Die NFL ist ein überaus schnelllebiges Geschäft. Kaum ein Team verkörpert diese Tatsache aktuell so wie die Jacksonville Jaguars.
Es liegt keine drei Jahre zurück, dass die Jaguars sich mit zehn Siegen den Titel in der AFC South sicherten und nach Siegen über die Buffalo Bills und die Pittsburgh Steelers bis ins AFC Championship Game einzogen. Wäre Myles Jacks Fumble Recovery auf dem Weg zu einem defensiven Touchdown im Spiel gegen die New England Patriots damals nicht vorschnell abgepfiffen worden, hätte Jacksonville vermutlich sogar den Super Bowl erreicht.
Wer in jener Saison den Beginn der Ära eines jungen, erfolgshungrigen Teams sah, sollte allerdings enttäuscht werden. In den zwei darauffolgenden Saisons gewannen die Jaguars gerade mal elf Spiele insgesamt und schlossen die Spielzeit jeweils auf dem letzten Platz in ihrer Division ab. Heute erinnert fast nichts mehr an die Mannschaft, die damals nur knapp am ersten Titel der Franchise-Geschichte vorbei geschrammt war.
Jacksonville Jaguars: Kaum ein Team wirkt schwächer
Aus der herausragenden Defense rund um Calais Campbell, Yannick Ngakoue, der kürzlich nach Minnesota getradet wurde, Telvin Smith, A.J. Bouye und Jalen Ramsey ist nur Jack geblieben. Mit Quarterback Blake Bortles, Wide Receiver Allen Robinson und Running Back Leonard Fournette, der vor wenigen Tagen entlassen wurde, sind auch die Gesichter der damaligen Offense nicht mehr mit an Bord.
Nur wenige Tage vor der anstehenden Saison macht ligaweit kaum ein Team einen schwächeren Eindruck als die Jaguars. Stars und Leistungsträger sucht man innerhalb der Mannschaft nahezu vergeblich, eine echte Stärke scheint kein Mannschaftsteil darstellen zu können.
Auch auf der Quarterback-Position, der mit Abstand wichtigsten im Football, herrscht auf lange Sicht Unklarheit. Gardner Minshew II zeigte in seiner Rookie-Saison zwar durchaus vielversprechende Ansätze, verfügt als Sechstrundenpick aber noch längst nicht über das Ansehen eines Franchise-Quarterbacks. Er wird 2020 beweisen müssen, dass er Jacksonvilles langfristige Lösung auf der Position sein kann. Angesichts des dünnen Supporting Casts eine Mammutaufgabe.
Jacksonville Jaguars: Hier spielt die Defense von 2017 heute
Spieler | Position | Heutiges Team |
Calais Campbell | Defensive End | Baltimore Ravens (Trade) |
Malik Jackson | Defensive Tackle | Philadelphia Eagles (Entlassung) |
Marcell Dareus | Defensive Tackle | Free Agent (Vertragsende) |
Yannick Ngakoue | Edge Rusher | Minnesota Vikings (Trade) |
Dante Fowler Jr. | Edge Rusher | Atlanta Falcons (Trade zu den Rams) |
Myles Jack | Linebacker | Jacksonville Jaguars |
Telvin Smith | Linebacker | Karriereende |
A.J. Bouye | Cornerback | Denver Broncos (Trade) |
Jalen Ramsey | Cornerback | Los Angeles Rams (Trade) |
Aaron Colvin | Slot Corneback | Free Agent (Vertragsende) |
Tashaun Gipson | Free Safety | Chicago Bears (Entlassung) |
Barry Church | Strong Safety | Karriereende (Entlassung) |
Jacksonville Jaguars: Viele Draft-Picks und viel Cap Space
Somit richtet sich der Blick in Florida schon vor dem Beginn der diesjährigen Spielzeit in die Zukunft: Die Trades von Ramsey und Ngakoue haben dem Team einige hohe Draft-Picks beschert, 2021 wird die Franchise in der ersten und zweiten Draft-Runde über einen zusätzlichen Pick verfügen.
Diese Spieler sollen dann zusammen mit den Rookies C.J. Henderson, K'Lavon Chaisson und Laviska Shenault sowie den jungen Josh Allen, Jawaan Taylor und D.J. Chark die Zukunft der Franchise gestalten. Von den erfahreneren Spielern scheinen derzeit nur die Linebacker Myles Jack und Joe Schobert sowie eventuell Wide Receiver Dede Westbrook und Center Brandon Linder wirklich Teil der langfristigen Planung der Jaguars zu sein.
