Mitte August scheint klar, dass Max Scherzer von den Washington Nationals und Jacob deGrom von den New York Mets das Rennen unter sich ausmachen werden. Zu gut sind beide und zu groß scheint der Abstand zur Konkurrenz. Spontan fällt einem nicht mal jemand ein, der hier noch in die Diskussion gehörte.
Auf den ersten Blick - und aus traditionalistischer Sicht - scheint die Sache überschaubar: Scherzer führt die NL mit 15 Siegen an und hat zudem auch die meisten Innings gepitcht - die meisten Strikeouts gehören überdies auch dem dreimaligen Gewinner dieses Awards - mit Abstand.
Jacob deGrom hingegen brilliert mit einem 1.81 ERA, hat aber nur sieben Siege auf dem Konto (7-7). Gegenüber den 15 von Scherzer ist das eine andere Welt. Auch stehen bei ihm rund 16 Innings weniger zu Buche. Case closed, nicht wahr?
Keineswegs, denn im Jahr 2018 ist in der Branche - die schreibende Zunft, die das ganze Jahr über Baseball covert - die Erkenntnis zumindest teilweise gereift, dass gerade der Wert dieses "Pitcher Wins" deutlich überschätzt wurde. Das wissen wir nicht erst seit "Ahead of the Curve", dem wegweisenden Buch von MLB-Network-Moderator Brian Kenny aus dem Jahr 2016.
MLB: Wins - eine längst antiquierte Statistik
Gerade in einer Zeit, in der immer mehr Teams auf verstärkte Bullpen-Aktivität bauen und kaum noch Starter ein drittes Mal durch die Batting Order pitchen lassen, muss man einfach lernen, "Wins" als das zu betrachten, was sie mittlerweile sind: eine längst antiquierte Statistik.
Um einen Sieg als Starting Pitcher einzufahren, muss ein solcher mindestens fünf Innings pitchen und das Spiel mit einer Führung verlassen. Zudem dürfen dann die oft zahlreichen Relief Pitcher nach ihm diese Führung auch nicht wieder hergeben. Schafft der Gegner jedoch irgendwann den Ausgleich, ist der Sieg für den Starter futsch, auch wenn sein Team am Ende dennoch gewinnt.
MLB - Head to Head: Jacob deGrom vs. Max Scherzer
Jacob deGrom | Statistik | Max Scherzer |
7-7 | Bilanz | 15-5 |
1.81 | ERA | 2,19 |
195 | Strikeouts | 227 |
2.13 | FIP | 2.63 |
208 | ERA+ | 196 |
7,1 | Pitcher WAR | 7,1 |
37.38 | RE24 | 39.81 |
4.1 | WPA | 4.7 |
Zudem - und das ist nicht unwichtig - ist ein Starter in dieser Hinsicht auch auf die eigene Offense angewiesen. Jacob deGrom bekommt im Schnitt nur 3,79 Runs von seiner Offensive pro Start - Platz 13 von unten in der MLB. Scherzer hingegen darf sich über 5,16 Runs pro Start freuen, was sicher Einfluss auf seine acht Siege mehr hatte - nur zwölf Pitcher bekommen mehr Run-Support!
Und so bleibt unterm Strich die Tatsache, dass Wins nicht das Hauptkriterium sein sollten, um die Qualität eines Pitchers zu beurteilen. Wins machten mal Sinn, als Starter noch häufiger das gesamte Spiel selbst gepitcht hatten. Heutzutage kommt das nur noch höchst selten vor. In der NL gab es in der kompletten Saison ganze sieben Complete Games - nur Jameson Taillon (Pirates) hat sogar zwei auf dem Konto.
Insofern müssen wir zwangsläufig andere Mittel nutzen, um den Vergleich zwischen deGrom und Scherzer zu entscheiden.
Sabermetrics sehen Jacob deGrom gegenüber Max Scherzer vorn
Beginnen wir mit dem "Fielding Independent Pitching" (FIP) von Baseball-Reference. Die Statistik rechnet jeglichen Einfluss der Defense auf die Leistung des Pitchers raus. DeGrom kommt hier auf einen Wert von 2.13 und führt die NL an. Dritter ist Scherzer mit 2.63. DeGrom ist nach dieser Betrachtung also einen halben Run besser in dieser Saison.
