4. Dolphins-Offense: Luft nach oben für Tua und Co.
Es wird eine der prägenden Storylines dieser Saison sein, und für mich eine der spannendsten Storylines: Die Star-Receiver, die in der vergangenen Offseason getradet wurden, und deren Effekt einmal auf die neue Offense und, in mehreren Fällen, die jungen Quarterbacks, andererseits aber auch auf ihre alten Offenses und die Elite-Quarterbacks, die hier in Person von Aaron Rodgers und Patrick Mahomes jetzt andere Wege finden müssen. Es ist in gewisser Weise ein Live-Experiment dafür, wie viel Wert ein solcher Receiver nicht nur individuell, sondern auch strukturell für eine Offense hat.
In Miami ist das nur ein Teil eines vielschichtigen Offense-Narrativs: Wie werden Tyreek Hill und Jaylen Waddle, zwei durchaus ähnliche Receiver-Spielertypen, gemeinsam eingesetzt? Was macht Mike McDaniel, ein Shanahan-Schüler, mit zwei solchen Waffen? Und dann übergreifend für die gesamte Franchise: Kann Quarterback Tua Tagovailoa den erhofften Sprung machen, sodass man in South Beach nach der Saison davon überzeugt ist, dass er der langjährige Franchise-Quarterback ist?
Unter Quarterbacks mit mindestens 300 Pässen hatte in der vergangenen Saison einzig Josh Allen im Schnitt weniger Yards nach dem Catch pro Completion als Tua Tagovailoa. Bei Allen lässt sich das mit der Struktur der noch immer relativ Spread-lastigen und auch vertikalen Offense erklären; und auch bei Tua finden sich Antworten im Scheme.
Die RPO-lastige Hardcore-Quick-Game-Offense, welche als oberste Direktive gefühlt nicht das Bewegen des Balls, sondern das Verstecken der Offensive Line ausgerufen hatte, ermöglichte nicht viele YAC-Gelegenheiten. Und außerhalb von Jaylen Waddle hatte Miami auch nicht die Spieler dafür.
Das für sich betrachtet hat sich mit den Verpflichtungen von Tyreek Hill und Cedrick Wilson bereits signifikant verändert; mindestens aber genauso spannend ist die Frage danach, ob Mike McDaniels Offense strukturell betrachtet Tuas Wert (4,6 Yards nach dem Catch pro Completion) auf das Jimmy-Garoppolo-Level (6,5 YAC/CMP, Platz 1 in der NFL) anheben kann.
Tua hat definitiv die Accuracy dafür, meine größere Frage dafür war und ist, ob er auch die Toughness in der Pocket und die Bereitschaft mitbringt, den Ball kontinuierlich über die Mitte zu verteilen und die Yards-after-Catch-Gelegenheiten überhaupt zu kreieren, welche das Spiel von Jimmy Garoppolo ausgemacht haben.
Dolphins: Patriots-Spiel als erster interessanter Test
Das Patriots-Spiel hatte ich hierfür gleich als interessanten Test auf dem Zettel. Denn bei all den Fragen rund um die Patriots-Defense: New England hat sich eine sehr physische Defensive Line aufgebaut, die den Run stoppen kann. Und das gelang New England weitestgehend auch sehr gut. Die Patriots hatten sich außerdem bereits letztes Jahr auf mehr Zone Coverage verlagert, den Ball in enge Fenster zu verteilen sollte also eine kritische Bedingung für einen positiven Auftritt der Dolphins-Offense sein.
Wer darauf gehofft hat, gleich schon deutliche Resultate davon zu sehen, sah sich getäuscht - und ehrlicherweise hatte ich auch mehr von Tua erwartet. Es war immer noch sehr viel Quick Game, und sehr viele ineffiziente Plays. Ineffizient, weil es Plays waren, bei denen der Receiver im Moment des Passes Richtung Line of Scrimmage zurück kam, statt horizontal zu crossen oder anderweitig in Position zu sein, um Yards nach dem Catch zu kreieren. Miami kam immer noch auf Yards nach dem Catch, weil die Dolphins so wahnsinnig viel Speed haben. Aber hier sollte noch viel Luft nach oben sein.
Es gab in der ersten Halbzeit genau ein Play, bei dem ich das als richtig gut umgesetzt empfand, und das war der Touchdown von Waddle. Tuas Ball-Placement war mitunter wacklig, einmal rettete ihn Tyreek Hill mit einem spektakulären Catch vor einer Interception und im vierten Viertel hätte er sehr gut eine weitere Interception haben können. Und die verbesserte Dolphins-Line wurde immer noch einige Male in einzelnen Spots sehr schnell geschlagen.
Auch vom gefürchteten Shanahan-Style-Run-Game war noch nicht viel zu sehen, die Dolphins konnten den Ball über weite Strecken so gut wie gar nicht am Boden bewegen.
Miamis Offense zu eindimensional - Tua zu limitiert?
Die Folge war eine Offense die etwas anders und individuell fraglos besser besetzt, aber doch noch mit zu vielen Parallelen zur Vorjahres-Version der Offense unterwegs war. Eine Offense, die wahnsinnig wenig Spielraum hat, weil sie eben nicht die Big Plays nach dem Catch und am Boden kreiert, weil sie dadurch häufig über Third Down gehen muss und weil sie in größere Löcher fällt, wenn sie sich wirklich aus einem Loch zurückgraben muss. Eine Offense, die immer noch etwas simpel im Passspiel wirkt, deren Quarterback limitiert scheint und die in der Line zwar besser, aber noch längst nicht dominant ist.
Es ist Week 1, es kann noch viel passieren, es wird noch viel passieren. Und Miami hat die Patriots zum Auftakt geschlagen, die Defense war gut und Tyreek Hill war direkt eine tragende Säule.
Ich hätte dennoch gerne mehr von Tua gesehen, und bis er es zeigt, werden seine Limitierungen - Armstärke, Improvisations-Talent, Mobilität - für mich das zentrale Thema in seiner Evaluation bleiben. Selbst wenn die Stats besser aussehen. Dieses Spiel war rein auf Tua betrachtet eher Wasser auf den Offseason-Hype rund um Miamis Quarterback.