Hassan Whiteside verschwendete nach seiner Ankunft in Portland nicht viel Zeit, um die Herzen der Einwohner zu erobern. In den sozialen Netzwerken postete er eine Serie von Videos, in der zu sehen ist, wie er auf den Straßen Portlands Donuts verteilt und schreit: "Auf geht's Portland, auf geht's Blazers." Und: "Wir teilen Liebe, wir brauchen keinen Hass!"
Ob sich das Verhältnis zwischen Whiteside und den Blazers tatsächlich zu dem erhofften Liebesverhältnis entwickelt, steht trotz der Aktion noch in den Sternen. Der Center wurde im Zuge des Vier-Team-Trades um Jimmy Butler nach Portland verschifft. Im Gegenzug gaben die Blazers Meyers Leonard (nach Miami) und Maurice Harkless (zu den Clippers) ab.
Die Parameter des Vier-Team-Trades um Hassan Whiteside
Team | erhält... |
Portland Trail Blazers | Hassan Whiteside |
Philadelphia 76ers | Josh Richardson |
Miami Heat | Jimmy Butler, Meyers Leonard |
Los Angeles Clippers | Maurice Harkless, Erstrundenpick 2023 (Heat) |
Aus rein finanzieller Sicht hat sich durch diesen Deal für das Team aus Oregon nahezu nichts geändert: Die Verträge von allen drei Spielern, die aus Blazers-Sicht in den Tausch involviert waren, laufen nach der kommenden Saison aus. Whiteside kassiert in diesem Zeitraum gut 27 Millionen Dollar, bei Leonard und Harkless sind es kombiniert 22,3 Millionen.
Doch passt der einst so große Hoffnungsträger, dessen Karriere scheinbar in eine Sackgasse geriet, wirklich zu den Blazers? Die märchenhafte Geschichte vom mittlerweile 30-Jährigen ist hinlänglich bekannt: Nach einem Jahr an der Marshall University wurde Whiteside im Draft 2010 an 33. Stelle von den Sacramento Kings gepickt, für die er in zwei Jahren nur 19 Mal in der NBA auflief, bevor er entlassen wurde.
Hassan Whiteside: Neuanfang bei den Trail Blazers
In den folgenden zwei Spielzeiten legte Whiteside eine Odyssee durch die G-League hin inklusive Abstechern in den Libanon und nach China. Durch die dortigen Erfolge spielte er sich wieder auf den Radar der NBA-Scouts und über den Umweg Memphis am 24. November 2014 in den Kader der Heat. Whiteside lieferte ab und wurde nach der darauffolgenden Spielzeit, in der er 14,2 Punkte, 11,8 Rebounds und 3,7 Blocks auflegte, im mittlerweile berühmt-berüchtigten Sommer 2016 mit einem Vierjahresvertrag über knapp 100 Millionen Dollar fürstlich entlohnt.
Bestätigten seine Leistungen in der Folgesaison (17,0 Punkte, 14,1 Rebounds) noch die Verantwortlichen in ihrer Entscheidung, ging es im Anschluss rapide bergab. Immer wieder bereiteten die Knie Schmerzen und auch im zwischenmenschlichen Bereich nahmen die Probleme zu. Der Grundtenor in den Medien: Die Heat hätten dem No-Name eine Chance gegeben und ihn dann mit einem (zu) großen Vertrag ausgestattet. Whiteside mangele es aber im Gegenzug an Dankbarkeit und Reife.
Ein Beispiel: Unter anderem mit der Ankunft von Bam Adebayo im Draft 2017 änderte sich Whitesides Rolle bei den Heat. Dieser legte spätestens in seiner zweiten Saison eine steile Entwicklung hin und knüpfte Whiteside Minuten ab. Zudem folgte auch Head Coach Erik Spoelstra dem Trend der Liga und ließ zunehmend mit kleineren Lineups spielen. Die Reaktion von Whiteside nach einem Spiel gegen Brooklyn im April 2018 hatte es in sich: "Es nervt. Wir haben einen der besten Center der Liga. Warum nutzen wir das nicht aus?"
Äußerungen wie diese führten dazu, dass sich die Kluft zwischen Front Office, Teamkollegen und Whiteside zunehmend vergrößerte. Während auch die aktuellen Zahlen auf den ersten Blick den Eindruck eines zu teuren, aber überdurchschnittlichen Centers vermitteln, sagt der Eye-Test etwas anderes.
Whiteside wirkt bisweilen desinteressiert, zeigt mangelndes taktisches Verständnis und besitzt nicht die Eigenschaften, die ein Center mitbringen sollte: effizientes Post-Up-Spiel in der Offense, Switching in der Defense, ein solider Wurf. Hinzu kommt die Anfälligkeit für Fouls (4,1 pro 36 Minuten über seine Karriere).
