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NFL: Die folgenschwere Free Agency von Albert Haynesworth 2009

Albert Haynesworth
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Die NFL sah 2009 erstmals einen Verteidiger, der in der Free Agency einen 100 Millionen Dollar schweren Vertrag unterschrieben hat. Doch weder Albert Haynesworth noch sein damaliges Team Washington wurden damit glücklich. Eher lief alles schief, was möglich war.

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Die NFL Free Agency ist keine exakte Wissenschaft. Sehr viele Dinge können schiefgehen und selbst wenn Spieler, die erstmals nach vier oder fünf Jahren - oder länger - Free Agent werden, heißt das nicht, dass man alles über sie weiß. Speziell wenn es darum geht, in ein neues Umfeld zu kommen, mit neuen Coaches, neuen Mitspielern oder einem neuen System. Zudem leiden sehr viele NFL-Entscheider seit jeher unter dem sogenannten "Recency Bias", was so viel heißt wie: Was jemand in der jüngeren Vergangenheit gemacht hat, ist viel wichtiger als das, was länger zurückliegt.

Wozu all das führen kann, erlebte die Washington-Franchise im Jahr 2009, als man sich wie der große Sieger der Free Agency fühlte und Defensive Tackle Albert Haynesworth zum bestbezahlten Verteidiger in der Geschichte der NFL machte - er wurde der erste 100-Millionen-Dollar-Verteidiger überhaupt.

Bevor wir hier ins Detail gehen, sei gesagt, dass seine schwere Zeit nach der Karriere nicht ignoriert werden sollte. Sie hat aber wenig Einfluss auf seine Zeit in der NFL, obgleich seine gesundheitlichen Probleme, allen voran die Notwendigkeit für eine Nierentransplantation im Jahr 2021, vermutlich auf die NFL-Zeit und seine jahrelange Einnahme des Medikaments Toradol zurückzuführen sein dürften. Seine öffentlichen Äußerungen nach dem Ende seiner NFL-Zeit hatten einen Einfluss darauf, dass es den Spielern von der Spielergewerkschaft nahegelegt wurde, Toradol nicht mehr zu nutzen, was unterm Strich ein positives Ergebnis dieser Geschichte war.

Hier soll es um die Free Agency von Haynesworth im Jahr 2009 gehen, denn es war eine folgenschwere Entscheidung für Washington und für den Rest der NFL, denn hier fiel eine Schallmauer, die bis dahin nur Quarterbacks vorbehalten war - die 100-Millionen-Dollar-Grenze.

Albert Haynesworth präsentierte zusammen mit seiner Mutter sein Washington-Trikot 2009
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Albert Haynesworth präsentierte zusammen mit seiner Mutter sein Washington-Trikot 2009

Haynesworth: Erstrundenpick der Tennessee Titans

Haynesworth war der 15. Pick im Draft 2002 von den Tennessee Titans. Und nachdem er ein paar Jahre brauchte, um sein volles Potenzial zu entfalten, avancierte er gegen Ende seines Rookie-Vertrags - diese waren seinerzeit noch frei verhandelbar und seiner ging über sechs Jahre - zu den besten Defensive Tackles der Liga. 2008 spielte er unter dem Franchise Tag, weil es nicht gelang, eine langfristige Lösung zu finden.

2009 ließen ihn die Titans dann nach zwei All-Pro-Saisons nacheinander ziehen. Und Hayynesworth verschwendete keine Zeit und unterschrieb im Grunde mit dem Start des neuen Liga-Jahres seinen Rekordvertrag in Washington.

Wie er später verriet, hatten ihm die Titans lediglich 28 Millionen Dollar geboten, die Tampa Bay Buccaneers boten sogar 135 Millionen Dollar.

Haynesworth: Statistiken rundum seine Free Agency 2009

SaisonTeamSpieleTacklesSacksPressures
2007Titans1324650
2008Titans1432837
2009Washington1224427
2010Washington810214
2011Patriots/Bucs1320016

Doch er wählte Washington, da er in einem größeren Markt spielen und damit mehr Aufmerksamkeit bekommen wollte - sein Ziel war die Hall of Fame und seiner Meinung nach kostete ihm der kleine Markt Nashville eine Chance, auf einen Defensive Player of the Year Award - in der AP-Wahl landete er in seinen zwei besten Jahren auf den Rängen zwei und vier. Immerhin: Sporting News wählte ihn zum DPOY 2008.

Wir reden von einem Spieler, der erst in seinem sechsten Jahr in der NFL wirklich dominant wurde. Und der zuvor schon mit einigen Entgleisungen für Aufsehen gesorgt hatte. 2003 trat er seinem Teamkollegen Center Justin Hartwig im Training gegen den Oberkörper, 2006 stapfte er Cowboys-Center Andre Gurode in einem Spiel sogar auf den Kopf, nachdem er dessen Helm heruntergerissen hatte. Gurode musste mit 30 Stichen genäht werden, Haynesworth erhielt anschließend eine Sperre von fünf Spielen.

