SPOX: Herr Metzelder, nach Ihrem Karriereende als Spieler sind Sie sofort ins Arbeitsleben eingestiegen. Sie sind Experte bei "Sky", Geschäftsführer einer Sportmarketingagentur, Vize-Präsident bei der Vereinigung der Vertragsfußballspieler (VdV) und leiten Ihre eigene Stiftung. Wieso nicht erst einmal eine Auszeit?
Christoph Metzelder: Eine längere Auszeit war für mich nie ein Thema, das entspricht einfach nicht meinem Naturell. Meine Interessen waren schon immer breit gefächert und dazu arbeite ich auch sehr gerne. Es war also die logische Konsequenz, nach der Karriere die Dynamik der letzten Jahre weiter zu nutzen. Auch da habe ich mich neben dem Fußball schon vielfältig engagiert.
SPOX: Ihre Engagements sind sehr zeitintensiv. Geht die Reiserei nicht irgendwann mal an die Substanz?
Metzelder: Sie kostet Zeit und durchaus auch Kraft, das stimmt. Ansonsten empfinde ich das nicht als Belastung. Es ist ein vielfältiges Arbeiten und als Quereinsteiger in der Werbebranche gilt es, viel zu tun. Deshalb versuche ich, so viele Termine wie möglich wahr zu nehmen.
SPOX: Sie bezeichnen sich als Multifunktionär, was angesichts Ihrer vielen Projekte durchaus nachvollziehbar ist. Wieso fahren Sie nicht eindimensionaler?
Metzelder: Ich habe das auf diese Weise schon immer gebraucht, nur eine Sache hat mich nie komplett ausgefüllt. Ich gehe gerade mein zweites Berufsleben an und schlage neue Wege ein. Ich bin ehrgeizig und möchte bei den Dingen, die ich jetzt mache, genauso erfolgreich sein wie ich es als Sportler sein durfte.
SPOX: Ihre 2006 gegründete Stiftung befasst sich hauptsächlich mit Bildungsprojekten. Wie nehmen Sie Kinder und Jugendliche wahr, die mehr mit Smartphone und "Facebook" als mit Schulbüchern aufwachsen?
Metzelder: Ich bin völlig anders groß geworden, aber diese Zeiten sind unwiederbringlich vorbei. Entwicklungen wie das Internet oder Smartphones kann man Kindern einfach nicht mehr vorenthalten. Das sind Bestandteile des normalen Lebens geworden, teilweise auch der schulischen Ausbildung. Wenn ich aber die Arbeit innerhalb meiner Projekte betrachte, sehe ich Kinder, die trotz aller Probleme aufmerksam sind und ihre Aufgaben mit einer großen Lebensfreude angehen - und dort muss der Hebel angesetzt werden.
SPOX: Welche Probleme sind das?
Metzelder: Diese Kids kommen aus sozial schwierigen sowie bildungsfernen Milieus und bekommen zu Hause oder in ihrem direkten Umfeld wenig Unterstützung. Wenn ich etwas an der "jungen Generation" kritisiere, dann sind es eher diejenigen, die vom familiären Background her alles mitbringen und mit diesen Privilegien fahrlässig umgehen.
SPOX: Ihr Anliegen ist es, dass irgendwann der Bildungserfolg nicht mehr über die soziale Herkunft definiert wird. Halten Sie das wirklich für ein realistisches Ziel?
Metzelder: Es ist mit Sicherheit ein hehrer Gedanke. Auch in Zukunft wird es Unterschiede geben. Dennoch ist es unsere Pflicht als Gesellschaft zu versuchen, diesen Menschen zumindest dieselben Startchancen zu geben. Deswegen ist Kinder- und Jugendarbeit auch Familien- und Stadtteilarbeit. Wir gehen mit unseren Projekten direkt in die Stadtteile und holen die Kinder dort ab. Unsere Erfahrungen im Bildungsbereich zeigen, dass bei individueller Unterstützung signifikante Erfolge zu sehen sind.
SPOX: Ein weiteres Projekt ist Ihr Heimatverein TuS Haltern, den Sie unterstützen. Im vergangenen August haben Sie dort sogar ein Comeback in der Landesliga gefeiert. Nach 28 Minuten mussten Sie aber verletzt ausgewechselt werden und haben seitdem kein Spiel mehr absolviert. Wieso nicht?
Metzelder: Das wird wohl der erste und einzige Einsatz gewesen sein (lacht). Auch in der Landesliga macht es nur Sinn, wenn man regelmäßig trainieren kann. Da gilt für mich dasselbe Leistungsprinzip wie überall sonst auch. Ich bin jedoch so viel unterwegs, dass ich unter der Woche kaum trainieren kann. Ich versuche aber, bei den Spielen am Wochenende als Fan dabei zu sein und unterstütze die A-Jugend als Co-Trainer.
SPOX: Im Amateurfußball herrscht noch eine gewisse Ursprünglichkeit vor, auch was das Funktionieren einer Gemeinschaft angeht. Ist es auch das, was Sie nach all den Jahren im Fußball-Geschäft daran reizt?
Metzelder: Es ist schon bemerkenswert, mit welchem Zusammenhalt, welcher Begeisterung und Leidenschaft die Jungs, die tagsüber studieren oder arbeiten, ihrem Hobby nachgehen. Natürlich wollen auch sie Spiele gewinnen, aber das hat nichts mit diesem geschäftlichen Ernst zu tun, den man aus dem Profifußball kennt. Wenn ich überlege, über welche Themen wir uns als Profis in der Kabine unterhalten oder gemeckert haben! Diese ursprüngliche Freude des Amateurfußballs geht dort leider verloren.
SPOX: Lässt sich der Charme, dem man im Amateurfußball begegnen kann, heutzutage gar nicht mehr zumindest ansatzweise in den Profifußball implementieren?
Metzelder: In dem Moment, wo ein Beruf daraus wird und Gelder fließen, lässt sich das in dieser Form schlichtweg nicht mehr aufrecht erhalten.
SPOX: Steckt man als Aktiver so sehr in einer andersartigen Welt fest, dass es vielen im Anschluss daran schwer fällt einzusehen, dass die Rolle als Fußballer endlich ist?
Metzelder: Welcher 20-Jährige möchte sich denn damit beschäftigen? In diesem Alter denken die wenigsten daran, was mit 35 ist. Das ist also etwas, das man als Spieler immer vor sich her trägt und so lange es geht hinauszögert. Die Frage ist: Wie bereiten sich Fußballer auf den zweiten Lebens- und Berufsabschnitt vor, der ja deutlich länger ist als eine Fußballkarriere?
SPOX: Wie lautet Ihre Antwort?
Metzelder: In meinen Augen für den größten Teil mangelhaft.
SPOX: Wie kann man es besser machen?
Metzelder: Es beginnt schon mal mit der erwähnten Einsicht, dass der Job als Profifußballer definitiv zu Ende gehen wird.
SPOX: Dessen sollte sich aber doch ein jeder bewusst sein?
Metzelder: Klar, aber es will sich eben niemand damit beschäftigen. Die VdV bietet beispielsweise nachfußballerische Karriereplanung an. Das nehmen aber nur diejenigen in Anspruch, die wissen, dass das Geld, das sie in ihrer Karriere verdienen, nicht ausreicht, um davon die nächsten 50 Jahre leben zu können. Die existenzielle Frage 'Wie bilde ich mich weiter?' stellt sich für einen Zweit- oder Drittligaspieler schon während der Karriere - und für den Bundesligastar erst dann, wenn es nicht mehr weiter geht.
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