"Federers Karriere ist kein Zufall"

René Stauffer und Roger Federer in Indian Wells
© René Stauffer

Der Schweizer Tennisjournalist René Stauffer ist Roger Federers Biograf - und derjenige, der ihn schon in der Jugend als Tennis-Genie erkannt und entdeckt hat. Ein Gespräch über erste Begegnungen, das Comebackjahr und Pressearbeit mit dem Maestro.

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René Stauffer ist seit 1981 im Sportbusiness und seit 1993 beim Schweizer Tages-Anzeiger. 2006 veröffentlichte er "Das Tennis-Genie: Die Roger-Federer-Story", die bekannteste Biografie über Federer, die auch international veröffentlicht wurde und alle paar Jahre in aktualisierter Fassung erscheint. Stauffer ist wohl der Tennisjournalist, der Roger Federer am besten kennt und am häufigsten hinter die Kulissen geblickt hat.

tennisnet: Herr Stauffer, wenn Ihnen vor der Saison jemand gesagt hätte, dass Roger Federer die Australian Open und Wimbledon gewinnt - was hätten Sie geantwortet?

Stauffer: Ich hätte eine gute Chance für Wimbledon für möglich gehalten. Federer hat ja immer gesagt, dass er Wimbledon - von den großen Turnieren - am ehesten noch mal gewinnen kann. Dass er in Australien gesiegt hat, hat mich völlig überrumpelt. Die ersten zwei Runden waren zäh und von Unsicherheit geprägt. Es war eine märchenhafte Entwicklung. Vor dem Endspiel gegen Rafael Nadal habe ich seine Chancen sehr gering eingestuft. Im Nachhinein hat aber alles eine gewisse Logik bekommen.

tennisnet: Wie meinen Sie das?

Stauffer: Die ganze Ausgangslage hatte sich verändert: Er hatte keine negative Bilanz gegen Nadal in den letzten Monaten, das hat ihn früher schon belastet. Wenn er oft hintereinander gegen Nadal verloren hatte, hatte das eine Lawinenwirkung. Diesmal nicht: Er konnte eigentlich nichts verlieren, schon diese Lockerheit im Melbourne-Finale hat man extrem gespürt. Deswegen kann man seine beiden Grand-Slam-Titel 2017 nicht vergleichen. Die Ausgangslage war um 180 Grad unterschiedlich.

tennisnet: Sie sind in der Schweiz sehr nah an Federer dran. Haben Sie kurz vorm Comeback gewusst, wie es um ihn steht, wie gut die Vorbereitung wirklich lief?

Stauffer: In Dubai war ich nicht dabei, aber ich hatte mit ihm telefoniert. Da sagte er, dass er extrem gut spiele. Und wenn Federer das sagt, ist das nicht nur so dahingeredet. Er hat dann dieses Live-Training über Periscope gedreht, da hat man gesehen, dass er spritzig und gut drauf ist. Die letzten sechs Wochen waren die wichtigsten. Man war zwar immer dem Fahrplan voraus, aber wusste bis zuletzt nicht, wie sein Körper reagiert, wenn er wieder auf dem Matchcourt steht. Federer wird ja nicht jünger - auch wenn man manchmal das Gefühl hat.

tennisnet: Wann sind Sie das erste Mal auf Roger Federer aufmerksam geworden?

Stauffer: Ich habe ihn zufällig bei einem Jugendturnier in der Schweiz gesehen, beim World Youth Cup in Zürich. Federer war einer der jüngsten Spieler, es war ein U16-Turnier, und er war gerade 15 geworden. Ich hatte gehört, dass er gut und etwas verrückt sein soll, aber als ich ihn spielen sah, war das eine sehr verblüffende Begegnung. Ich dachte: Der Typ hat solch eine gute Hand! Das war ein langsamer Sandplatz und Federer hat gegen einen italienischen Verteidigungsspieler mit der Vorhand und dem Aufschlag Winner geschlagen, als ob es das Einfachste der Welt wäre. Er hat auch die Rückhand schon wunderbar gespielt. Das war eine bleibende Erinnerung. Zumal er immer mit sich unzufrieden war, schimpfte und sich selbst beleidigte - und trotzdem gewann.

tennisnet: Der "typische" Federer in seinen Jugendzeiten also.

Stauffer: Wenn sich jemand so aufführt, ist der Weg zur Niederlage normalerweise vorgezeichnet. Federer hat auch damals in den Matches stärker gespielt als im Training. Ich hatte ihn anschließend interviewt, da sagte er: "Im Training bin ich nie so gut, im Match bin ich zweimal stärker." Er erzählte, dass er für Sampras schwärmt. Und als ich ihn fragte, wieso er sich so aufrege, obwohl er doch gewinne und gut spiele für sein Alter, schaute er verträumt in die Ferne und meinte: "Ich weiß, ich sollte mich nicht aufregen. Aber man sollte halt perfekt spielen können." Da dachte ich: Der Junge hat eine gute Einstellung. Den richtigen Antrieb. Dem geht es nicht um Geld, Ruhm oder Prestige, sondern darum, gut Tennis zu spielen. Dann habe ich ihn eng verfolgt und mir war bald klar: Wenn er kein Grand-Slam-Turnier gewinnt, dann gewinnt kein Schweizer jemals eines.

tennisnet: Federer hat die komplette Kehrtwende geschafft. Er wirkt heute mental sehr kontrolliert, zeigt sich auch selbst von seinem Spiel begeistert. Ist das etwas, das eine solche lange Karriere ermöglicht: Spaß an dem zu haben, was man kann, den Spaß am Spiel zu genießen?

Stauffer: Absolut, das ist das Fundament, auf dem Federers Karriere aufgebaut ist - diese Freude am Sport. Alles, was dazugehört, nimmt er mit. Wenn man andere hört, die nur davon sprechen, wie viel Geld sie verdienen wollen... Die sehen das mehr materiell, Federer sieht es idealistisch. Er hat sich auch nie verausgabt, sich überspielt. Er war früh gut beraten, hat sich gut eingeteilt. Das, zusammen mit der Freude am Sport, hat dazu geführt, dass er alles getan hat, um möglichst lange spielen zu können. Federers Karriere ist kein Zufall, sie ist ein Langzeitprojekt.

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