Es war der zweite große denkwürdige Moment in diesem verrückten Tennisjahr 2018. Und auch er spielte in London, so wie vor rund fünf Monaten der Wimbledon-Triumph von Angelique Kerber. Aber er war noch viel unerwarteter, viel überraschender, viel verblüffender, der furiose Sturm von Alexander Zverev auf den WM-Thron, der beinahe unglaubliche Erfolg über den zuletzt einsam dominierenden Weltranglisten-Ersten Novak Djokovic. Gegen alle Erwartung, gegen alle Expertentipps, gegen die eigentlichen Machtverhältnisse schwang sich Zverev mit dem historischen 6:4, 6:3-Sieg über den 31-jährigen Serben zum neuen König in der O2-Arena auf, zum Sensations-Weltmeister.
"Es ist ein Traum, der für mich in Erfüllung geht. Am liebsten würde ich diesen Moment für alle Ewigkeit festhalten", sagte Zverev, der nach dem verwandelten Matchball ergriffen zu Boden gesunken war, von seinen Emotionen überwältigt. Genau um 20.44 Uhr stemmte Zverev den Pokal im Konfettiregen empor und dankte Djokovic bei seiner charmanten Ansprache auch ironisch, wenn auch nicht wahr, dafür, "dass du mich heute mal hast gewinnen lassen." Emotional dankte Zverev seinem Vater Alexander sr., dem "besten Trainer der Welt": "Ihm verdanke ich alles, was ich bin."
Deutsche Tennis-Sternstunde, wieder mal in London
Es war ein Sieg mit Rekordcharakter auf allen Ebenen, diese größte deutsche Tennis-Sternstunde bei den Herren im neuen Jahrhundert: Zverev war der erste deutsche Gewinner seit Boris Becker, überhaupt erst der dritte Deutsche nach Becker und Michael Stich. Aber eins war er vor allem: Der jüngste Sieger aller Zeiten, jünger als Champion als vor ihm die Federers Djokovics, Sampras, Becker und Co. Und natürlich auch jünger als sein eigener Trainer Ivan Lendl, der in den 80er Jahren serienweise der Beste beim Saisonabschluss der Besten war.
Imponierend, geradezu faszinierend war weniger die Tatsache dieses Triumphes. Sondern, wie er gegen den haushohen Favoriten erspielt, erkämpft und zu einem guten Ende gebracht wurde. Zverev war der bessere Mann in nahezu allen Aspekten dieses Duells, das von der ersten Minuten an Spannung und Klasse bot. Der junge Deutsche, als krasser Außenseiter gehandelt, war der Aggressor auf dem Platz, er setzte konsequent fort, was ihm tags zuvor auch schon gegen Roger Federer im Halbfinale zum Sieg verholfen hatte. Und wie in jenem Duell mit dem Maestro, das ihm einen Schub fürs Selbstbewusstsein verliehen hatte, war sich Zverev auch nicht zu schade, in die langen, zermürbenden Grundlnienduelle mit dem Bewegungskünstler aus Belgrad zu gehen. So schaffte Zverev auch etwas, was bisher keinem einzigen der anderen WM-Spieler gelungen war: Djokovic ins Zweifeln und Grübeln zu bringen, ihn seiner Aura der Unverletzlichkeit zu berauben.
Zverev: Kurzer Rückschlag ohne Folgen
Zverev schlug dann auch als erster im Fight auf Augenhöhe zu. Beim Stand von 4:4 holte er sich ein Break gegen Djokovic, es war zugleich der erste Aufschlagverlust im ganzen Turnier für den Capitano. Danach sahen die 18.000 Zuschauer in der Arena und Millionen weltweit ein Spektakel der besonderen Aart: Zum Satzgewinn aufschlagend, servierte Zverev drei Asse ins Serie und gewann dann auch Durchgang Nummer eins mit 6:4.
Zverev blieb hartnäckig dran, leistete sich keine Ruhepause. Gleich im ersten Spiel des zweiten Satzes schaffte er wieder ein Break. Nach dem ersten Patzer, dem 1:1-Rebreak des Serben, holte er sich erneut den Aufschlag Djokovics, ging 2:1 in Führung. Diesen Vorsprung verteidigte er dann eisern bis zum 6:3-Sieg, zum kaum für möglich gehaltenen WM-Coup. "Er war der verdiente Sieger. Leider viel besser als in unserem Gruppenspiel."
Zverevs Ziele für 2019 sind klar
Als Mann für die Zukunft kündigte sich Zverev in der Gegenwart damit so eindrucksvoll wie nie zuvor an, beim Gastspiel auf der prominenten WM-Bühne. Während sich seine Altersgenossen noch am letzten Wochenende beim Championat der NextGen-Truppe duellierten, nahm Zverev bereits die tragende Rolle bei der Weltmeisterschaft der Großen ein. Der Sieg im Halbfinale gegen Federer, dann umso mehr der Finaltriumph erlöste Zverev auch vom Makel, bei den wirklich wichtigen Gelegenheiten in seinem Beruf nicht die Nerven im Griff zu haben und sein Niveau erhöhen zu können.
Zverev hat das große Ziel für das kommende Jahr bereits klar formuliert, er will und muss besser bei den Grand Slams spielen. Bei den Turnieren, die das eigentliche Gewicht und den Status eines Spielers im Welttennis definieren. "Ich bin zuversichtlich, dass das auch klappt", sagte Zverev in der WM-Woche in London, beim letzten Turnier der Saison 2018. Die WM hat Zverev mächtig Rückenwind verliehen, es war auch erst der Anfang einer vielversprechenden Partnerschaft mit Supercoach Ivan Lendl. Gemeinsam könnten sie in der kommenden Saison für Turbulenzen in der Tennis-Hierarchie sorgen - ganz oben. Dort, wo Zverev hin will. Mit dem Anspruch, der Beste zu sein.