Peter Draisaitl blickt außerdem auf die Olympischen Spiele in Peking voraus und verrät, warum Deutschland auch in einem Turnier mit allen NHL-Stars viel zuzutrauen ist.
Dazu erzählt der 56-Jährige von den traumatischen Erlebnissen, die er zuletzt als Coach in der Slowakei machen musste.
Herr Draisaitl, als Coach der Bratislava Capitals wurden Sie zuletzt von zwei Todesfällen binnen weniger Tage erschüttert. Erst kollabierte Spieler Boris Sadecky mit einem Herzstillstand in einem Spiel und verstarb später im Krankenhaus. Nur zwei Tage nach seinem Tod nahm sich der Geschäftsführer aus Schuldgefühlen das Leben. Der Verein zog sich als Folge aus dem Ligabetrieb komplett zurück. Wie geht es Ihnen?
Peter Draisaitl: Danke, mir geht es soweit gut. Natürlich war es eine sehr seltsame und surreale Zeit. Was bei uns innerhalb von einer Woche passiert ist, kannst du dir in den schlimmsten Albträumen nicht vorstellen. Seitdem läuft der Prozess der Verarbeitung, das ist bei jedem individuell anders. Ich komme klar. Ich bin der Meinung, dass wir die einzig richtige Entscheidung getroffen haben, uns aus dem Spielbetrieb zurückzuziehen. Die Jungs waren extrem angeschlagen verständlicherweise. Weiterzuspielen wäre eine Quälerei gewesen.
Wissen Sie schon, wie es für Sie weitergeht?
Draisaitl: Der Stand der Dinge ist so, dass ich bei den Capitals bleiben werde, aber nicht als Trainer, sondern in einer Management-Position. In die Richtung eines sportlichen Leiters. Ich habe Lust darauf, hier dabei mitzuhelfen, eine ganz frische Eishockey-Organisation aufzubauen. Das ist eine interessante Aufgabe.
Peter Draisaitl: Was mich an Leon am meisten beeindruckt
Kommen wir zu schöneren Themen: Ihr Sohn Leon führt die NHL bei den Toren an, in der Scorerliste liegt er mit 46 Punkten nur einen Punkt hinter seinem kongenialen Partner Connor McDavid. Vor allem sein Start in die Saison mit 20 Toren in 20 Spielen war absolut atemberaubend.
Draisaitl: Für mich als Vater ist es vor allem wichtig, dass Leon gesund ist und es ihm gut geht. Das ist für mich entscheidend. Das war schon immer so und das wird auch immer so bleiben, egal wie viele Tore er schießt. Wenn ich morgens aufwache und weiß, bei Leon ist alles in Ordnung, dann reicht mir das als Papa. Wenn es darüber hinaus noch so gut läuft sportlich, dann umso besser und schöner, aber darauf liegt nicht mein Fokus.
Aber Sie müssen doch ein wenig beeindruckt sein von dem, was er leistet?
Draisaitl: Leon hat schon den einen oder anderen individuellen Award gewonnen in seiner Karriere, aber glauben Sie mir: Es ist ihm nicht wichtig. Für Leon ist einzig und allein wichtig, mit dem Team Erfolg zu haben. Das treibt ihn an. Es ist ihm vollkommen egal, ob er die 50-Tore-Marke knackt. Das sind alles so Statistiken, die ich nicht mag. Er hat lieber 15 Tore weniger auf dem Konto und reißt dafür endlich was mit den Oilers in den Playoffs. Das ist so, das kann ich hoch und heilig versprechen. Aber es gibt etwas, was mich beeindruckt.
Woran denken Sie?
Draisaitl: Was mich an Leon beeindruckt, ist seine Fähigkeit, sich anzupassen und Schritt für Schritt zu verbessern. Das konnte er von klein auf. Er hat als Kind oft gegen Jungs gespielt, die zwei oder drei Jahre älter waren, das hat ihm geholfen. Er hat dann immer ein bisschen Zeit gebraucht, um sich zu adaptieren, aber er hat es immer geschafft und einen Weg gefunden, um sich auf das nächsthöhere Niveau zu hieven. Das war schon damals in Mannheim so, das war in Kanada in den Juniors so und auch bei den Oilers in der NHL. Das ist seine größte Stärke.
"Jede Landesliga im Fußball ist wichtiger als Eishockey"
Leon steht seit letzter Saison bei einer Plus-Minus-Bilanz von +38. Würden Sie sagen, dass er sich beim Spiel ohne Scheibe am meisten verbessert hat?
Draisaitl: Definitiv. Das Spiel ohne Scheibe, das defensive Positionsspiel, das Spiel defensiv besser zu lesen - er hat sich in diesem Bereich enorm gesteigert. Aber nicht nur dort: Er ist auch am Bullypunkt besser geworden, er schießt besser als vor einigen Jahren. Aber genau das zeichnet diese Jungs aus. Sie sind nie zufrieden. Niemand auf dem Planeten ist ein besserer Schlittschuhläufer als Connor McDavid. Es geht nicht besser. Aber dann kommt er nach dem Sommer zurück und wird gefragt, woran er gearbeitet hat, und was sagt er? Schlittschuhlaufen. So ticken diese Jungs und Leon gehört auch in diese Kategorie. Ohne diese Einstellung könntest du auch nicht über Jahre auf so einem hohen Niveau spielen, das ist vollkommen ausgeschlossen.
Was in Edmonton heraussticht, ist das brutal starke Power Play. Was ist aus Ihrer Sicht der Schlüssel für den Erfolg?
Draisaitl: Ich glaube, dass die Chemie und die Eingespieltheit neben der individuellen Klasse wahrscheinlich der größte Faktor ist. Das gilt nicht nur für McDavid und Leon, Ryan Nugent-Hopkins ist auch schon lange dabei, sie haben über die Jahre ein blindes Verständnis entwickelt und wissen genau, was der andere als Nächstes machen wird. Und sie nutzen die Stärken gegenseitig viel besser aus und lassen die Scheibe besser und schneller laufen. Also ich würde nicht gerne als Penalty-Killer auf dem Eis stehen gegen dieses Power Play, da sieht man teilweise seltsam aus. (lacht)
Trotz seiner Leistungen und trotz seiner schon gewonnenen Awards bekommt Leon nicht wirklich den Respekt, den er verdient. Teilweise gilt das für die NHL, vor allem gilt das aber für Deutschland. Dabei ist er aktuell vielleicht der größte deutsche Sportler, den wir haben. Warum ist das so?
Draisaitl: Mein ganzes Leben lang ist es schon so, dass Eishockey in Deutschland nicht den Stellenwert bekommt, den es verdient hätte. Das hat Leon nicht exklusiv. Jede Landesliga im Fußball ist wichtiger als Eishockey, das ist einfach so. Ich habe nichts gegen Fußball, aber ich finde es schade, dass das Potenzial nicht genutzt wird, gerade mit einem Aushängeschild für die Sportart wie Leon. Aber keine Sorge, Leon kommt damit klar. (lacht) Ich finde es aber genauso schade für jeden Ruderer oder Leichtathleten, der nicht die nötige Anerkennung bekommt. Aber es ist wie es ist.