Dem Amerikaner wird nachgesagt, er liebe Cinderella-Stories. Wahrscheinlich steht er damit nicht einmal alleine da. Tellerwäscher. Millionär. Märchen. All diese Dinge wissen in Kombination nun mal zu gefallen. Man fühlt irgendwie mit, gönnt einem, der von (fast) ganz unten kommt, den Erfolg noch bedingungsloser. Jungs (und Mädels), die sich durchbeißen, sich auch von etwaigen Widrigkeiten nicht vom eigenen Weg abbringen lassen und am Ende ihr Ziel erreichen, faszinieren einfach.
Wohl auch deshalb zierte Jeremy Lin anno 2012 gleich zwei Mal das Cover der "Sports Illustrated". "Linsanity" hatte die Association schneller erobert als Charles Barkley Burger Nummer zwei ordern kann. Von Landry Fields' Couch ging es gewissermaßen direkt auf die ganz große Bühne - und Lin performte. Diese Selbstverständlichkeit. Diese Gamewinner. Diese Furchtlosigkeit. All das kreierte einen Mythos, dessen Strahlkraft mittlerweile längst ähnlich rapide abgenommen hat wie sie einst an Helligkeit gewann.
Melo zieht den Linsanity-Vergleich
In Vergessenheit geraten wird Linsanity dennoch nie. Zu intensiv war die Kurzzeitbeziehung zwischen Point Guard, Fans und Knicks. Zu schön das Erlebnis. Und wie zum Beweis zog Carmelo Anthony erst in dieser Woche den Vergleich zu Lin, erinnerte an jene aufregenden Wochen im Februar, März und April 2012. "Ich würde sagen Linsanity. Er hatte auch diese Einstellung, die großen Würfe zu nehmen, als er hierher kam", diktierte Melo am Dienstag in die Mikrofone der Reporter.
Was Anthony damit sagen will: Ihm hatte die Leistung des Langston Galloway durchaus zugesagt. Der hatte beim Sieg gegen die Thunder, New Yorks viertem aus den vergangenen fünf Spiele - angesichts der zuvor schier unendlichen Niederlagenserie ein kleines Basketballwunder - 18 Punkte, 4 Rebounds, 4 Assists und 3 Steals aufgelegt, 7 seiner 15 Würfe getroffen. "Ich ziehe eigentlich ungern Vergleiche", erklärte Melo, "aber Langston ist einfach bereit, den wichtigen oder offenen Wurf zu nehmen. Er liebt diese Momente."
Auf Umwegen zu den Knicks
Langsanity, also? Langsam! Beinahe wäre Galloways Engagement in New York City nämlich noch kürzer ausgefallen als jenes des Jeremy Lin, der die Knicks nach wenigen Monaten gen Houston verließ. Denn nachdem er beim vergangen Draft leer ausgegangen, während der Summer League dennoch Teil der Knicks gewesen war, hatten die Bockers Galloway im Oktober entlassen und ihn schlussendlich beim Farmteam, den Westchester Knicks untergebracht.
Dort überragte Galloway, führte sein Team in 19 Spielen in Punkten (19,5), Rebounds (5,9) und Assists (2,4) an. Ganz nebenbei verdingte er sich als geschicktester Balldieb der gesamten D-League (2,7 Steals). Genügend Argumente für die Knicks, Galloway eine weitere Chance zu geben.
Es folgte ein Zehntagesvertrag, gute Leistungen, noch ein Zehntagesvertrag, noch bessere Leistungen - und schließlich die Krux. Einen dritten Kurzzeitvertrag sehen die Ligastatuten nicht vor. Um Galloway zu halten, mussten die Knicks ihn also für die gesamte Saison binden - ging es nach Langston selbst am besten gleich für die nächste dazu.
Zähe Verhandlungen mit Jax
Genau dort liegt jedoch die Schwierigkeit. Phil Jackson steht derzeit nicht zwingend auf längerfristige Engagements von Rollenspielern, die im Sommer wertvollen Cap Space vereinnahmen könnten. Deshalb könnte Pablo Prigioni ein Trade bevorstehen. Deshalb wurde Shane Larkins Option über knapp 2 Millionen Dollar nicht gezogen. Und deshalb war Galloway am 27. Januar kurzzeitig auch Free Agent.
Um es noch kürzer zu machen: Am Ende einigte man sich. Galloways Vertrag ist für die restliche Saison garantiert, für die kommende teilweise. Ist er am 1. Juli noch Teil der Knicks, erhält der Guard 275.000 Dollar des Sophomore-Minimums (845.000 Dollar), hält er bis zum Training Camp durch, winkt mehr als die Hälfte.
Beide Parteien dürften, nein sollten, glücklich sein. Galloway, da er seinen ersten echten NBA-Vertrag unterschrieben hat. Die Knicks, da sie einen mehr als soliden Rollenspieler vorerst zu äußerst günstigen Konditionen an sich gebunden haben. Denn so sehr man im Big Apple auch auf die großen Namen schielen mag, ohne brauchbare Rollenspieler, die noch dazu gewissen Eigenschaften mitbringen, ist noch kein Team ausgekommen.
