Dieser Tage kursiert ein Spruch in Wolfsburg. Er geht in etwa so: "VW ist ein guter Kunde von SAP - ein Anruf sollte genügen."
Wer ihn nicht kapiert: Dietmar Hopp ist bekanntermaßen nicht nur Mitbegründer des Softwareherstellers, sondern auch der starke Mann bei 1899 Hoffenheim - und der Autokonzern hält 100 Prozent an der VfL Wolfsburg-Fußball GmbH.
In der realen Welt stehen Hoffenheim, Wolfsburg und die beiden Weltmarktkonzerne freilich nicht im Verdacht, Bundesliga-Spiele zu verschieben. Der Spruch bringt eher den Galgenhumor rund um den VfL zum Ausdruck. Man könnte auch sagen: In Wolfsburg traut man den elf Spielern auf dem Platz nicht mehr viel zu, da müssen andere ran.
Hört man auf das, was Trainer Felix Magath nach der ernüchternden Bilanz von zehn Punkten in acht Spielen seit seiner Rückkehr so vom Stapel lässt, hat auch er fast schon den Glauben verloren.
Magaths Erwartung: A**** aufreißen!
"Ich kann das Gerede von Druck und mentalen Problemen nicht mehr hören", fauchte er nach der 1:2-Heimpleite gegen den 1. FC Kaiserslautern sauer. Alles nur leeres Geschwätz, man habe primär "das Problem von mangelndem Verantwortungsbewusstsein" im Team.
Dieser Verantwortung soll sich vor dem 34. Spieltag nun keiner mehr entziehen können - egal wie das Spiel in Hoffenheim ausgeht. Denn entgegen der Ankündigung von "VW"-Chef Martin Winterkorn, die desolate Saison werde (personelle) Konsequenzen haben, will Magath alle Spieler im Falle eines Abstiegs mit in den Keller nehmen.
"Die Spieler, die uns die Suppe eingebrockt haben, sollen diese jetzt auch auslöffeln", so seine schroffe Ankündigung. Ob solche Aussagen die Mannschaft motivieren, sei dahingestellt. Darum geht es Magath auch nicht. Es geht um das Erreichen eines Minimalziels und dafür, so Magaths Einstellung, habe sich jeder Angestellter gefälligst den Allerwertesten aufzureißen.
Die Angst vor dem Niedergang
Immerhin nimmt der Coach nach der Pleite gegen den FCK nicht nur die Spieler in die Pflicht.
"Für diese Leistung bin ich verantwortlich", sagte der 57-Jährige selbstkritisch. Magaths Einsicht: Auch er hat es nicht geschafft, eine von zwei Trainern (Armin Veh, Steve McClaren) und einem aktionistischen Geschäftsführer (Dieter Hoeneß) "strukturlos" zusammengesetzte Mannschaft zu einer Einheit zu formen.
Nun müssen eben andere Automatismen greifen. Nicht das "Wir"-Gefühl steht im Vordergrund, sondern die pure Angst vor dem Niedergang. In dieses Horn stießen auch Winterkorn ("Die Mannschaft bäumt sich nicht mehr auf") und VfL-Aufsichtsrat Rolf Schnellecke, nebenbei Oberbürgermeister der Stadt Wolfsburg.
"Geht um den VfL, um VW, die Fans und die Menschen"
"Manche Spieler haben vergessen, dass jeder Erfolg neu erkämpft werden muss", sagte dieser in einem Interview mit der "Wolfsburger Allgemeinen Zeitung". Die Wechselhaftigkeit der Leistungen habe ein Maß erreicht, das für ihn nicht mehr nachvollziehbar sei. Sein Vorwurf: So kann man sich nicht präsentieren, wenn man im Abstiegskampf steckt.
Ähnlich wie Winterkorn appelliert Schnellecke an die Ehre der Mannschaft: "Sie muss jetzt mal klarmachen, um was es hier geht. Es geht um den VfL, um VW, die Fans und die Menschen in unserer Stadt und der Region."
Sein Argument: Neben dem Verein wirke sich ein Abstieg natürlich auch auf den Autokonzern und die dort beschäftigten Arbeiter aus der Stadt aus.
