Der Künstler als Kämpfer: Die oft unterschätzte Seite des Roger Federer

Roger Federer
© getty

Viele Federer-Fans vermissen in letzter Zeit die Gala-Auftritte ihres Helden, dabei zeigt der Schweizer aktuell seine andere große Stärke. Ein Kommentar von Florian Goosmann.

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Roger Federer hat am Sonntag zum neunten Mal sein Heimturnier in Basel gewonnen und seinen insgesamt 99. Titel auf der Tour gefeiert - ein weiterer Meilenstein einer großen Karriere mit viel Glanz und Gloria.

Obwohl: So viel Glanz versprühte der Maestro zuletzt nicht. Das letzte halbe Jahr, nach dem Sieg in Rotterdam und dem Rekord als älteste Nummer 1 der Welt, war für Federer-Verhältnisse so lala. Denn Federer ließ zu viel liegen: zwei Matchbälle im Indian-Wells-Finale gegen Juan Martin del Potro, einen Matchball im Wimbledon-Viertelfinale gegen Kevin Anderson und bei den US Open zu viel Schweiß gegen John Millman. Vor allem die Vorhand ruckelte, was Federer auf eine Verletzung in der Rasen-Vorbereitung zurückführte.

"Grumpy Fed" wühlt sich durch

Das Verrückte: Viele Tennisbegeisterte können den jüngsten Auftritten ihres Helden wenig abgewinnen. Auch rund um seinen Sieg in Basel mit den Auf-und-Ab-Matches gegen Filip Krajinovic und Gilles Simon herrschte eher ein "Da hat er sich so durchgewühlt" anstatt des Federer-typischen "Welch ein Gala-Auftritt des Maestros".

Ein Grund dafür ist natürlich die Sorge, dass Federer sein (Alters-)Limit überschritten haben könnte; es sind Bedenken, die seine Fans seit rund zehn Jahren hegen und die Federer stets aufs Neue widerlegt.

Federers "Rumpelauftritte" kann man allerdings auch positiv betrachten: Denn Federer zeigt bei Kampfmatches seine andere Seite, die des oftmals grummeligen Tennis-Arbeiters ("Grumpy Fed"), die auch in seinem Fall nicht unterschätzt werden sollte. Gemäß der alten Tennisregel: "Gewinnen, wenn man gut spielt, ist einfach. Gute Tennisspieler jedoch finden auch einen Weg zum Sieg, wenn sie schlecht spielen."

Nachahmen empfohlen!

Federer kann diesbezüglich auch für den Clubspieler als Vorbild gelten. Viele Freizeitspieler verschenken zu viele Matches, indem sie auf Biegen und Brechen mit "schönem" Tennis siegen wollen - auch an Tagen, an denen Kampftennis angesagt ist, weil der Vorhand-Drive ins Netz fliegt oder der erste Aufschlag hakt. Wer seine Matches bei solchen Gelegenheiten trotzdem gewinnt, weil er zu Spiel B greift und kämpft und rackert, ist dem Gala-Spieler um Welten voraus. Und wenn er an guten Tagen dann wieder den Tweener auspackt: umso besser.

Um auf Federer zurückzukommen: Der hätte sich in (für ihn) schlechten Matches auch einfach verabschieden, zurück auf den Trainingscourt marschieren und erst dann wieder auftauchen können, wenn alles wieder rund läuft - zumal bei ihm die übliche Masse an Matchpraxis zu vernachlässigen ist. Doch in Federer steckt mindestens ein so großer Kämpfer wie Künstler, der auch in spielerisch schwachen Phasen die Herausforderung annimmt. Und der weiß, dass auch die beste Trainingseinheit kein Ersatz für ein gewonnenes Match ist. Egal wie man es letztlich für sich entschieden hat.

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