Hassan Whiteside ab 2017 bei den Heat auf dem Abstellgleis
Deutlich positiver schätzen selbstverständlich die Verantwortlichen in Rip City die Lage ein: General Manager Neil Olshey sieht in der Verpflichtung eine Entscheidung, die einen großen Einfluss auf das Team haben wird. "Er ist ein elitärer Rebounder, Shot-Blocker und hat eine enorme Präsenz in der Zone an beiden Enden des Feldes. Wir wollten ihn bereits mehrmals nach Portland holen und sind euphorisch, dass es geklappt hat."
Einen weiteren Unterstützer hat Whiteside in Franchise-Spieler Damian Lillard, der sich mit einem neuen Maximal-Vertrag langfristig an Portland gebunden hat. Dieser erklärte, dass er Whiteside ins Team integrieren wolle. "Ich sagte ihm: 'Ich verstehe, dass du manchmal sauer bist und dich der Coach frustriert. Aber du musst verstehen, dass ich das Beste in dir zum Vorschein bringen will. Wenn wir gewinnen wollen, brauche ich dich und du brauchst mich'", zitiert ihn Jason Quick von The Athletic.
Blickt man über diese pathetischen Worte hinweg, die sicherlich schon der ein oder andere Neuzugang vernommen hat, ohne nachhaltig beim neuen Team erfolgreich zu sein, so ist der Trade für Whiteside durchaus nachvollziehbar: Starting-Center Jusuf Nurkic wird nach seinem Beinbruch noch bis mindestens Februar 2020 ausfallen, Whiteside kann diesen Eins-zu-Eins ersetzen, auch wenn ihm das gelegentliche Aufposten des Bosniers oder dessen Defense (abgesehen von den Blocks) abgeht.
Dafür liegt die große Stärke im Offensiv-Spiel Whitesides im Pick'n'Roll. In der vergangenen Saison legte der Big in Situationen als Roll-Man 1,29 Punkte pro Ballbesitz auf (bei 2,5 Possessions pro Partie). Das ist der sechstbeste Wert unter allen Big Men mit mindestens 2 Possessions pro Partie - und besser als Nurkic' Wert (1,13 bei 4 Ballbesitzen im Schnitt). Dass Lillard liebend gerne aus dem Pick'n'Roll kreiert, passt da perfekt.
Gemeinsam mit Zach Collins, einer der positiven Überraschungen in den Playoffs, kann er sich die Minuten unter dem Korb je nach Matchup aufteilen, wobei beide unterschiedliche Stärken in die Waagschale werfen. Sicherlich schmerzen die Abgänge von Leonard, Harkless und zusätzlich Al-Farouq Aminu, die verlässliche Rollenspieler waren - aber eben auch nicht mehr. GM Olshey entschied sich dafür, das durch den Ausfall von Nurkic entstandene Loch auf der Fünf zu stopfen.
Portland Außenseiter im offenen Playoff-Rennen
Die Besetzung auf dem Flügel wird dadurch zu einer Puzzle-Aufgabe, wobei mit Spielern wie dem bereits erwähnten Collins, Anthony Tolliver, Skal Labissiere, Mario Hezonja oder auch Rookie Nassir Little verschiedene Möglichkeiten für kleine oder große Lineups geboten sind - keine Wunschlösung, aber immerhin gibt es Raum für Experimente. Blickt man auf die vergangenen Jahre, so wurde spätestens in den Playoffs deutlich, dass insbesondere Aminu und Harkless offensiv kaum spielbar waren.
Inwiefern dies bei einem Whiteside anders sein wird, ist fraglich, denkt man an Matchups gegen Nikola Jokic, Anthony Davis oder auch Rudy Gobert. Andererseits hat Portland mit der Verlängerung von Rodney Hood und der Verpflichtung von Kent Bazemore andere Baustellen adressiert, was die Last auf den Star-Backcourt mildern könnte.
Im neu zusammengewürfelten Westen kommt den Blazers - wie schon gewohnt - in der aktuellen Besetzung sicherlich keine Favoritenrolle zu. Betrachtet man aber die Ausgangslage in Los Angeles, so müssen sich dort neue Teams zusammenfinden, während Portland mit ihren Stars Lillard und C.J. McCollum bereits Konstanten aufweisen kann. Vielleicht kann sich Whiteside auch zu einer solchen entwickeln.
Zusätzliche Hoffnung besteht, da sich der Center in der Schlussphase der vergangenen Saison ohne Klagen mit einer Bankrolle bei den Heat zufriedengab und ordentliche Leistungen zeigte. Portland wagt ein Kurzzeit-Projekt und kann nach der Saison neu evaluieren, ob es von Erfolg gekrönt war, oder eben Whiteside ziehen lassen. Spätestens dann wird auch klar sein, ob die Liebe, die der Center bei seiner Ankunft in Form von Donuts in der gesamten Stadt verteilte, auch wirklich erwidert wird.