Stell dir vor, Borussia Dortmund stellt die Weichen für die Zukunft und die Zeit ohne den langjährigen Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke - und niemand bekommt es mit! So ist es nun tatsächlich beim BVB geschehen. Die Bestellung von Lars Ricken zum neuen Geschäftsführer Sport ab Mai kommt einer Überraschung gleich. Kein einziges Gerücht dazu war vorab durchgesickert.
Dafür, dass in der heute dauer-hektischen Medienlandschaft keine Interna nach außen gedrungen sind, gebührt dem Klub ein großes Kompliment. Vielleicht muss man sich als Journalist auch vielmehr an die eigene Nase fassen. Schließlich kommt die Personalie Ricken nur auf den ersten Blick überraschend daher, eigentlich lag sie sehr nahe.
Der gebürtige Dortmunder, seit 1990 (!) im Verein, ist nämlich die Lösung mit dem größtmöglichen Stallgeruch, die man sich vorstellen kann. Dass dieser Faktor stets ein wichtiger für Watzke war, lässt sich an dutzenden Entscheidungen während seiner seit 2005 andauernden Amtszeit ablesen. Mehr Identifikation mit dem Klub als bei Ricken geht kaum.
Ricken hat sich diese Beförderung in für ihn unbekanntes Terrain auch verdient. Seit 2008 arbeitet er als Nachwuchskoordinator beim BVB, im Januar 2021 ging es für ihn als Direktor des Nachwuchsleistungszentrums eine Stufe in der Karriereleiter nach oben. Er verantwortete die größte Abteilung innerhalb des Klubs, unter Rickens Ägide hat sich das Dortmunder NLZ zum erfolgreichsten in Deutschland entwickelt.
Lars Ricken wird das neue Gesicht des BVB
Seit Jahren heimsen die Jugendteams der Westfalen Titel um Titel ein, U17 und U19 gewannen seit 2014 insgesamt sieben deutsche Meisterschaften. Dazu schafften es zahlreiche Spieler bis in den Profikader des BVB oder ihnen gelang an anderer Stelle der Sprung in den Seniorenbereich. Die Durchlässigkeit während Rickens Amtszeit, von der der Verein teils auch finanziell profitierte, war enorm.
Nun jedoch verlässt er diesen Bereich, den künftig aller Wahrscheinlichkeit nach Thomas Broich verstärken wird. Dessen Wechsel von Hertha BSC nach Dortmund dürfte nicht mehr lange auf sich warten lassen. Für den 47-jährigen Ricken bedeutet dies nun eine gänzlich neue Rolle, in die er trotz seiner langjährigen Erfahrung sicherlich erst hineinwachsen muss - mit für den Moment freilich ungewissem Ausgang.
Ricken war bislang schon ein bedeutsames Gesicht des Vereins, doch nun muss er dieses auch in der Öffentlichkeit darstellen und eine um ein Vielfaches höhere Präsenz an den Tag legen. Die Luft in der ersten Reihe ist sicherlich dünner als "unten" im Nachwuchsbereich, doch dem für gewöhnlich in sich ruhenden Ricken ist es durchaus zuzutrauen, den neuen Schritt in seiner Karriere intern handhaben und extern moderieren zu können.
BVB-Entscheidungen sind für Sebastian Kehl eine Niederlage
Dieses Unterfangen könnte sich bei der neu geschaffenen Konstellation eine Ebene unter Ricken schon schwieriger gestalten. Der wie Ricken in Dortmund geborene Sven Mislintat kehrt als Technischer Direktor zurück. Eine Rolle, die zuletzt verwaist und zuvor einmalig eine Saison lang vom heutigen Cheftrainer Edin Terzic bekleidet wurde.
Doch anders als damals bei Terzic wird Mislintats klarer Fokus auf seiner Kernkompetenz, der Kaderplanung, liegen. Dies war bislang eigentlich das Hoheitsgebiet von Sebastian Kehl, der mehr als deutlich in der Öffentlichkeit auf den Geschäftsführerposten schielte und nun doch Sportdirektor bleibt. Im Sommer soll Ricken mit Kehl über eine Verlängerung seines bis 2025 datierten Vertrags sprechen.
