Gegen den Hamburger SV war es fast genauso wie eine Woche zuvor beim VfL Wolfsburg, nur dass Martin Harnik diesmal nicht die Ferse seines rechten Fußes verwendete, sondern ein bisschen den Außenrist und ein bisschen den Spann. Der Ball trudelte jedenfalls wieder von der rechten Seite in den Strafraum und Harnik stocherte ihn wieder aus kürzester Distanz über die Linie.
"Es war natürlich wieder Glück, dass ich zur richtigen Zeit am richtigen Ort stehe und mir der Ball vor die Füße fällt", analysierte Harnik in einem Video-Interview auf der vereinseigenen Homepage und lächelte verschmitzt. "Aber auch dieses Glück kann man sich erarbeiten." Erarbeiten. Ein Wort, das den erstaunlichen Lauf von Hannover genauso gut beschreibt wie den erstaunlichen Lauf von Harnik selbst.
Nicht alles, was Hannover und Harnik machen, ist schön - dafür aber effizient. Nach vier Spieltagen ist Hannover Tabellenzweiter der Bundesliga. Für seine zehn Punkte brauchte Hannover nur fünf Treffer, drei davon steuerte Harnik bei. Neben dem Führungstor gegen Hamburg und dem Ausgleich in Wolfsburg auch noch das Siegtor am ersten Spieltag in Mainz. Für Harnik war das fast schon ein Distanzschuss, etwas außerhalb des Fünfmeterraums zog er damals ab.
Mit der Kneipentruppe nach Mallorca
Bejubelt hat Harnik alle seine Tore natürlich mit dem von ihm erfundenen und nach ihm benannten Harnik-Jubel. Dabei dreht er erstmal ab und beginnt zu laufen. Dann lässt er seine rechte Faust wild über seinen Kopf kreisen und schmeißt sie dann mit aller Kraft Richtung Rasen. Und dann haben ihn seine Kollegen meist auch schon eingeholt. Seine Kollegen, die mehr sind als Kollegen.
"Das ist erst das zweite Mal in meiner Karriere, dass ich eine Profi-Mannschaft als richtig coole Gemeinde erlebe. Im Grunde sind wir eher Freunde als Mitarbeiter", erzählte Harnik im Sommer in der SportBild. Zuvor war die Mannschaft geschlossen nach Mallorca gereist, um dort den Aufstieg zu feiern. Kein einziger Spieler fehlte.
"Wir sind wie eine Kneipentruppe auf Bundesliga-Niveau", schlussfolgerte Harnik und erklärte eilig: "Mit Kneipentruppe meine ich aber nicht, dass wir nach jedem Training eine Kiste Bier in die Kabine stellen. Sondern, dass wir uns auch abseits des Platzes sehr gut verstehen."
Alle zwei Wochen in die Hamburger Heimat
Abseits des Platzes ist das Leben für Harnik in Hannover ohnehin fast schon ein Traum. Das liegt natürlich einerseits an der Kneipentruppe und andererseits an der Nähe zu Hamburg/Kirchwerder, Harniks Heimat. Im Vergleich zu seinen vorherigen Stationen Stuttgart (6,5 Stunden) und Düsseldorf (4 Stunden) lässt sich Hamburg/Kirchwerder von Hannover aus mit dem Auto nämlich deutlich schneller erreichen. Bei normalem Verkehr in unter zwei Stunden.
Harnik gibt das die Möglichkeit zu vielen Heimatbesuchen, um abzuschalten und Kraft zu tanken. "Wir sind fast alle zwei Wochen zu Hause und das genießen meine Frau und ich sehr", sagte Harnik kürzlich der Hamburger Morgenpost. Bei seinem Wechsel von Stuttgart nach Hannover im Sommer 2016 spielte dieser Umstand eine große Rolle: "Das war eine Bauchentscheidung und eine für die Familie." Denn: "Hamburg ist unsere Stadt."
Und der dort ansässige HSV auch irgendwie ein bisschen sein Verein. Obwohl Harnik den Schritt zum Profi einst beim Lokalrivalen Werder Bremen schaffte, hegt er seit jeher Sympathien für den HSV - und etliche seiner Familienmitglieder tun das ebenfalls. "Ich habe sie aber mittlerweile soweit, dass sie mir die Daumen drücken, wenn ich gegen den HSV spiele", sagte Harnik nach dem Sieg gegen eben jenen HSV und fügte stolz hinzu: "Viele Freunde und Bekannte sind extra aus Hamburg angereist."
Schleichend und mit feinem Näschen in den Fünfmeterraum
Zu sehen bekamen sie dabei einen Harnik, der nicht nur traf und in Folge dessen natürlich auch seinen Harnik-Jubel zeigte, sondern ganz allgemein viel versuchte und viel arbeitete. Wie beim Spiel in Wolfsburg schoss Harnik auch gegen Hamburg am öftesten aller Hannoveraner. Wieder war er für einen Offensivspieler oft am Ball und bestritt wieder eine zweistellige Anzahl an Zweikämpfen. Wieder lief er seine Gegenspieler bei deren Aufbauversuchen energisch an.
All das machte Harnik auf der rechten Offensivseite. Teilweise als Rechtsaußen, teilweise als zweite Spitze (diesmal neben Niclas Füllkrug, in Wolfsburg neben Jonathas). "Ich profitiere vom Kollektiv", sagt Harnik. Das Zusammenspiel mit seinen Kollegen klappt bisher gut. Erobert Hannover den Ball, wird schnell umgeschaltet. Die Laufwege stimmen dabei - auch die unkonventionellen, die Harnik irgendwann irgendwo im Fünfmeterraum auftauchen lassen.
Dort, wo er dann mit der Ferse oder dem Außenrist und Spann stochert. "So ein dreckiges Tor habe ich noch nie gemacht", sagte Harnik über seinen Treffer in Wolfsburg und freute sich deshalb womöglich umso mehr. "Gerd-Müller-Manier", lobte Manager Horst Heldt dagegen Harniks Fähigkeiten in dieser Zone und Trainer Andre Breitenreiter attestierte ihm ein "feines Näschen". Matthias Sammer nennt Harnik "einen Schleicher".
Mit Hannover ist Harnik jedenfalls von der 2. Bundesliga bis auf Platz zwei der ersten geschlichen. Seit seinem Wechsel nach Hannover hat er in 38 Pflichtspielen 26 Tore erzielt. "Wir genießen das", sagt Harnik. Tabellenplatz zwei, seine Tore, das Zusammenspiel mit der Kneipentruppe und die Nähe zur Familie.