis 18. September), 17 Tage nach Ende der Olympischen Spiele, verspricht, entbunden vom üblichen Erzählstrang über die Historie des Gastgeberlandes, Emotionen pur. Die Cariocas, die Einheimischen unter den schützenden Armen der Christusstatue, haben wieder Lust auf Party - trotz aller Krisen oder der Schlagzeilen über den Komplettausschluss Russlands.
Lange wie sauer Bier angepriesen, finden die Paralympics-Tickets endlich Absatz. Der feierliche Auftakt ist nahezu ausverkauft. Selbst der umstrittene Präsident Michel Temer, der der Olympia-Schlussfeier ferngeblieben war, will kommen. Von den 2,4 Millionen Eintrittskarten für die Wettkämpfe sind 1,5 Millionen an den Mann gebracht. Ein Sprung um das Fünffache in den letzten Tagen.
Auch Sir Philip Craven, Präsident des Internationalen Paralympischen Komitees (IPC), ist inzwischen vom Gelingen der Veranstaltung überzeugt. Er erwarte "sportlich die besten Spiele, die wir jemals erlebt haben. Dazu kommen die brasilianischen Fans mit ihrer Leidenschaft - das werden tolle Spiele", sagte der Engländer (66) dem SID vor dem Startschuss. Dabei hatte er noch vor wenigen Wochen angesichts der zahlreichen Baustellen vom "schlimmsten Moment" der Paralympics-Historie gesprochen.
"Haut rein! Jetzt gilt es!"
"Wir haben unsere Anstrengungen kanalisiert, um diese Probleme zu lösen", betonte Craven trotzig. Das liege in der "paralympischen DNA". Die wirtschaftliche, politische und soziale Krise Brasilien kann aber auch er nicht wegdiskutieren.
Und trotzdem. Friedhelm Julius Beucher, Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes, ist Feuer und Flamme für die Spiele. "Haut rein! Jetzt gilt es!", hat er den 155 deutschen Sportlern mit auf ihren Weg gegeben. Eine Medaillenvorgabe gibt es vom DBS nicht, die Erwartungen nach 18 mal Gold in London sind dennoch groß: "Die Brust ist sehr breit. Ich gehe mit einem sehr guten Gefühl in die Wettkämpfe."
In Wettkämpfen, die einer zwanghaften Maxime unterliegen: Mindestens eine Stufe kleiner als Olympia. Wenn möglich noch darunter. So kosten Eröffnungs- und Schlussfeier der Paralympics nur 15 Prozent der Summe für die gleichen Shows bei den Olympischen Spielen im August.
Da es nur ein gemeinsames Budget für beide Spiele gab, muss das IPC mit dem auskommen, was übrig geblieben ist. Die Finanzspritze der Bundesregierung in Höhe von umgerechnet 27 Millionen Euro und der Stadt Rio von 42 Millionen Euro zeigen, dass das Loch in der Kasse des Organisationskomitees riesig ist.
Jeder Körper zählt
Einsparungen sind der Ausweg. So wurde Rollstuhl-Fechten aus dem Deodoro-Park nach Barra verlegt und die Youth Arena damit überflüssig gemacht. Die Zahl an Volunteers und Personal wurde drastisch reduziert, die der Sicherheitskräfte auch, das Transportsystem noch einmal überarbeitet, Medienzentren und Hilfseinrichtungen der Arenen zusammengelegt, Extra-Feiertage ausgeschlossen.
Schließlich gehen statt über 10.000 Athleten wie bei Olympia vom 7. bis 18. September nur rund 4300 Behindertensportler an den Start - das sind allerdings mehr als 2012 in London. Wegen der verschiedenen Klassen sind es 528 Medaillenentscheidungen. Dabei neu im Programm sind Kanu und Triathlon.
Bei allen Synergieeffekten, Paralympics sind dennoch etwas Eigenes. Deshalb tritt statt des gelblichen Maskottchens Vinicius nun der grün-blaue Tom mit seinen Blätterwald-Haaren als Symbol der brasilianischen Flora in Aktion. An der Copacabana wichen die fünf olympischen Ringe drei schmalen, gebogenen Haken in Rot, Grün und Blau. Die Agitos (Lateinisch für "Ich bewege") aus Recycling-Material sind nicht nur sichtbar, sondern auch ein Fühl- und Riecherlebnis.
Damit die Paralympics nicht nur die Verlängerung der Olympischen Spiele sind. Damit sie nicht nur damit auskommen müssen, was am 21. August übrig blieb. Keiner will einen Olympia-Aufguss haben. "Every Body", jeder Körper zählt. Bei Sportlern und Fans.