"Am Ende bin ich einfach von Herzen ein New York Knick. Ich freue mich, meine Karriere in Orange und Blau fortzusetzen und mit Phil Jackson zusammenzuarbeiten, einem Champion, der weiß, wie man Championship-Teams aufbaut." Am Wochenende veröffentlichte Carmelo Anthony auf seiner Homepage jene Worte, die man speziell in Chicago und Los Angeles nicht allzu gern vernommen haben wird - so sehr sie sich auch angedeutet haben mögen.
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Die Heimat, die Familie und sicherlich auch der eine oder andere Dollar gingen über die schnelle Chance auf die Meisterschaft oder das Zusammenspiel mit seinem guten Freund Kobe Bryant. Sicherlich nicht für alle verständlich, andererseits auch nicht völlig unverständlich.
Schließlich machte Melo nie einen Hehl daraus, die große Bühne New Yorks, seiner Heimatstadt, den Madison Square Garden, zu lieben. Schließlich mahnte er bereits während eines Interviews im Vorfeld der Free Agency an, dass mehr an seiner Entscheidung hinge, als lediglich die sportliche Perspektive. Immerhin müsse er auch an seinen siebenjährigen Sohn denken, der im Big Apple ein Zuhause und Freunde gefunden hat.
Bulls: "Wenig" Geld, große Chance
Nun sind da allerdings auch diese 122 Millionen Dollar, die Anthony in den kommenden fünf Jahren angeblich von den Knicks kassiert. 122 Millionen Dollar, die ihm kein anderes Team hätte bieten können. Nicht die Lakers - und schon gar nicht die Bulls, die schon einen Sign-and-Trade-Deal um Melo und Carlos Boozer hätten einfädeln müssen, um überhaupt in die Nähe der Knicks zu gelangen.
Hätten sie es irgendwie hinbekommen, Chicago hätte Anthony wohl die größte Chance auf den Titel bieten können. Immerhin fehlt den Bulls, speziell während Derrick Rose' verletzungsbedingter Abstinenz, exakt das, was Melo im Überfluss zu bringen vermag: Scoring. Anthony und ein hoffentlich fitter Rose hätten die Problematik deutlich gemindert, die Chance auf den Titel gleichzeitig dramatisch gesteigert. Allein eine Garantie auf den Titel hätten die Bulls nicht ausstellen können.
Vielleicht waren die Fragezeichen rund um Rose' Gesundheitszustand am Ende doch zu groß, die rund 73 Millionen Dollar für vier Jahre, so paradox es für Normalsterbliche auch klingen mag, zu gering. Am Ende entschied sich Melo für die einzige Garantie, die ihm die Free Agency bieten konnte. Ein Umfeld, das er kennt und in dem er sich wohlfühlt - und eben jene 122 Millionen Dollar. Garantiert das höchstmögliche Gehalt. Jedenfalls im Vergleich mit anderen Teams.
Melo verzichtet auf Geld
Denn einen Max-Contract unterschreibt Anthony in New York offensichtlich nicht. "Er hat genau das getan, worum wir ihn gebeten haben", bestätigte Phil Jackson gegenüber der "New York Post". "Er gibt uns zu Beginn des Vertrags ein wenig Luft, wenn wir nächstes Jahr einigen Spielraum haben, den wir auch nutzen wollen." Heißt: Melos Gehalt wird im zweiten Vertragsjahr offenbar nicht um die maximal erlaubten 7,5 Prozent ansteigen, um den Knicks im Sommer 2015 mehr Möglichkeiten bei der Verpflichtung möglicher Free Agents zu verschaffen.
Insgesamt verliert Anthony so rund sechs bis sieben Millionen Dollar. Zum Sozialfall verkommt er dadurch selbstverständlich nicht. Für die Knicks könnten die Extra-Dollars aber durchaus wertvoll werden. Immerhin befindet sich die Franchise im Rebuild. Eigentlich keine optimale Situation für einen Star in den besten Jahren seiner Karriere, der noch nie in den Finals stand, geschweige denn einen Ring gewann.
Deshalb ist es nun an Jackson, die Versprechen in die Tat umzusetzen. "Steve Mills und ich haben Carmelo versichert, dass wir die Vision und Entschlossenheit teilen, dieses Team aufzubauen", sagte der Zen-Meister. Was er damit wahrscheinlich sagen möchte: Aus der stolzen Franchise soll, muss endlich wieder ein Contender werden.
Knicks brauchen Zeit
Nicht sofort, nicht kommende Saison, aber in naher Zukunft. Melo war sich dessen während seines gesamten Entscheidungsprozesses bewusst. Denn einerseits lässt der Kader derzeit schlicht keine Hoffnungen auf Ringe und Banner zu und andererseits haben die wichtigsten Positionen bei den Knicks mittlerweile zwei Neulinge inne. Natürlich gewann kein Coach in der Ligahistorie mehr Titel als Jackson. Nur ist der Zen-Meister eben nicht nach New York gekommen, um die Knicks zu trainieren. Er sitzt im Front Office. Dort, wo er noch nie zuvor saß.
