Nuri Sahin hat noch keine einzige Minute für Real Madrid gespielt. Im Sommer war der Türke von Borussia Dortmund zu den Königlichen gewechselt. Seitdem plagt er sich mit Knieproblemen herum.
Wann der 23-Jährige sein Debüt für das Team von Coach Jose Mourinho geben wird, ist noch offen - und damit auch die Antworten auf die Fragen, die sich viele Real-Fans und die spanischen Medien nach der Verpflichtung Sahins stellten: Wird er Real helfen? Und: Was kann dieser Sahin eigentlich?
In Dortmund wissen sie, was Sahin drauf hat. Der türkische Nationalspieler war einer der überragenden Akteure der vergangenen Bundesliga-Saison und führte den BVB als Mittelfeldchef zur deutschen Meisterschaft. Doch seit er weg ist, heißt es bei der Borussia: Funktioniert Dortmund auch ohne Sahin?
Zwei Punkte hinter Platz vier
Nach sieben Spieltagen rangiert der BVB mit zehn Punkten im Mittelfeld der Liga. Der Sieg in Mainz war zwar der erste Auswärtsdreier seit Februar 2011 und stellte den Anschluss zu den CL-Plätzen wieder her (Hoffenheim auf Platz 4 hat 12 Punkte), doch noch läuft es nicht wirklich rund bei den Schwarzgelben.
Ob das alleine mit Sahins Wechsel zusammenhängt, sei dahingestellt. Fakt ist: Das Spiel des BVB hat sich im Vergleich zur Vorsaison geändert. Nominell agiert Dortmund nach wie vor in einem 4-2-3-1-System. Im defensiven Mittelfeld ist Sven Bender, Sahins Partner in der Vorsaison, bei Jürgen Klopp auch in dieser Spielzeit gesetzt. Wenn Bender fit ist, spielt er.
Als Ersatz für Sahin holte der BVB Ilkay Gündogan vom 1. FC Nürnberg. Der 20-Jährige stand in allen bisherigen Bundesliga-Spielen in der Startelf. Zudem durften vor der Abwehr auch schon Kapitän Sebastian Kehl und Antonio da Silva ran. Obwohl Klopp seine Spielidee im Vergleich zum Vorjahr grundsätzlich beibehalten hat, haben sich verschiedene Abläufe durchaus verändert.
Die Spielgestaltung: Sahin war der Dreh- und Angelpunkt im Borussen-Spiel. Ging es in die Offensive, war der Türke auch meistens beteiligt. Der erste Ball aus der Abwehr wanderte in der Regel zu Sahin, der dann die weiteren Aktionen initiierte und kontrollierte.
So kam er laut "Impire" in der vergangenen Saison im Schnitt auf 87 Ballkontakte und war damit hinter Bastian Schweinsteiger ligaweit die Nummer zwei. Gündogan (72 Ballkontakte), Kehl (77), da Silva (76) und Bender (74) können da nicht mithalten. An Benders Statistik erkennt man allerdings auch, dass im Dortmunder Mittelfeld nun eine Art Arbeitsteilung herrscht, hatte er im Vorjahr im Schnitt doch nur 60 Ballkontakte und offensive Impulse fast ausschließlich Sahin überlassen.
Den einen Dominator, der Sahin war, gibt es nun nicht mehr. Doch damit fehlen auch gewisse Automatismen, die in der letzten Saison griffen. Während Sahin sich regelmäßig weit zurückfallen ließ und den Ball häufig bei einem Innenverteidiger abholte, sich dann mit dem Ball am Fuß aufdrehte und damit das Spiel vor sich hatte, warten Gündogan und Co. meist im Mittelfeld auf das Zuspiel aus der Abwehr.
Die Folge: Dortmunds Sechser bekommen beim Anspiel durch einen oder mehreren Gegenspieler sofort Druck und sind dadurch gar nicht in der Lage, das eigene Offensivspiel zu gestalten. Stattdessen lässt man den Ball häufig auf einen Abwehrspieler prallen, um die Gefahr eines Ballverlustes zu minimieren. Zum Beleg: In Mainz wanderten Zuspiele der Dortmunder Sechser Gündogan und Kehl deutlich häufiger zu einem Abwehrmann (63 Prozent) als zu einem Offensivspieler.
Die Spielauslösung hat sich beim BVB dadurch um einige Meter nach hinten verlagert und wird nun mehr als früher auch von den Abwehrspielern übernommen. Während Hummels und Subotic im letzten Jahr durchschnittlich 62 bzw. 63 Ballkontakte hatten, bringen es beide auf nunmehr 88 bzw. 89.
