Die Unterwelt der griechischen Mythologie, der Hades, ist ein Ort, den man nie wieder verlässt. Einmal in seinem Schlund verschwunden, gibt es kein Zurück. Dafür sorgt der Höllenhund Kerberos. Nur einer auserlesenen Schar an Heroen gelingt die Flucht aus Hades' Unterwelt. Einer davon ist Halbgott Theseus, befreit von Herakles, der einst ein einfacher Arbeiter war, später in den Olymp aufgenommen wurde.
Der MSV Duisburg hat es nach zwei Jahren geschafft dem Fußball-Hades zu entfliehen, der schon große Vereine wie Alemania Aachen oder Dynamo Dresden verschlungen hat. "Einmal Hölle und zurück" stand auf den T-Shirts, die die sektberauschten und bierübergossenen Spieler beim fast schon sensationell anmutenden Wiederaufstieg im Mai 2015 in die zweite Liga trugen.
Ivica Grlic als Erfolgsgarant
Der Herakles'sche Befreier der Zebras: Ivica Grlic, einst einfacher Mittelfeld-Arbeiter, spätestens jetzt im MSV-Olymp angekommen.
Der Meidericher SV e.V. Duisburg stand schon immer für Höhen und Tiefen, kaum ein Verein Deutschlands hat so viel mit gemacht. Vom zweiten Platz in der Bundesliga bis zum Lizenzentzug und dem Gang in die 3. Liga.
Die hartgesottenen Fans der Zebras haben wahrlich viel gesehen seit der Vizemeisterschaft 1964. Vier DFB-Pokalfinals, Oberliga, UI-Cup, ein UEFA-Cup-Halbfinale und sechs Erstliga-Abstiege. Der MSV ist fester Bestandteil der Bundesliga-Geschichte und Folklore.
Er ist einer der Vereine, den Kutten-Nostalgiker Vereinen wie Wolfsburg oder RB Leipzig vorhalten - ein sogenannter Traditionsverein, dem sein wohlverdienter Platz von den "Plastikvereinen" weggenommen wird, wie den Indianern ihr verdientes Land von den Einwanderern.
Aus der Asche der Ruhrpott-Plätze entstanden wie ein Phönix, nach vielen Auf und Abs 2013 dann wieder zu Asche geworden und zwangsweise in die 3. Liga abgestiegen, dieses Mal für längere Zeit, da waren sich viele sicher. "Da raus zu kommen, ist fast unmöglich", sagte Legende Bernhard "Ennatz" Dietz nach dem Schock.
Kentsch agierte "dilettantisch"
Was war passiert? Der MSV, der nach dem Abstieg in die 2. Liga 2008 jeden Euro zweimal umdrehen musste, weil Präsidenten-Ikone Walter Hellmich und Aufstiegstrainer Rudi Bommer die Personalkosten erhöhten und der sofortige Wiederabstieg die ambitionierten Pläne konterkarierte, war notorisch klamm.
2010 wurde Roland Kentsch Geschäftsführer. 2013 war sein Name eng verknüpft mit dem Lizenzentzug und dem bitteren Gang in die dritte Liga. Zehn Minuten vor dem Abgabetermin stellte die DFL einen Rechenfehler fest, während die Fans schon feierten. Am Ende fehlten trotz schnellen Handelns 64.000 Euro, entstanden wegen einer fehlerhaften Buchung, Regelverstößen und falschen Angaben über angebliche Einsparungen im Marketingbereich.
Rechenprüfer Richard Wittsiepe sprach von einer "Summe der Fehler". Kentsch, selbst Mitglied des DFL-Aufsichtsrats, habe "dilettantisch" agiert, so ein Sprecher der MSV-Fanklubs. In Duisburg weinte man wieder einmal Tränen über einen Abstieg, dieses Mal war es ein besonders bitterer, da man sportlich die Saison als Elfter beendet hatte.
Grabenkämpfe im Präsidium
Während im Präsidium heftige Grabenkämpfe tobten und Schuldzuweisungen die Zebras, die als Fluchttier früher bei den Abstiegen meist von den sportlichen Kontrahenten gerissen wurden, den Verein von innen heraus zerfleischten und in einen Chaos-Klubs verwandelten, feilten zwei Männer an der Wiederbelebung des Klubs: Geschäftsführer Bernd Maas und Sportdirektor Ivica Grlic. Und das, obwohl 2014 nach Platz sieben in der 3. Liga der Klub kurz vor dem Komplett-Kollaps stand. 2,4 Millionen Euro fehlten zum Lizenzerhalt.
Maas stemmte die Herkules-Aufgabe und schaffte es 40 Gläubiger für den Schuldenschnitt zu einem Paket festzuzurren, das ausreichte und den feiernden Fans Freibier einbrachte und nicht den neuerlichen Last-Minute-Schock, den viele befürchtet hatten. Präsident Udo Kirmse schmiss das Handtuch nach einem Streit mit einem der Gläubiger, Hellmich, im Mai 2014 folgte Ingo Wald nach.