"Ein Abstieg wäre ein Desaster", sagt Schnellecke. "In einer Phase, wo VW sich anschickt, an die Spitze der Weltliga zu gehen, wo wir die Folgen der Welt-Finanzkrise ein Stück weit positiv überwunden haben, wäre das jetzt ein herber Rückschlag."
Magath stellt Benaglio und Friedrich bloß
Fraglich nur, wie die tief verunsicherte Mannschaft mit dieser Erwartungshaltung und dem Vorwurf, keinen Zusammenhalt zu haben, in den letzten 90 Minuten der Saison umgehen soll. "Die einzigen, die etwas zu verlieren haben, sind wir", sagte Josue den "Wolfsburger Nachrichten".
Gegen Kaiserslautern brachte man zum neunten Mal in dieser Saison eine 1:0-Führung (fünf Niederlagen) nicht über die Zeit. Und Magath selbst macht alles nicht unbedingt besser, wenn er Spielern wie Diego Benaglio und Arne Friedrich öffentlich attestiert, verunsichert zu sein. "Er ist völlig ohne Selbstbewusstsein", sagte er beispielsweise über seinen Torwart.
Im Fall des Nationalverteidigers habe Magath indes keine Erklärung dafür, warum er zuletzt bei Gegentoren pennte und gegen Lautern in der zweiten Halbzeit nicht mal die Hälfte seiner Zweikämpfe gewann. Stattdessen sagt der Trainer: "Man könnte die Mutmaßung haben, dass Arne Friedrich nervlich mit der Situation nicht klargekommen ist."
Nun stehen alle Spieler im Training unter Beobachtung. "Nur die Profis, die im Training einen stabilen Eindruck machen, sind dabei", meinte der 57-Jährige mit Blick auf den 18er-Kader für Hoffenheim. Gut möglich also, dass Benaglio und Friedrich auf dem Team fliegen.
Längere Ferien als Motivation
Für die Innenverteidigung steht Alexander Madlung Gewehr bei Fuß. Der Ex-Berliner bewies Magath schon in der Meistersaison 2009, dass man sich auf ihn verlassen kann. Im Tor gab der Trainer zuletzt dem dienstältesten Wolfsburger Andre Lenz den Vorzug vor Marwin Hitz. Lenz selbst kämpft noch um einen neuen Vertrag für die kommende Saison.
Den freien Montag gab es diese Woche nicht, Magath ließ am Vormittag Standards trainieren und berief den Kader nachmittags zu einer Videoanalyse ein, bei der die zwei Gegentore gegen Lautern nach ruhenden Bällen im Fokus standen. Im bisherigen Saisonverlauf hatte der VfL nicht mal ein Viertel seiner Tore nach Standards erzielt, dafür aber schon 19 Gegentore kassiert.
Dazu gab es immer wieder Zweikampftraining mit Torabschluss auf verengtem Raum. Magath wollte Leidenschaft und Opferbereitschaft wecken, verausgabte die Spieler damit aber auch. An den Spielern nagt zudem die Ungewissheit, wie es mit ihnen mittelfristig weitergeht.
Alle Vertragsgespräche liegen auf Eis. Die Möglichkeit einer Relegation sowie die Tatsache, dass die neue Zweitliga-Saison schon am 15. Juli beginnt, macht zudem eine Planung für die kommende Vorbereitung unmöglich. Josue sieht darin immerhin einen pragmatischen Motivationsansatz: "Gewinnen wir, haben wir auch längere Ferien."
Erinnerungen an 2006 und 2007
Ein wenig Optimismus könnte den rund 2000 mitreisenden VfL-Fans immerhin die Erinnerung an die Jahre 2006 und 2007 verschaffen.
Vor fünf Jahren rettete sich Wolfsburg mit einem 2:2 gegen Kaiserslautern, vor vier mit einem 2:2 bei Alemannia Aachen am 33. Spieltag, beide Male lag man in Rückstand.
"Da hatte ich mir geschworen: So etwas will ich nie wieder erleben. Jetzt hoffe ich, dass es wenigstens so endet wie damals", sagte Winterkorn im "Kicker"-Interview.
Ihm sei allerdings gesagt: Ein 2:2 könnte diesmal trotz der besseren Ausgangslage gegenüber Borussia Mönchengladbach und Eintracht Frankfurt nicht reichen - und der VfL damit erstmals in der Vereinsgeschichte absteigen.
Der Kader des VfL Wolfsburg