Dafür, so die Hoffnung im Big Apple, weiß Jackson, was nötig ist, um zu gewinnen. Weiß er, wie ein Championship-Team auf die Beine zu stellen ist. Ob es am Ende auch gelingt, weiß dagegen selbstverständlich niemand. Das perfekte Rüstzeug bringt Jackson sicherlich mit, lernen wird er dennoch müssen - und kann sich da direkt mit seinem neuen Coach zusammentun.
Der hört auf den Namen Derek Fisher und stand während der Western-Conference Finals noch auf dem Court. Als Spieler. Die Knicks wagen damit dasselbe Experiment, das die Nets vergangene Saison trotz Verletzungsproblemen immerhin in die zweite Playoff-Runde führte. Sie verpflichten einen Rookie-Coach. Allerdings einen, der Phil Jackson und dessen Basketballphilosophie aus insgesamt neun erfolgreichen Jahren bei den Lakers bestens kennt.
Jackson verfolgt einen Plan
Selbstverständlich wurde da schnell gemutmaßt, Jackson wolle lediglich eine Marionette auf der Bank sehen, die seine Triangle-Offense laufen und das Team nach seinen Vorstellungen spielen lassen würde. Betrachtet man die Szenerie etwas weniger dramatisch, kommt einem die Idee, dass Jackson schlicht und einfach einen Plan verfolgt - etwas, das den Knicks im Übrigen seit Jahren abgeht.
Natürlich möchte er der Franchise seine Basketball-DNA implementieren. Da ergibt es nur Sinn, einen Coach zu verpflichten, der selbige auch teilt. Das Vorhaben wirklich in die Tat umzusetzen, wird dauern. Mit der Verpflichtung Fishers ist ein erster Schritt jedoch bereits getan, wenngleich sich erst zeigen muss, ob er denn auch in die richtige Richtung geht.
Endlich wieder Perspektive
Sicherlich nicht falsch war dagegen jener Deal, der die Knicks zwar um Tyson Chandler, der vergangene Saison ohnehin eines seiner schwächeren Jahre erlebte, brachte, ihnen dafür aber erstmals seit 2008 via Trade Draft-Picks brachte. Ein Indiz, dass in New York 'Perspektive' wieder zu einem gebräuchlicheren Begriff werden dürfte. In einer Stadt, in der in den vergangenen zehn Jahren insgesamt 18 Picks via Trade abgegeben wurden.
Nun erhielt man gleich zwei, die umgehend in Cleanthony Early und Thanasis Antetokounmpo investiert wurden, was nicht wenige Experten - speziell im Fall Earlys - begeistert von einem Steal sprechen ließ. Hinzu kommen die ehemaligen Mavs Shane Larkin, Jose Calderon und Samuel Dalembert.
Allesamt durchaus brauchbare Assets, die die Knicks dem ersehnten Titel allerdings kein allzu großes Stück näherbringen werden. Die Rückkehr in die Playoffs könnte mit den Neuen aber durchaus gelingen, glaubt jedenfalls Fisher. "Selbst wenn sich nichts weiter ändert, sind wir gut genug, um die Playoffs zu erreichen", erklärte der Coach am Rande der Summer League in Vegas, wo die Knicks ihre drei Spiele bislang allesamt gewannen. "Aber das müssen wir natürlich auch beweisen."
Was passiert 2015?
Für Jackson gilt es dagegen, unter Beweis zu stellen, dass er die in ihn gesetzten Hoffnungen tatsächlich erfüllen, dass er tatsächlich ein Championship-Team aufbauen kann. Melo vom Verbleib zu überzeugen, war ein wichtiger Schritt, der nächste soll im Sommer 2015 folgen. Dann laufen die Verträge von Amar'e Stoudemire und Andrea Bargnani aus, was den Knicks endlich die nötige Flexibilität verschaffen sollte, einen namhaften Free Agent an Land zu ziehen. Kevin Love, Marc Gasol, LaMarcus Aldridge und Rajon Rondo könnten auf dem Markt sein - und Jackson wird sie locken, wie er auch Anthony lockte.
Das Trio Jackson/Fisher/Melo wird dann ein Jahr gemeinsam in New York verbracht haben. Sie werden gelernt, sich aneinander gewöhnt haben. Vielleicht beherrschen die Knicks sogar bereits JacksonsTriangle. Ganz sicher wird Anthony aber einen ersten Eindruck bekommen haben, ob er sich abseits des Geldes, abseits des Umfelds richtig entschieden hat. Dann so gern er offenbar ein Knick ist, die Chance auf eine Meisterschaft - zumindest vorläufig - aufzugeben, ist eine weitreichende Entscheidung.