Durch Maas' akribische Arbeit und die seines Teams spielt der MSV 2015 wieder in der 2. Bundesliga und ist dem Absturz entronnen: "Dann geht es noch unter die Regionalliga und unser Stadion können wir vergessen", machte Maas die drohenden Konsequenzen bei einem neuerlichen Lizenzentzug gegenüber RevierSport deutlich. Beim sportlichen Aufstieg, den die Fadenzieher um Maas erst möglich machten, setzte die Aufgabe von Ivica Grlic an, dem Meidericher Herakles.
Grlic spielte selbst sechs Jahre für die Zebras und wurde 2011 direkt nach seiner Karriere Sportdirektor. Von Lehrmeister Bruno Hübner hatte er sich noch während der Karriere einige Kniffe abgeschaut. Nachdem nach dem Zwangsabstieg viele Leistungsträger und Trainer Kosta Runjaic den Gang in die Hölle nicht mitmachten.
"Ivo, Du bist ein Duisburger"
"Bei meinem Abschiedsspiel wurde ich mit 'Ivo, Du bist ein Duisburger'-Gesängen verabschiedet - heute will ich beweisen, dass das keine leeren Worthülsen waren", begründete er seinen Verbleib und machte sich bei den Fans unsterblich. Grlic schaffte es in nur elf Tagen einen ordentlichen Kader auf die Beine zu stellen, der nach Platz sieben in der Saison 2014/15 von mehr träumte. Traumerfüller und der bisher größte Coup in Grlic' Karriere wurde die Verpflichtung von Trainer Gino Lettieri.
Der in Zürich geborene Schweizer. Der No-Name hatte zuvor als Co-Trainer Bielefeld gearbeitet und war vor allem in Bayern tätig gewesen. Mit Augsburg hatte er den Aufstieg in die dritte Liga vollbracht, weitere Stationen waren etwa Bayreuth, Burghausen und Weiden.
"Als ich ihn hier in Duisburg als Trainer präsentiert habe, bin ich nicht verstanden worden", erzählte Grlic nach dem Aufstieg. Dabei war Lettieri das Beste, was dem MSV passieren konnte.
Enge Zusammenarbeit mit den Jugendtrainern
Taktische Disziplin, kompakte Defensive und variable Offensive lauteten die drei Bausteine zum Erfolg. Lettieri setzte auf enge Zusammenarbeit mit U17-Coach Engin Vural, der einen besonderen Draht zu den vielen Talenten mit Migrationshintergrund hat und U19-Trainer Carsten Wolters, um vielleicht nicht heute oder morgen, aber in der Zukunft deutlich mehr Talente befördern zu können. Duisburg stieg als Zweiter mit dem zweitbesten Angriff und der drittbesten Abwehr der Liga auf - und hatte es geschafft der Hölle zu entfliehen.
Der "Herakles" der Duisburger, Ivica Grlic, hatte den Höllenhund Zerberos überlistet und seine Transfers waren es, aus denen Lettieri ein Team formte, das das Meidericher Wunder vollzog. Jetzt heißt es also wieder einmal Zweitliga-Fußball in Duisburg.
Grlic und Lettieri haben im Sommer Schwerstarbeit geleistet, damit der neuerliche Gang in die Hölle, dieses Mal sportlich, ausbleibt - und sollen den MSV Schritt für Schritt, Zentimeter für Zentimeter, wieder in Liga zwei etablieren.
Dafür gab es langfristige Arbeitspapiere für beide, Grlic wurde bis 2020 gebunden, Lettieri bis 2016 mit Option auf zwei weitere Jahre.
Wichtige Leistungsträger konnten gebunden werden
Leistungsträger wie Rataijczak, Albutat, Grote, Janjic oder Onuegbu konnten gehalten werden. Zudem trug das verbesserte Jugend-Konzept mit erweitertem Scouting und taktischer Absprache bereits erste Früchte: Die U19-Spieler Dominik Behr und Ahmet Engin wurden mit Profiverträgen ausgestattet.
Mit Bröker, Bomheuer oder jüngst dem Australier James Holland holte Grlic ablösefreie Spieler, die den Kader aufwerten und aus denen Lettieri nun neuerlich ein Konstrukt formen soll, das sofort funktionieren muss. Denn das 1:3 zum Auftakt gegen Lautern zeigte, dass in der zweiten Liga Fehler sofort bestraft werden.
Es geht wieder um Fressen oder Gefressen-Werden, das Fluchttier Zebra muss seine Hufe schnellstmöglich in die Luft bewegen und Gegner niederwerfen, um Punkte einzufahren. Denn trotz der soliden Führung von Maas, trotz den Leistungen von Grlic und trotz dem taktischen Gespür von Lettieri, steht der MSV in der qualitativ starken zweiten Liga von Beginn an am Abgrund. Was darunter lauert, weiß man in Duisburg genau - man ist dem Hades gerade eben erst entronnen und will um keinen Preis zurück.
Der MSV Duisburg im Steckbrief