Haynesworth: So kam es zu "The Stomp"

Später verriet er gegenüber The Athletic, wie es zu dem Vorfall kam: "Er brachte mich mit einem Chop Block von der Blind Side zu Boden. Wenn ich Gewicht auf dem Bein gehabt hätte, hätte das mein Knie zerstört. Ich fragte ihn: 'Kannst du mich nicht von vorne blocken?' Und er antwortete: 'Nein, ich versuche dich aus dem Spiel zu nehmen.' Ich konnte nicht glauben, dass er das gesagt hat. Danach kann ich mich an nichts mehr erinnern. Ich hatte einen Blackout. Wenn ich eine Waffe gehabt hätte, hätte ich ihn erschossen. Das ging über den Football hinaus. Darum bin ich in diesen Zustand gekommen. Ich kann das jetzt so sagen, aber damals wollte ich keine Ausreden."

Danach machte Haynesworth Aggressionsbewältigungstraining und besserte sich - er entschuldigte sich zudem öffentlich und persönlich bei Gurode. Doch diese Tat blieb an ihm lange hängen.

Nicht lange genug, jedoch, wenn man bedenkt, dass Washington dies letztlich egal war, als man ihn unter Vertrag nahm. Zu gut waren die zwei vorherigen Jahre und außerdem wollte man in der NFL angreifen.

Um Haynesworth zu überzeugen, gab es vorher auch Gespräche mit Head Coach Jim Zorn und dem Defensiv-Staff. Man versprach dem Spieler, dass man ihn im Grunde genauso einsetzen wollte, wie es die Titans zuvor getan hatten. Also nicht als reinen Run-Stopper, sondern als Inside-Pass-Rusher. Haynesworth war dann am besten, wenn er Eins-gegen-eins einen Gegenspieler überwinden und Lücken reißen konnte. Ein Gap-Filler war er nie, ebenso niemand, der Blocks aufnehmen sollte.

Zur Überraschung aller aber sollte er dann aber genau das tun. Entsprechend verschlechterten sich seine Leistungen rapide. Das Team beendete die Saison 4-12, was zur Entlassung von Zorn führte. Sein Nachfolger wurde Mike Shanahan, der als engstirnig und streng galt. Er hatte mit den Broncos und John Elway Ende der 1990er Jahre zwei Super Bowls gewonnen, danach aber nur noch eine untergeordnete Rolle in der Liga gespielt.

Haynesworth: Schon früh Krach mit Mike Shanahan

In Washington versuchte er einen Neuanfang, brachte unter anderem Quarterback Donovan McNabb mit und hatte Großes vor. Doch schon in den ersten Trainings krachte es zwischen Haynesworth und Shanahan. Haynesworth war nicht fit aus Sicht des Head Coachs und durfte daher nicht mittrainieren. Am Ende machte er nur acht Spiele in der Saison 2010 und wurde für die letzten vier Spiele sogar für "teamschädigendes Verhalten" von Shanahan suspendiert. Anschließend wurde Haynesworth 2011 für einen Fünftrundenpick zu den Patriots getradet, verkrachte sich dort mit Defensive Line Coach Pepper Johnson und wurde nach nur sechs Spielen entlassen. Anschließend spielte er noch sieben Partien in Tampa, ehe seine NFL-Karriere mit 30 zu Ende ging.

In seiner Karriere verdiente er unterm Strich mehr als 57 Millionen Dollar, fast 35 Millionen davon in Washington.

Haynesworth ist das perfekte Beispiel dafür, was alles schiefgehen kann bei der Betrachtung und Verpflichtung von Free Agents. Shanahan bezeichnete Haynesworth noch Jahre später als "faul" und hinterfragte dessen Charakter. Haynesworth hatte auch einiges über den Coach zu sagen. Aber letztlich unterstrich er damit auch besagte Charakterprobleme.

Teams ignorieren mitunter Charakterprobleme, wenn sie vom großen Potenzial eines Spielers geblendet werden. Auch kommt es immer wieder vor, dass Spieler geholt werden, die einfach nicht in die Rolle passen, die für sie vorgesehen ist. Und hier ist in erster Linie die Organisation in der Bringschuld, zumal Haynesworth eine andere Rolle versprochen wurde.

Training wurde für Haynesworth unter Head Coach Mike Shanahan zur Tortur.
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Training wurde für Haynesworth unter Head Coach Mike Shanahan zur Tortur.

Haynesworth als Opfer der fragilen Sportwelt

Und dann wäre da noch die generelle fragile Welt des Sports, was die Jobsicherheit von Funktionären oder Trainern betrifft. Wenn man viel Geld für einen Spieler ausgibt, um ihn zu holen, muss man immer auch bedenken, wie er generell ins Gesamtgebilde passt. Und wenn dann schon ein Trainerwechsel nach einem Jahr dazu führt, dass der teuerste Spieler eines Teams obsolet wird, dann haben alle Seiten verloren.

Der Spieler, weil er offenbar feststeckt. Der Coach, weil er mit dem teuersten und demzufolge einem vermutlich sehr guten Spieler nicht zurechtkommt. Und die Organisation, weil sie offenbar einen riesigen Vertrag an einen Spieler vergeben hat und dabei kaum Weitsicht bewies, was dann auch für die Bewertung des bisherigen Head Coachs und der Wahl des Nachfolgers gilt.

Bei Haynesworth und Washington kam so einiges zusammen. Keine Frage. Dennoch ist dieser Fall bis heute ein warnendes Beispiel, wie schnell so eine Free-Agent-Verpflichtung gründlich daneben gehen kann. Entsprechend sollte man auch als Beobachter oder Fan nicht allzu enttäuscht sein, wenn ein Team ein Rennen um einen namhaften Spieler vielleicht nicht gewinnt. Siege in der Free Agency lassen sich meist nur schwer in Siege in der Regular Season ummünzen.