NHL

Zwischen Anspruch und Super-GAU

Von Michael Graßl
Sie sind die großen Hoffnungsträger der Pens: Sidney Crosby (l.) und Marc-Andre Fleury
© getty

Ein gut aufgelegter Sidney Crosby, ein bärenstarker Marc-Andre Fleury und ein erfolgreicher Philosophie-Wechsel: Die NHL-Saison der Pittsburgh Penguins läuft lange nach Plan. Doch plötzlich gerät die Mission Stanley Cup in große Gefahr. Verletzungen und zahlreiche Pleiten lassen vom großen Traum abrücken. Ausgerechnet das beste Team der Liga könnte zum Wendepunkt werden.

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"We're in!" "Wir sind dabei!" Die Erleichterung über das Erreichen der Playoffs in Pittsburgh ist immens. Anders lässt sich dieser kurze Post des Penguins-Twitter-Accounts kaum deuten. In der Tat haben die Pens durch einen 2:0-Sieg gegen die Buffalo Sabres mal wieder die Playoffs in der besten Liga der Welt erreicht.

Das ist zunächst einmal nicht überraschend. Zum neunten Mal in Folge nimmt die Eishockeymannschaft Pittsburghs nun an der Postseason teil. Nur die Detroit Red Wings haben eine längere Serie vorzuweisen (24-mal). Doch anders wie von vielen vermutet, brauchten Sidney Crosby und Co. bis zum letzten Spieltag, um den Einzug in die "fünfte Jahreszeit" perfekt zu machen.

Zittern war angesagt. Zittern um die Teilnahme, anstatt Kampf um die beste Ausgangslage. Am Ende hat es mit Ach und Krach für den zweiten Wildcard-Platz in der Eastern Conference gereicht. "Das war echt knapp. Anders als in den letzten Jahren mussten wir am Ende richtig bangen. Das war verrückt", schnaufte Torhüter Marc-Andre Fleury nach dem 82. Saisonspiel durch.

Unaufhaltsamer Einbruch

Dabei lief die Hauptrunde der Penguins lange Zeit nach Plan. Nichts deutete auf einen dermaßen starken Einbruch hin, der beinahe zu einem der größten Kollapse der Franchise-Geschichte geführt hätte. Nach 67 Spielen und 39 Siegen war die Welt in Ordnung, nur eine handvoll Punkte fehlten zeitweise zur Spitze.

Über die letzten 15 Matches spricht man im Consol Energy Center dagegen nicht mehr gerne. Immerhin riss sich die Mannschaft am letzten Spieltag zusammen und siegte im besagten Spiel gegen Buffalo, dem wichtigsten Match des Jahres. Aber - ohne den Sabres zu nahe zu treten - es war auch nur Buffalo, das punktemäßig schlechteste Team der Liga. Alles andere als ein Sieg wäre einer Katastrophe gleichgekommen.

Bleibt also die Frage, warum ein Team, das mit einem nicht von der Hand zu weisenden Talent gesegnet ist und mit Sidney Crosby und Evgeni Malkin wahrscheinlich zwei der drei besten Spieler des Planeten in seinen Reihen hat, derart nachlassen und fast die sichere Playoff-Teilnahme vergeigen konnte.

Das neue starke Duo am Spielfeldrand

Dadurch verspielte man nicht nur den Heimvorteil, auf den man erstmals seit dem Stanley-Cup-Triumph 2009 verzichten muss, sondern hat in der bevorstehenden ersten Playoff-Runde auch das beste Team der Liga vor der Brust: Die New York Rangers. Dabei sollte diese Saison ein neuer Angriff Richtung Titel genommen werden.

Mit Mike Johnston als neuem Trainer und Jim Rutherford in der Funktion des General Managers übernahmen deshalb zwei frische Männer das sportliche Zepter. Und beide führten eine grundlegende Neuausrichtung in der Steel City durch: Weg vom spektakulären Offensivfeuerwerk, hin zu einem defensiveren und effektivem Eishockey. Ein Konzept, das zunächst aufging.

16 Siege und nur sieben Niederlagen, zwei davon erst in der Overtime, unterstrichen den guten Start von Johnston und Rutherford. Die Verteidigung stand, der Sturm um Crosby und Malkin lieferte trotz neuer Defensivaufgaben für die Superstars weiter auf hohem Niveau. "Es ist ein kleiner Unterschied in der Spielart auf dem Eis", erklärt Fleury den Philosophie-Wechsel bei den Pens. "Wir denken defensiver. Das heißt, wir sind vorsichtiger und verzichten auch mal auf zu hohes Risiko", so der Goalie.

Neal-Trade als Knackpunkt?

Dadurch konnten es die Pens verschmerzen, wenn die Offense mal ins Stottern geriet. "Selbst wenn wir vorne nichts trafen, ließen wir hinten so wenig zu, dass es oft trotzdem reichte", sagte Fleury. Dass die Penguins so wenige Gegentore kassierten, lag vor allem aber an Fleury selbst. Der Torhüter spielt bisweilen eine herausragende Saison und hielt sein Team mit einer Fangquote von 92 Prozent in engen Matches häufig im Spiel.

"Für unsere Defensive ist es frustrierend mit anzusehen, wie viele große Saves er pro Spiel machen muss und wie sehr er dafür arbeiten muss", relativiert Verteidiger Paul Martin die Defensivleistung von Fleurys Vorderleuten. Rutherford sah sich dennoch nicht nur in der neuen Spielphilosophie bestätigt, sondern auch in seinen Handlungen auf dem Transfermarkt.