Kein Team strebt derzeit einen so radikalen Rebuild wie Jacksonville unter General Manager David Caldwell an. Das Team verschiffte nicht nur Spieler wie Ramsey und Ngakoue, die einen hohen Gegenwert einbrachten, auch erfahrene Veteranen wie Campbell und Bouye wurden zu einem Schnäppchenpreis abgegeben.
Die eigene Mannschaft schwächt das mit Blick auf die kommende Saison zweifelsohne enorm, langfristig verschaffen sie dem Team allerdings auch deutlich früher wieder deutlich mehr Handlungsspielraum. In der kommenden Offseason werden ausschließlich die Indianapolis Colts über mehr Cap Space verfügen. Durch Entlassungen der Interior Offensive Linemen Linder und Andrew Norwell könnten die Jaguars sogar über das meiste Geld aller Teams verfügen.
Jacksonville Jaguars: Cleveland und Miami als Vorbilder?
Trotz der aktuell so niedrigen Qualität im Team kann die Franchise von Teambesitzer Shahid Khan dank ihrer Draft Picks und ihres Cap Spaces somit durchaus einen schnellen Turnaround anstreben. Die Vorbilder für den Weg der Jaguars sind klar: Die Browns und die Dolphins schlugen in den vergangenen Jahren bereits einen ähnlichen Weg ein. Inwieweit diese Strategie tatsächlich von Erfolg gekrönt sein wird, ist allerdings noch fraglich.
Cleveland erlitt im Vorjahr trotz eines zweifelsohne hochtalentierten Teams einen Rückschlag in seiner Entwicklung. Miami ist derweil noch in einem zu frühen Stadium seines eigenen Projekts, um eine Prognose über Erfolg oder Nichterfolg der Strategie abgeben zu können.
Letztlich steht und fällt der Umbruch sowohl in Jacksonville als auch in Cleveland und Miami mit dem Quarterback. Hinter der Klasse von Baker Mayfield stehen nach einer durchwachsenen zweiten Saison wieder vermehrt Fragezeichen, für Tua Tagovailoa gilt vor dessen Rookie-Saison noch ähnliches.
Die Jaguars befinden sich diesbezüglich allerdings in einer durchaus beneidenswerten Situation: Überzeugt Minshew in der kommenden Saison restlos, kann er als Franchise Quarterback übernehmen. Bleiben Zweifel an dem 24-Jährigen, bietet der Draft 2021 eine sehr gute Chance, um dessen Nachfolger zu finden: Mit Trevor Lawrence wird dann wohl eines der größten Quarterback-Talente aller Zeiten zur Verfügung stehen, auch Justin Fields und Trey Lance werden als potenzielle Star-Quarterbacks gehandelt. Mit zwei Erst- und zwei Zweitrundenpicks verfügen die Jaguars zudem über genug Trade-Munition, um zur Not nach oben zu traden und sich ihren Wunsch-Quarterback zu schnappen.
Jacksonville Jaguars: Erfolg des Rebuilds ist fraglich
Die Fans in Jacksonville werden sich somit auf eine durchwachsene Saison 2020 einstellen müssen. Die langfristigen Aussichten könnten allerdings deutlich trüber sein, ein gewisses Fundament für einen schnellen Rebuild ist durchaus vorhanden.
Ob dieser schnelle Aufbau eines Teams praktisch von Grund auf tatsächlich gelingen kann, bleibt vorerst allerdings noch abzuwarten. Sollten die Browns oder sogar die Dolphins sich in der kommenden Saison erfolgreich präsentieren können, gäbe dies sicher Grund zur Hoffnung.
Für weniger Euphorie dürfte derweil ein Blick in die NBA sorgen: Dort leiteten die Philadelphia 76ers vor fünf Jahren den radikalsten Rebuild aller Zeiten ein, verschifften ihre besten Spieler für Picks und spielten die schlechteste Saison der Teamgeschichte, um in den Folgejahren angreifen zu können.
Vor knapp zwei Wochen schieden die Sixers in der ersten Playoff-Runde mit 0-4 gegen die Boston Celtics aus. Auf ihren ersten tiefen Playoff-Run wartet die Franchise somit nach wie vor.