Und weil Mitspieler aus der Abwehrreihe heraus nicht immer per Flachpass zu bedienen sind und keiner wie Sahin die Bälle hinten abholt, muss der BVB in dieser Saison häufiger auf einen langen Ball zurückgreifen als im Vorjahr (aktuell 37, letzte Saison 33 Mal pro Spiel). Hummels spielte bislang im Schnitt gar doppelt so viele lange Pässe wie in der Meistersaison.
Die Torgefahr: Mit Sahin hat die Borussia ihren Strategen verloren. Der Türke war aber nicht nur derjenige, der dem BVB-Spiel Struktur verliehen hat, sondern häufig auch der, der vorne die entscheidenden Impulse gab.
Zwar vermied es Sahin, anders als andere Sechser, mit Tempo in die Tiefe zu gehen und vorne in die Spitze zu stoßen, doch dank seines feinen linken Fußes und seiner Übersicht, war er als Vollstrecker und vor allem finaler Passgeber enorm wertvoll. So war er nach Leverkusens Arturo Vidal (10 Tore/12 Assists) und Lauterns Christian Tiffert (2/17) mit sechs Treffern und neun Vorlagen gefährlichster Sechser der Liga.
Auf derartige Impulse wartet man von Dortmunds aktuellen defensiven Mittelfeldspielern noch vergeblich. Lediglich Gündogan und da Silva bereiteten bislang je einen Treffer vor, ein eigenes Tor erzielte dagegen noch keiner. Auch deshalb hat der BVB erst einen Treffer mehr erzielt als Schlusslicht Hamburg.
Dass die Dortmunder nach Bayern und Bremen die meisten Chancen herausgespielt haben, zeigt allerdings auch: Mit Sahins Abgang ist die Offensivqualität nicht verschwunden, seinen Part des Vorbereiters haben inzwischen aber vor allem die Offensivakteure übernommen. Mario Götze und Robert Lewandowski bereiteten bereits jeweils drei Tore vor.
Und: Götze und Ivan Perisic waren gegen Mainz an zehn bzw. acht Torschüssen der Klopp-Elf beteiligt. In der vergangenen Saison führte diese Statistik noch Nuri Sahin an - und das nicht nur beim BVB, sondern ligaweit.
Insgesamt war der Dortmunder Mittelfeldchef im Meisterjahr im Schnitt an mehr als sechs Torschüssen pro Spiel beteiligt. Von den aktuellen Borussia-Sechsern kommt ihm Gündogan noch am nächsten, bringt es aber auf nur die Hälfte.
Weil Sahin zudem auch als Standardschütze fehlt (bislang noch kein Tor nach Ecke oder direktem Freistoß), lässt die Offensivausbeute des BVB bislang zu wünschen übrig. Während man in der vergangenen Spielzeit nach sieben Spieltagen bereits 21 Treffer erzielt hatte, sind es nun gerade mal neun.
Die Defensive: Der Blick auf die Vorjahres-Bilanz zeigt allerdings auch: Die Defensive scheint auch ohne Sahin zu funktionieren. Bislang kassierte Dortmund sieben Gegentore, zum gleichen Zeitpunkt der letzten Saison waren es fünf.
Mit 56 Prozent gewonnenen Zweikämpfen brachte es Sahin zwar auf einen guten Wert, der Türke war allerdings nicht der aggressive Balleroberer, der im Spiel gegen den Ball seine Stärken hatte.
Dort liegen dagegen die Qualitäten von Gündogan, der in der Lage ist, den Gegner über längere Zeit in hohem Tempo unter Druck zu setzen und der dadurch immer wieder Bälle tief in der gegnerischen Hälfte gewinnt.
Im Zusammenspiel mit Nebenmann Sven Bender funktioniert das Verhalten der Dortmunder Doppelsechs in der Rückwärtsbewegung schon recht gut. Zumal Bender seine Zweikampfbilanz auf über 56 Prozent gewonnene Duelle steigern konnte.
Der Jung-Nationalspieler ist also bei eigenem Ballbesitz mittlerweile mehr gefordert als noch im Vorjahr (siehe z.B. Ballkontakte). Seine Defensivqualitäten scheinen darunter allerdings nicht zu leiden. Ohne Sahin ist also längst nicht alles schlecht beim BVB.
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