Das Fräuleinwunder kommt in die Jahre - Trübnis in der zweiten Reihe

Sabine Lisicki
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Anhaltendes Verletzungspech, sportliche Stagnation, zu sprunghafte Karriereplanung... von einem deutschen Fräuleinwunder zu sprechen, ist kaum mehr möglich. Was ist noch drin für Sabine Lisicki, Carina Witthöft, Anna-Lena Friedsam und Co.?

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Von Jörg Allmeroth aus Wimbledon

Die Grün-Anlage im Südwesten Londons hat Sabine Lisicki in diesem Jahr gar nicht als Spielerin betreten. Ihr Wimbledon spielte sich fern von Wimbledon ab, auf den schmucklosen Rasenfeldern in Roehampton, dem Schauplatz der jährlichen Qualifikations-Mühsal. Lisicki scheiterte gleich in der ersten Runde beim Bewerbungsturnier, genau so wie fast alle anderen deutschen Frauen. Ihre noch immer treue Fangemeinde versuchte die Berlinerin anschließend mit einem tapferen Bildchen auf Instagram und wackeren Durchhalteparolen aufzumuntern. Wimbledon sei schließlich bloß der "erste Schritt" bei diesem letzten von vielen Comebacks gewesen: "Ich gebe niemals auf." Aber Lisicki steckt schon länger in der Krise, ihr Glanz als einstige Wimbledon-Finalistin war schon weit vor den andauernden körperlichen Beschwerden verblasst.

Lisicki steht in diesen Tagen, da das größte Tennisturnier der Welt allmählich in die entscheidende Phase einbiegt, wie eine Symbolfigur für enttäuschte Hoffnungen im lange verwöhnten deutschen Damentennis da. Abseits der beiden Frontfiguren Angelique Kerber und Julia Görges bietet sich auf einmal ein eher tristes Bild: Anhaltendes Verletzungspech, sportliche Stagnation und zu sprunghafte Karriereplanung lassen kaum noch zu, von einem deutschen Fräuleinwunder zu sprechen - jedenfalls nicht, wenn damit auch eine hohe Leistungsdichte in der Spitze gemeint ist. Wo sich vor ein paar Jahren noch junge Spielerinnen drängelten, der etablierten, älteren Konkurrenz auch die Plätze in der nationalen Fed-Cup-Auswahl streitig zu machen, herrscht nun eher gähnende Leere. Kerber und Görges sind als Führungskräfte alternativlos, ganz einfach, weil sie in der Organisation ihrer Arbeit und der Auswahl des Personals immer einen Optimierungsbedarf spürten. Und danach handelten.

Petkovic, Siegemund, Friedsam und Beck mit Verletzungspech

Natürlich gibt es auch Geschichten, die von Verletzungspein handeln, von immer neuen Rückschlagen, von vergeblichen Comebacks. Wer würde da nicht an Andrea Petkovic denken, die unverzagt ihre Rückkehrmissionen angeht. Laura Siegemund zählt auch dazu, sie war die deutsche Nummer 2, als sie kurz nach ihrem Titelcoup 2017 in Stuttgart beim Nürnberger WTA-Wettbewerb einen Kreuzbandriss erlitt. Die Rückkehr ins Tourgeschäft gestaltet sich schwierig, auf die Teilnahme an den Rasenfestivitäten in London verzichtete die Metzingerin sogar freiwillig. "Ich muss mir bei kleineren Turnieren Selbstvertrauen holen", sagt Siegemund.

Anna-Lena Friedsam ist ein weiterer Problem-Fall, die einst so aufstrebende Rheinländerin. Als sie im Januar in der ersten Runde der Australian Open gegen Kerber antrat, war das trotz der späteren Niederlage schon ein Gewinn für die dauerverletzte Friedsam. Aber der Traum von einem Neustart währte nicht lange, schon im April musste Friedsam wieder an der Schulter operiert werden - die Rückkehr in den Tourzirkus war aufs Neue auf unbestimmte Zeit vertagt. Kaum besser ergeht es einer anderen Hoffnungsträgerin, der Bonnerin Annika Beck. Nach 14 Erstrundenniederlagen im Jahr 2017 und körperlichen Problemen kursierten zu Jahresbeginn sogar Gerüchte über ein Karriereende. Es folgte ein offizielles Dementi der einst so flotten Flitzerin, die mancher wegen ihrer schnellen Beine schon mit Steffi Graf verglichen hatte. Aber ein Wettkampfspiel hat Beck im ganzen Jahr 2018 noch nicht bestritten.

Mangelt es teilweise an Professionalität?

Carina Witthöft, die 23-jährige Hamburgerin, könnte so etwas wie die Erbfolgerin der Generation Kerber, Görges und Co. sein. Aber in ihrer Laufbahn deutet sich keine Entwicklung, keine Evolution, kein wirklicher Fortschritt an. Zu häufig vermischen sich im Umfeld der Hanseatin Berufliches und Privates, ein Trainer mit großer Autorität und unabhängiger Handlungsvollmacht war noch nie in Sicht. Es wirkt so, als sei Witthöft mit ihrem Platz unter den ersten 100 zufrieden, der ihr Auftritte bei den Grand Slams garantiert - und damit inzwischen auch eine stattliche Prämie für die Präsenz im Hauptfeld. Fragt man einen international renommierten Coach mit deutschem Hintergrund, warum er sich nicht einmal um eine deutsche Spielerin kümmere, hört man dies: "Wen denn? Wo gibt es eine Perspektive?" Er verweist dann auch auf schwierige Situationen bei Spielerinnen wie Mona Barthel oder Antonia Lottner, auf zu viele familiäre Einreden in das Tennisgeschehen.

Und die übernächste Generation, die U20-Spielerinnen? Barbara Rittner hatte da zuletzt Geduld anmahnen müssen. Es klaffe eine Lücke in der Altersklasse der Spielerinnen, die jetzt eigentlich den schwierigen Einstieg ins Erwachsenentennis meistern müssten, so Rittner: "Dahinter sind wir aber wieder gut aufgestellt", sagt die DTB-Damenchefin. Aber bis diese Talente einmal in Wimbledon und anderswo für Furore sorgen könnten, ist es noch eine kleine Ewigkeit hin.

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