Ob es ihn angesichts der Dominanz von LeBron James wundere, dass dieser so selten 50-Punkte-Spiele auflegt, wurde J.R. Smith nach dem Spiel gegen die Wizards von ESPN gefragt. "Ja und nein", begann dieser seine Antwort. "Einerseits ist das nicht typisch für ihn: Er ist ein Teamspieler, der alle involvieren will. Aber andererseits gibt es Tage, an denen man es einfach selbst machen muss. Vor allem, wenn man in einer solchen Krise steckt wie wir."
Man würde das beim Hennessy-Philosophen Smith womöglich nicht vermuten, aber mit dieser Aussage hat er James ziemlich optimal zusammengefasst. LeBron ist zeit seiner Karriere mehr Magic als Jordan, von Natur aus mehr Passer als Scorer - aber es gibt sie, diese Ausbrüche. Diese "Tage, an denen man es einfach selbst machen muss."
Freitag war so ein Tag.
Statement-Duell gegen Washington
Die von Smith angesprochene Krise sah wie folgt aus: Die Cavs hatten vier Spiele am Stück verloren, in den letzten sechs Spielen hatte es nur einen (knappen) Siege gegen die harmlosen Bulls gegeben. Die Defense Clevelands war ein dampfender Haufen Abfall, die Stimmung mies, die Form einiger Leistungsträger noch mieser. Auch wenn jeder gern darauf hinwies, wie früh in der Saison es noch ist, gab sogar Coach Tyronn Lue zu, dass er nicht mehr ruhig schlafen konnte.
Und dann stand da die Partie in Washington an - bei den leicht großmäuligen Wizards, die als einer der potenziellen Thronfolger der Cavs im Osten gelten und im Vorfeld der Partie sogar behaupteten, Cleveland habe Glück gehabt, als man ihnen in den letzten Playoffs aus dem Weg gehen konnte. "Das ist witzig", sagte Smith dazu.
Trotzdem war natürlich jedem klar, dass in der Hauptstadt die Möglichkeit eines Statement-Games gegeben war. "Er wusste, wie wichtig dieses Spiel für uns war", sagte Dwyane Wade daher im Anschluss über seinen besten Kumpel in der Liga. "Nach den vier Niederlagen am Stück hat er uns heute auf seine Schultern genommen."
Tyronn Lue: Lebron James hat uns getragen
So konnte man es ausdrücken. Vom Start weg war LeBron heiß, traf insgesamt 23 seiner 34 Field Goals - wobei die getroffenen Würfe sogar ein Career High waren. Dazu traf er alle neun Freiwürfe. James spielte 43 von 48 Minuten, darunter die komplette zweite Halbzeit, weil Washington sich trotz seiner Leistung nicht abschütteln ließ.
"Ende des dritten Viertels kam er zur Bank und ich habe ihn gefragt, ob er eine kurze Pause braucht. Er verneinte das", sagte Lue. "Wir haben gesehen, dass er sich gut gefühlt hat. Er hat uns getragen."
Dabei verteidigten die Wizards ihn nicht einmal schlecht, aber James war in der gleichen Zone, in der er beispielsweise auch 2012 in Spiel 6 der Eastern Conference Finals war, als er Boston 45 Punkte einschenkte. "Es fühlt sich so an, als würde jeder Wurf reingehen", beschrieb James das Gefühl selbst. "Sogar die, die eng verteidigt wurden. Ich hatte einfach meine Augen aufs Ziel gerichtet und habe versucht, diszipliniert mit meinem Wurf und meiner Balance zu bleiben."
James: Von wegen "außer Form"!
James hatte vor rund einer Woche noch gesagt, er sei "außer Form". Nun wurde er nach Kobe Bryant zum zweiten Spieler, der in seiner 15. Saison oder später noch 50 Punkte in einem Spiel erzielte. Er ist zudem (natürlich) auch der jüngste Spieler der Geschichte, der die Marke von 29.000 Punkten geknackt hat.
"So gut habe ich mich in meiner Karriere noch nie gefühlt", sagte der 32-Jährige nach dem Spiel. "Ich werde vielleicht nicht jünger, aber ich fühle mich jünger denn je. Ich habe heute getan, was ich tun musste."
Auch Wizards-Coach Scott Brooks konnte da nur staunen. "Wir haben hier einen der besten Spieler gesehen, den es je gab oder geben wird", so Brooks. "Er hat es noch drauf, falls sich das jemand von euch gefragt hat. Wir wussten das. Wir haben alles versucht, aber er war einfach nicht zu stoppen. Man kann ihm nur auf die Schulter klopfen und die Partie abhaken. Großartiges Spiel, unglaublicher Spieler."
LeBron: Pure Dominanz in der Zone
Interessant war dabei auch die Art und Weise, wie LeBron seine 57 Punkte erzielte. Üblicherweise kamen seine bisher elf 50-Punkte-Spiele an Tagen zustande, an denen sein Dreier on point war: Im Schnitt traf er in diesen Partien fünf Dreier. Gegen Washington dagegen waren es nur zwei - den Großteil seines Schadens richtete LeBron im Post an.
Kompromisslos nahm James seine physisch schwächeren Gegenspieler (das sind alle) immer wieder auf den Rücken und scorte. 14 Treffer verzeichnete James am Ende in der Restricted Area, er traf 70 Prozent seiner Würfe nach Post-Ups (via ESPN Stats & Info). "Das würden viele gerne immer von ihm sehen, nicht wahr?", fragte Wade nach dem Spiel rhetorisch.
Schließlich verfolgt James diese Kritik seit seinen ersten Cleveland-Jahren. "Sie fragen sich: Warum macht er das nicht immer? Aber das ist ein extremer Kraftaufwand. Und er spielt normalerweise weiter draußen, weil er ein Pass-First Spieler ist. Aber heute wusste er, dass ihn keiner verteidigen kann und wir ihn brauchten", erklärte Wade weiter. "LeBron dominiert jedes Spiel. Aber wenn er so spielt, so einen Rhythmus hat, kann ihn einfach niemand stoppen."
Das ist korrekt - und das ist auch kein Geheimnis. LeBron ist schon lange deutlich mehr an den Playoffs interessiert, trotzdem kann er auch in der Regular Season immer mal wieder zeigen, dass der beste Spieler der Welt (noch) in Cleveland spielt.
Es sollte trotzdem niemand erwarten, dass er diese Leistungen jetzt Nacht für Nacht abspulen wird.
Ausnahme, keine Regel
Wade hat es angesprochen: Der Kraftaufwand ist zu hoch. LeBron mag körperlich einer der größten Freaks in der Geschichte des Sports sein, auch er ist jedoch darauf angewiesen, sich seine Kräfte zumindest ein wenig einzuteilen. Dass die Cavs trotz dieser Performance nur haarscharf gegen Washington gewinnen konnten, zeigte eben auch auf, dass ihre zahlreichen Probleme noch lange nicht gelöst sind.
Für diesen einen Tag war es jedoch mal wieder LeBron, der all diese Probleme mit einem Spiel für die Ewigkeit kaschierte. "Ich war nur froh, dass ich in seinem Team war", staunte auch Derrick Rose. "Es war eine höllische Leistung. Wenn überhaupt, kann man davon nur lernen und versuchen, alles auf sich wirken zu lassen. Bei so einer Leistung sieht man, wie er dorthin gekommen ist, wo er jetzt steht."
Auf dem Olymp. Selbst wenn sein Team momentan weit davon entfernt ist.