Fisher begeistert
Und genau so einen könnten die Knicks in Langston Galloway gefunden haben. Die ersten zehn Spiele des Point Guards erscheinen jedenfalls vielversprechend. 11,9 Punkte (41,3 Prozent FG, 36,6 Prozent 3FG), 3,9 Rebounds sowie 3 Assists steuert Galloway bei, seitdem er seinen ersten Zehntagesvertrag unterschrieb. Und es sähe noch vielversprechender aus, wäre da nicht dieses Pacers-Spiel, das die eigentlich so schöne Statistik ein wenig nach unten zieht (2/10 FG, 0/3 3FG, 4 Punkte).
Am Gesamteindruck ändert das allerdings wenig. "Hier zu sein, schüchtert Langston nicht ein", erklärt Coach Derek Fisher der "New York Post". Zudem sei er dank seiner vier Jahre am College sehr reif für einen jungen Spieler, habe keine Angst vor dem großen Moment. Deshalb sei Fisher auch nicht überrascht.
Galloway und die Triangle? Passt!
Doch mehr noch: Galloway scheint wirklich ins Gesamtkonzept der Knicks zu passen. Gegen OKC spielte er beispielsweise größtenteils auf der Zwei, brachte aber auch immer wieder den Ball nach vorne, um dann in die abseitige Ecke zu cutten - und fügte sich damit bestens in die Triangle Offense, Phil Jacksons große Liebe, ein.
Zudem trifft Galloway den Dreier durchaus präzise, hält immer noch den Rekord für die meisten verwandelten Triples seiner St. Joseph's University (343). In der Association hat er zudem seine Liebe zum Dreier aus dem Catch-and-Shoot entwickelt und trifft nach Pass ohne Dribbling gute 47,8 Prozent seiner Würfe von jenseits des Perimeter.
Dass er Screens zuvor effektiv zu nutzen, gute Cuts zu laufen weiß, dass er selten wilde Würfe nimmt, prädestiniert Galloway nur noch mehr für die Triangle. Dass der Guard noch dazu verteidigen kann, lässt ihn zu einer Komponenten werden, die bei den Knicks anno 2015 nicht zwingend selbstverständlich ist.
Direkt gegen Russ und Harden
So setzte Fisher seinen Rookie gegen die Thunder direkt auf Russell Westbrook, gegen Houston auf James Harden an. Keine angenehme Aufgabe für einen Neuling. Galloway verfehlte seine Aufgabenstellung zwar nicht unbedingt, zumindest ein wenig überfordert war er mit zwei der besten Scorer der Liga dann aber doch. Hin und wieder verschlief er Cuts abseits des Balls, reagierte ein wenig spät und hatte Probleme, um Screens herumzukommen. Auch die Recovery war ausbaufähig.
Harden und Westbrook scorten dann auch munter drauf los, im Ansatz schränkte Galloway die beiden allerdings doch ein. Speziell Westbrook, der trotz 40 Punkten am Ende lediglich 13 seiner 30 Würfe traf. "Ich habe einfach versucht, vor ihm zu bleiben und sicherzugehen, dass ich all seine Würfe conteste", hatte Galloway zuvor bereits seine Herangehensweise gegen Harden erklärt. "Das habe ich dann auch getan." Houstons Zweier beendete das Spiel dennoch mit 25 Punkten.
Das Wichtigste aber: Galloway hielt dagegen, ließ sich weder von Westbrook noch von Harden einschüchtern. "Er spielt einfach. Er spielt mit Selbstvertrauen", lobt Melo. Ama're Stoudemire liebt es einfach, "einen jungen Spieler hart arbeiten zu sehen." Galloway spiele hart, spiele Teambasketball.
Amar'e liebt es
Lob von allen Seiten. Klingt ein wenig nach Linsanity - und hat am Ende doch nichts mit der Situation von vor fast genau drei Jahren gemein. Schließlich sieht in Langston Galloway am Ende niemand mehr als er ist. Auch die "Sports Illustrated" dürfte noch nicht angefragt haben. Denn am Ende ist Langston Galloway keiner, der die Knicks in eine goldene Zukunft tragen wird. Er ist ein hart arbeitender, produktiver Rollenspieler - nicht mehr, aber auch nicht weniger.
Solche Spieler sind für die kleinen Dinge zuständig, jene, die nicht zwingend in den Statistiken auftauchen. So kommen die Knicks auf 100 Ballbesitze mit Galloway auf etwas weniger Punkte als ohne ihn (Offensive Rating: 98,9 gegenüber 96,7). Auch das Shooting ist trotz guter eigener Quoten geringfügig schlechter (51,7 Prozent True Shooting gegenüber 50,5). Dafür sinkt die Differenz aus Offensive- und Defensive-Rating, das Net Rating, mit Galloway leicht (-8,9 gegenüber -7,9).
Am Ende lassen sich Energie, Arbeitseifer und Einsatz eben nicht unbedingt in Statistiken ausdrücken. Ebenso wie der Schub, den Galloway den Knicks verleiht, wenn er wie gegen die Rockets einen amtlichen Put-Back-Dunk auspackt. Dem Rookie wird all das ohnehin egal sein. "Ich nehme jeden Moment, jedes Spiel für sich", sagt er. "Ich gehe einfach da raus, habe Spaß, genieße den Moment und arbeite im Training hart weiter." All das hat Langston Galloway in die NBA gebracht. Eine schöne Geschichte. Aber, bitte: Don't call it Langsanity!