Ähnlich sieht es aus beim ERA+, also dem Wert, der die komplette Pitching-Performance eines Pitchers betrachtet, Umweltfaktoren herausrechnet und die Leistung dann mit dem Ligadurchschnitt vergleicht. DeGrom führt hier klar mit 208 - er ist also 108 Prozent besser als der Ligaschnitt. Scherzer folgt mit 196, was immer noch sehr gut ist.
Beides spiegelt in etwa auch den klaren Abstand beim herkömmlichen Earned Run Average wider. DeGrom (1.81) führt die NL klar vor Scherzer (2.19) an.
Was dagegen die Wins above Replacement für Pitcher betrifft, liegen beide bei 7,1 und somit knapp hinter League-Leader Aaron Nola von den Phillies (7,4). Nur handelt es sich hierbei nebst anderen Werten um eine kumulative Statistik - je mehr man (gut) pitcht, desto höher wird der Wert. Insofern lohnt es während der Saison nicht allzu viel, dies als Grundlage für ernsthafte Vergleiche zu nehmen.
In diese Kategorie fallen auch Statistiken wie "Win Probability Added" (WPA) oder "Base-Out Runs Saved" (RE24), doch es soll nicht unerwähnt bleiben, dass Scherzer in diesen vorne liegt. WPA beschreibt, wie sich die Siegwahrscheinlichkeit pro At-Bat aus Sicht des Teams verändert, während RE24 sagt, wie viele Runs in der jeweiligen Situation erwartet und verhindert werden durch den Pitcher. Die Abstände sind jedoch auch in diesen Fällen gering.
Kontextunabhängige Statistiken sprechen für Jacob deGrom
So kommen wir also - Stand jetzt - zum Ergebnis, dass die Massestatistiken, selbst im komplizierten Bereich - zumeist knapp für Scherzer sprechen, während die kontextunabhängigen Statistiken, die nur die Pitcher-Leistung widerspiegeln, recht überzeugend für deGrom sprechen.
Tendenziell sollte das schon reichen, um deGrom erstmals zu ehren, doch schaut man sich dieses Jahrhundert an, könnte dies dem einen oder anderen Wahlberechtigten dennoch schwer vermittelbar sein. Seit 2000 - davor müssen wir eigentlich nicht darauf hoffen, dass Sabermetrics von irgendwem mit Stimmzettel ernstgenommen worden wäre - gab es nur zwei Cy-Young-Gewinner mit 13 oder weniger Siegen. Felix Hernandez gewann 2010 mit einer Bilanz von 13-12, Closer Eric Gagne hatte 2003 eine 2-3-Bilanz, aber 55 Saves!
DeGrom steht bei sieben (7-7) und wird wahrscheinlich nicht mehr wahnsinnig viele Spiele gewinnen. Und so droht ihm das Schicksal eines Roger Clemens von 2005. "Rocket" hatte damals für die Houston Astros in der National League eine unglaubliche Saison hingelegt und kam auf einen 1.87 ERA, was selbst für ihn ein Rekord war. Sein ERA+ war 226 und auch sonst dominierte er nahezu jede erdenkliche moderne Statistik. Den Cy Young jedoch bekam Chris Carpenter von den Cardinals, der zwar statistisch nicht mal in der gleichen Welt agierte, dafür aber 21 Spiele gewann, Clemens nur 13.
Scherzer wird wahrscheinlich in diesem Jahr die magische 20-Siege-Marke durchbrechen und im Gegensatz zu Carpenter damals auch sonst eine überragende Saison absolviert haben, doch deGrom ist drauf und dran, die wirklich wichtigen Werte zu überbieten. Es wäre kein ganz so großer Skandal wie vor 23 Jahren, aber erneut droht die Bedeutung des Wins grandios überschätzt zu werden, ohne, dass deGrom darauf gravierenden Einfluss hätte.
Dieser Artikel wurde ohne vorherige Ansicht durch die Major League Baseball veröffentlicht.