Die nun getroffenen Personalentscheidungen des Vereins sind für Kehl eindeutig eine Niederlage, er sah sich bereit für den Schritt in eine größere Verantwortung. Dass nun mit dem ehrgeizigen Mislintat ein Vertrauter von Terzic aus einstigen gemeinsamen Tagen als Scouts in den Klub kommt und Kehl ihm in Sachen Transferentscheidungen einen nicht geringen Einfluss einräumen muss, ist sicherlich nicht nach dem Geschmack des 44-Jährigen.
Verhältnis zwischen Sebastian Kehl und Sven Mislintat gilt als belastet
Zumal - wie zu hören ist - Kehl und Mislintat bislang nicht unbedingt auf einer Wellenlänge lagen. Dies hat weniger mit dem im vergangenen Sommer gescheiterten Transfer des Ex-Amsterdamers Edson Alvárez zu tun, mit dem schon alles beschlossen war, ehe der BVB in letzter Sekunde einen Rückzieher machte. Sehr zum Unmut des damals bei Ajax als Technischer Direktor angestellten Mislintat.
Für gravierendere Irritationen sorgte Mislintat einst selbst. Dass er sich mit dem ihm zugeneigten Watzke im Frühjahr 2021 traf und Gespräche hinsichtlich der Nachfolge des damaligen Managers Michael Zorc führte, kam bei Kehl überhaupt nicht gut an. Der war in den Vorjahren, in denen er als Leiter der Lizenspieler-Abteilung fungierte, schließlich zum Zorc-Nachfolger aufgebaut worden - was er ja am Ende auch wurde.
Trotzdem gilt das Verhältnis zwischen Kehl, der gerne Rickens Position gehabt hätte, und Mislintat, der meinungs- und durchsetzungsstark sowie nicht gerade konfliktscheu ist, als belastet. Es wird an den beiden liegen, sich im Sinne des Klubs zusammen zu raufen. Und auch eine der Aufgaben von Ricken sein, sicher zu stellen, dass die Zusammenarbeit zwischen den beiden von Harmonie und Einstimmigkeit geprägt ist.
Sven Mislintat muss sich auf seine größte Stärke besinnen - die Kaderplanung
Mit Blick auf die bisherige Amtszeit Kehls und dessen eher durchschnittlicher Transferpolitik sollte es dem BVB guttun, künftig auf die nachgewiesene Expertise und Kreativität Mislintats bauen zu können. Er entdeckte bereits viele starke Spieler in seinen vorherigen Jahren bei den Schwarz-Gelben, die dem Klub später hohe Einnahmen einbrachten. Dazu sind große Teile des aktuellen Kaders vom VfB Stuttgart, der drittbesten Mannschaft dieser Bundesligasaison, von Mislintat zusammengestellt worden.
Daher soll ihm Watzke dem Vernehmen nach in den zuletzt geführten Verhandlungen auch unmissverständlich kommuniziert haben, dass sich Mislintat auf diese Aufgaben zu beschränken hat - die Kaderplanung sei nun einmal seine größte Stärke. Besinnt sich Mislintat darauf und behält auch im Duett mit Kehl diesen Fokus, dürften der BVB, aber auch Kehls Ansehen, davon profitieren.
BVB: Das Restprogramm von Borussia Dortmund
Spieltag | Datum | Uhrzeit | Heim | Gast |
31 | Sa., 27.4.24 | 15:30 | RB Leipzig | Borussia Dortmund |
CL-Halbfinale | Mi., 1.5.24 | 21:00 | Borussia Dortmund | Paris Saint-Germain |
32 | Sa., 4.5.24 | 15:30 | Borussia Dortmund | FC Augsburg |
CL-Halbfinale | Di., 7.5.24 | 21:00 | Paris Saint-Germain | Borussia Dortmund |
33 | Sa., 11.5.24 | 18:30 | 1. FSV Mainz 05 | Borussia Dortmund |
34 | Sa., 18.5.24 | 15:30 | Borussia Dortmund | Darmstadt 98 |