Es muss nicht immer Liebe sein

Von David Theis
Mario Götze ist 2013 von Borussia Dortmund zum FC Bayern gewechselt
© getty

Auf die Frage nach dem absurdesten denkbaren Transfergerücht hätten BVB-Fans bis vor zwei Wochen wohl noch kurz angebunden die Worte "Götze-Rückkehr" gemurmelt. Mittlerweile jedoch existiert eine seriöse Quelle für das Undenkbare und Spekulationen um eine mögliche Verpflichtung haben den schwarz-gelben Anhang binnen kürzester Zeit in zwei Lager gespalten. Doch würde Götze dem BVB überhaupt noch weiterhelfen?

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Wer Zweifel daran hatte, dass der Name Mario Götze im Fanlager des BVB noch immer extremste Emotionen hervorruft, der sieht sich derzeit eines Besseren belehrt.

Die zumeist von nüchternen Sportsfreunden angeführte Erkenntnis, Profifußball sei nunmal ein Geschäft und ohnehin habe jeder eine zweite Chance verdient, geistert derzeit im ständigen Wechsel mit verschiedenen Variationen von "Borussia darf keine Verräter verpflichten" durch die sozialen Netzwerke.

Sicher scheint: Sympathien für den WM-Finaltorschützen hegen selbst die gemäßigteren BVB-Fans nicht. Zu hart prallte der zur Unzeit verhandelte und vor dem CL-Halbfinale gegen Real Madrid an die Boulevardpresse lancierte Wechsel des Eigengewächses auf das "Echte Liebe"-Narrativ der Ära Klopp.

Knapp drei Jahre später ist Götze zu einem Symbol für das Ende der Romantik im Profifußball geworden und nicht wenige seiner ehemaligen Verehrer nehmen ihm den vermeintlichen Verrat an dem zum Ideal erhobenen Werbeslogan der Borussia persönlich übel.

Muss es immer "Echte Liebe" sein?

Unvermittelbar wäre der ehemalige Hoffnungsträger beim BVB indes nicht. Zu sehr hat in Dortmund bereits die tuchel'sche Sachlichkeit auf- und abseits des Platzes für einen Kulturwandel gesorgt. Das von Kontrolle und Präzision getragene Erfolgskonzept des neuen Trainers strahlt noch viel deutlicher als Jürgen Klopps "Heavy Metal"-Fußball aus, dass die Borussia längst nicht mehr der sympathische Underdog vergangener Jahre, sondern ein ambitionierter Spitzenverein ist.

Für "Echte Liebe" ist da nur noch auf der Tribüne Platz. Zieht man die Mehrheit der im Netz zu lesenden Kommentare als Gradmesser für die Bereitschaft heran, Götze wieder als Borussen zu akzeptieren, drängt sich der Verdacht auf, dass der Reifeprozess des BVB auch seine Fans erreicht hat.

So perfekt die Geschichte des bodenständigen Underdogs, der die Reichen der Branche gehörig aufmischt, auch zur Dortmunder Fankultur gepasst haben mag - das Gros der schwarz-gelben Anhänger scheint erkannt zu haben, dass der moderne Profifußball seine Geschichten eher auf als abseits des Platzes schreibt.

Jedes "Märchen" muss irgendwann enden und den Anspruch eines Vereins mit dem Potenzial des BVB sollte man nicht darauf beschränken, eine Kultmarke wie etwa der FC St. Pauli zu sein. Will der Klub dem gerecht werden und die vor acht Jahren gemeinsam mit seinen Fans begonnene Reise konsequent fortsetzen, muss er die bestmöglichen verfügbaren Spieler verpflichten.

Ein sportlicher Gewinn?

Ob Mario Götze zum Kreis dieser Spieler zählt, darf indes zumindest hinterfragt werden. Waren seine Reaktionsschnelligkeit und sein Gespür für sich schnell verändernde Spielstrukturen bei Klopps chaotisch anmutendem Gegenpressing ein großer Gewinn, blieb er beim FC Bayern den Beweis schuldig, auch dort glänzen zu können, wo ein eher statischer Spielaufbau und klar zugewiesene Offensivpositionen das Spiel beherrschen.

Zudem wirkt der verletzungsanfällige Spielmacher dieser Tage nicht antrittsstark genug, um die für Tuchels BVB so wichtige Rolle des Flügelstürmers zu besetzen: Auch der Verdacht, Götze schleppe drei bis vier Kilo Muskelmasse zu viel mit sich herum, ist bei näherer Betrachtung nicht von der Hand zu weisen.

Dem entgegenzuhalten ist Thomas Tuchels Ruf, ein ausgewiesener Fitnessexperte zu sein - nicht zuletzt Kapitän Mats Hummels, der zu Beginn der Saison noch von seinen Gewichtsproblemen klagte, kommen dessen Ernährungs- und Trainingskonzepte sichtlich zugute.

Dennoch ist Götze ein Spieler, dessen größte Stärke nicht im Eins-gegen-eins-Duell auf dem Flügel, sondern im Bespielen zentraler Räume zwischen der gegnerischen Abwehr- und Mittelfeldreihe liegt; eine Aufgabe, die im System des BVB dem offensiveren der beiden Achter (wahlweise Kagawa oder Castro) zufällt.

Um jedoch auch den umfangreichen defensiven Part dieser Rolle in Tuchels derzeitiger Formation ausfüllen zu können, müsste Guardiolas ungeliebter Reservist sein Spiel erheblich anpassen.

Tuchels Variabilität als Schlüssel

Das stichhaltigste sportliche Argument für eine Götze-Verpflichtung wäre fraglos Thomas Tuchels Art, Fußball spielen zu lassen. Im Gegensatz zum Spätwerk von Jürgen Klopp zeichnet sich ersterer vor allem dadurch aus, die Stärken einzelner Mannschaftsteile oder Spieler so zu betonen, dass die Gegenmaßnahmen des jeweiligen Kontrahenten ins Leere laufen.

So scheint es beim BVB weniger denn je eine feste Startformation oder Matchtaktik zu geben. Die Feststellung, Götzes Stil passe nicht ins System, muss also nicht dauerhaft Bestand haben.

Dennoch: Die Gerüchte um "Super Mario" und den BVB werfen, gemessen am finanziellen Volumen des möglichen Transfers, eine beachtliche Anzahl offener Fragen auf. Entschieden sich sowohl der Spieler als auch die beiden involvierten Vereine für einen Wechsel, wäre das Risiko auf Seiten der Dortmunder nicht mit dem der günstigen Rückholaktionen von Sahin oder Kagawa vergleichbar.

So erscheint die Gefahr der Ablehnung durch einige Hardliner im BVB-Fanlager neben Götzes Verletzungs- und Fitnessproblemen sogar eher gering. Gelänge aber Thomas Tuchel und der Borussia das Husarenstück, Götze wieder zum zentralen Element einer Weltklassemannschaft zu formen, hätten sowohl Romantiker als auch Freunde des schönen Fußballs eine neue große Geschichte, von der sie gemeinsam noch Jahre zehren könnten. Ohnehin gehört zu "Echter Liebe" ja hin und wieder auch das Verzeihen.

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