Als Erik Lesser auch den 20. Treffer gelandet hatte, jubelte Bundestrainer Mark Kirchner bereits ausgelassen am Schießstand. Lesser selbst setzte sich lässig die Sonnenbrille auf, blickte kurz zur Anzeigetafel und lief durch den tiefen Schnee zum ersehnten Befreiungsschlag für die deutschen Biathleten. Im fünften Rennen der Olympischen Winterspiele sorgte der 25-Jährige mit Silber im Einzel über 20 km für die erste Medaille der DSV-Skijäger in Sotschi.
"Das ist mein zweiter Traum, der in Erfüllung geht. Der erste war es, hier überhaupt dabei zu sein", sagte Lesser, der sich erstmals für Olympische Spiele qualifiziert hatte, im "ZDF". Nerven zeigte er bei allen vier Schießeinlagen trotzdem nicht: "Dabei hatte ich beim letzten Schießen einen ganz schönen Stift in der Hose, habe mir aber gedacht: Jetzt darfst du nicht zögern. Zieh durch!"
Böhm zweitbester Deutscher
Lesser, der im Ziel völlig ausgepumpt zu Boden gegangen war, musste sich mit 12,2 Sekunden Rückstand nur dem französischen Biathlon-Star Martin Fourcade (ein Fehler) geschlagen geben. Bronze ging an seinem 26. Geburtstag an den Russen Jewgeni Garanitschew (+34,5/1). Zweitbester Deutscher war Daniel Böhm mit einem Schießfehler und 1:37,7 Minuten Rückstand auf Fourcade.
Lessers Teamkollege Andreas Birnbacher, der wie Böhm in Sotschi erstmals zum Einsatz gekommen war, erfüllte die in ihn gesetzten Hoffnungen nicht, schoss zweimal vorbei und kam mit 2:46,2 Minuten Rückstand ins Ziel. Dennoch freute sich der 32 Jahre alte Routinier über Lessers Ergebnis. "Für die deutsche Mannschaft ist diese Medaille natürlich super. Die Kritik ist ja schon ziemlich groß geworden. Das entlastet jetzt das ganze Team", sagte Birnbacher.
Simon Schempp, der nach Platz sechs in der Verfolgung selbst auf Edelmetall in der tiefen Loipe des Biathlon-Stadions "Laura" gehofft hatte, meinte nach einem Fehler und 2:18,6 Sekunden Rückstand: "Das war ein solides Rennen von mir, es hätte besser und schlechter sein können. Aber wir haben ja heute einen auf dem Podest."
Kein Norweger auf dem Podest
Dort fehlte einmal mehr ein Norweger - und das vor den Augen des Thronfolgers Haakon. Die favorisierten Emil Hegle Svendsen und Ole Einar Björndalen enttäuschten bei frühlingshaften Temperaturen auf 1400 Meter Höhe. Svendsen verpasste als Siebter mit nur einem Fehler, aber einer schwachen Laufleistung auch im dritten Rennen seine erste Medaille in Sotschi, der siebenmalige Olympiasieger Björndalen verfehlte gleich viermal die Scheiben.
Lesser hatte sich beim größten Erfolg seiner Karriere nicht von der Verunsicherung im deutschen Team anstecken lassen, zu der auch Chef-Bundestrainer Uwe Müssiggang beigetragen hatte. Der Erfolgscoach kündigte am Mittwoch in einem Interview seinen Rücktritt zum Saisonende an.
Der 62-Jährige werde "auf keinen Fall" auch in der kommenden Saison in seinem jetzigen Amt arbeiten, sagte er "Der Welt". Über die konkreten Weichenstellungen für die Zukunft wird der Deutsche Skiverband (DSV) aber erst nach der Saison entscheiden.
Die kriselnden Frauen
Nach den herben Enttäuschungen in den ersten beiden Rennen geht es für die kriselnden deutschen Frauen im schweren Einzel über 15 km am Freitag um Schadensbegrenzung - und mindestens den ersten Top 10 Platz in Russland.
Allerdings wird Doppel-Olympiasiegerin Andrea Henkel dabei fehlen. Wegen einer Erkältung muss die 36-Jährige in ihrer Paradedisziplin pausieren. Im Klassiker gehen Franziska Hildebrand, Evi Sachenbacher-Stehle, Franziska Preuß und Laura Dahlmeier an den Start.