Vor allem der Trade von James Neal, der in der Vorsaison mit 61 Punkten in 59 Spielen glänzte, stieß nicht bei allen Fans auf Verständnis. "Natürlich beschäftigt dich das immer, wenn du einen Topspieler abgibst", sagte der GM zum Deal: "Aber wir wollten uns Platz unter dem Cap schaffen. Außerdem finden wir Hornqvist sehr stark und erhöhen mit Spaling, der alle drei Positionen im Sturm spielen kann, unsere Flexibilität", rechtfertigte er seine Entscheidung.

Der breite Kader ist alternativlos

Neben Patrick Hornqvist und Nick Spaling holte Rutherford auch die Rollenspieler Blake Comeau, David Perron, Steve Downie, Daniel Winnik und Maxim Lapierre. Dafür verzichteten die Pens-Verantwortlichen nach Neal auch auf Jussi Jokinen (57 Punkte in 81 Spielen). Kadertiefe lautete das Zauberwort.

Doch was passiert, wenn ein Malkin oder ein Crosby längere Zeit ausfallen? Zwar besaßen die Penguins nun einen tiefen Kader, doch die große Verletzungsmisere, die spätestens im März ihren Höhepunkt erreichte, konnte dadurch nicht aufgefangen werden. Schnell wünschte man sich Spieler wie Neal oder Jokinen zurück, die mit eigenen großen Scoring-Qualitäten langfristige Abstinenzen von Crosby oder Malkin ausbaden konnten.

Zwar bereicherte Hornqvist die Pens-Offensive und verbesserte vor allem das Spiel im Slot, wo das Team aus Pittsburgh in der Vergangenheit Probleme hatte, aber auch er verpasste 18 Spiele wegen Verletzungen. Noch viel schlimmer allerdings wog dann der Ausfall von Malkin, der sich am 14. März verletzte. Der Center wirkt inzwischen zwar wieder mit, in Topform ist der Russe aber freilich nicht.

Ausfälle über Ausfälle

Nicht weniger verheerend wirken sich die Verletzungen von Pascal Dupuis (Saisonende), der den Penguins als wichtige Führungspersönlichkeit abgeht, und Kris Letang aus. "Ein einziger Spieler kann ihn einfach nicht ersetzen", äußerte sich der geschockte Ben Lovejoy nach Bekanntwerden des Saisonendes für Letang. Mit 54 Punkten aus 61 Spielen war dieser auf gutem Wege, zum besten Verteidiger der Liga gewählt zu werden.

Doppelt bitter sind für die Pens deshalb die weiteren Ausfälle von Christian Erhoff, der aber in den Playoffs auf das Eis zurückkehren könnte, und Olli Maatta (ebenfalls Saisonende). Der Engpass auf der Verteidigerposition ist enorm. In der Schlussphase der Saison testete Johnston deshalb Angreifer Daniel Winnik in der Verteidigung. Der Erfolg hielt sich in Grenzen. Oft bestand das Line-up der Pens in der Defense nur aus fünf Spielern.

Natürlich ist kein Team in der Lage, eine solche Anzahl an wichtigen Spielern zu ersetzen. Für Unmut bei den Fans sorgten die schwachen Vorstellungen gegen Saisonende aber aus anderen Gründen. Die Einstellung der Spieler auf dem Eis wurde beklagt.

Ein stetiger Abwärtstrend

Mehrmals wurde ein 2:0- oder 3:0-Vorsprung verspielt, selbst eine 4:0-Führung gaben die Penguins schon aus der Hand. Eine lange Saison mit dezimiertem Kader zerrte an der Ausdauer der Mannschaft. Neidisch blickte manch ein Penguins-Fan nach Ottawa, wo sich eine Mannschaft die Seele aus dem Leib rannte und mit einem historischen Run sogar noch die eigene Mannschaft überholte.

Dazu schlich sich immer wieder Disziplinlosigkeit ein. Zeitweise waren die Penguins die Mannschaft mit den meisten Strafen ligaweit, am Ende mussten nur Detroit, Columbus und Winnipeg öfter in die Kühlbox. "Ich spiele eine sehr lange Zeit hier", so Malkin. "Aber durch solch eine Phase mussten wir noch nie gehen", zeigte sich der Superstar nachdenklich. Für die Playoffs reichte es letztlich dennoch.

Festzuhalten bleibt aus Sicht der Pens, dass es schon in ein paar Wochen niemanden mehr interessieren könnte, wie die Vorrunde 2014/15 endete. Denn in den Playoffs fängt die Saison praktisch von vorne an. Das weiß man auch in Pittsburgh.

Die große - aber letzte - Chance

Kapitän Crosby will den Fokus deshalb auf den Gegner und Favoriten aus New York lenken. "Es wird ein ziemlich intensives und körperlich betontes Duell werden", so Crosby vorausblickend. Für Pittsburgh ist es gleichzeitig die große Chance, endlich Revanche an den Rangers zu nehmen. Letztes Jahr flogen die Pens gegen New York aus den Playoffs - obwohl man bereits mit 3:1 in der Serie in Front lag. Einen besseren Motivationsschub gibt es kaum.

Außerdem kann es für die Pens gar nicht schlecht sein, mal nicht als Favorit in die Postseason zu gehen. Denn was haben die Penguins jetzt noch zu verlieren? Gegen das beste Team der Liga rechnet kaum jemand mit einem Weiterkommen. Der Super-GAU blieb mit dem Verpassen der Playoffs zwar aus. Aber dadurch sinkt auch der Anspruch. Und vielleicht ist es genau das, was die Pens jetzt brauchen.

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