Die zypriotischen Journalisten haben Apollon nach dem Aus gegen Zilina in einem Ranking der Meisterschaftsfavoriten vor dem Ligastart auf Platz fünf gesetzt. Wie groß war Ihre Zuversicht, dass sie sich täuschen?
Zorniger: Das machte es uns leichter, weil es uns mehr Zeit verschafft hat. Mir wurde in den Vorbereitungsspielen klar: Wenn wir es schaffen, die Truppe für die Spielweise zu begeistern und sie davon zu überzeugen, dann werden wir nur aufgrund der Intensität der Spielweise weit vorne landen.
Sind Sie anfangs anders als vorher vorgegangen, um bei Apollon Ihren Fußball zu implementieren?
Zorniger: Nein, das lief wie auf all meinen Stationen. Ich lege sehr viel Wert auf Trainingsarbeit und Videoschulungen. Wir haben das Trainingszentrum mit Postern gepflastert, auf denen inhaltliche Botschaften standen, um sie permanent zu vermitteln und zu verinnerlichen. Im Training arbeitet man dann mit extrem vielen Provokationsregeln, damit die Spieler die Schwerpunkte erkennen. Mit der Zeit verringert man manche Dinge vielleicht auch etwas und intensiviert Themen, die bereits gut greifen. Wir haben beispielsweise irgendwann das Gegenpressing etwas mehr in den Vordergrund gestellt und sind beim Pressing etwas flexibler vorgegangen.
Hand aufs Herz: Wie offen war man innerhalb des Klubs letztlich in der Praxis für Ihre Herangehensweise, gerade nach der holprigen Vorbereitung - fiel es Ihnen leicht, eine Leistungsatmosphäre zu kreieren?
Zorniger: Es war ein ständiger Prozess. Wir hatten keine Leistungsatmosphäre, in der man sich im Sinne der Sache auch richtig die Meinung geigen konnte und zum Schluss einen Strich darunter macht. Ich hatte daher damit zu kämpfen, dass gemeinsam abgesprochene Entscheidungen, von denen man auch überzeugt war, nach ein paar Wochen erneut zu Diskussionen führten. Wir mussten einige Male nachjustieren und adaptieren, um eine einheitliche Vorgehensweise klarzumachen und die Dinge so durchzuziehen, wie sie teils zuvor bereits besprochen waren.
Die anfänglichen Zweifel waren nach vier Siegen zum Saisonauftakt in der Liga schnell vergessen. Ihre Mannschaft hat sich als Tabellenführer früh ein gutes Polster auf die Konkurrenz erspielt. Wie gelang der Umschwung?
Zorniger: Wir haben an ein paar Schrauben gedreht, die sich im Nachhinein als die richtigen erwiesen. Eineinhalb Wochen vor dem ersten Ligaspiel stellten wir das System auf ein 4-4-2 um. Damit verloren wir ein Testspiel gegen APOEL zwar mit 0:2, aber wir hatten ihnen richtige Probleme bereitet. Das war für mich das wichtigste Spiel, weil wir dort den Glauben geschaffen haben, dass es funktionieren kann, wenn wir alles einheitlich durchziehen. Wenn diese Partie jemand gesehen hätte, der sich mit Trainerphilosophien auskennt, hätte er gesagt: Diese Mannschaft wird von Alex Zorniger trainiert.
Wie würden Sie denn das Niveau der Liga beschreiben?
Zorniger: Wir hätten mit Apollon an einigen Spieltagen vielen deutschen Erstligisten Probleme gemacht. Insgesamt ist das Niveau der ersten drei, vier Mannschaften sicherlich mit den Top-6 der 2. deutschen Liga vergleichbar.
Der zypriotische Fußball ist ein extrem emotionales Gebilde, die Gefühlslage bewegt sich oft von Spiel zu Spiel zwischen den Extremen. Wie haben Sie das beobachtet?
Zorniger: Es herrscht in der Tat ein extremes Schwarz-Weiß-Denken, das den eigenen Job natürlich schwierig zu nivellieren macht. Wenn das Pendel Richtung weiß ausschlägt, gibt dir das eine brutale Kraft. Bei den Fans ist der Stellenwert des Teams durch den guten Start unheimlich gestiegen. Die wollten sehen, dass Gas gegeben wird und honorierten es, mit der Spielweise etwas zu haben, was so etwas wie ein Alleinstellungsmerkmal war. Auch die Medien haben ab dem ersten Spiel geschrieben, dass das eine ganz andere Mannschaft als im Vorjahr ist, mit einer völlig neuen Mentalität und großem Kampfgeist.
Was geschah, wenn das Pendel Richtung schwarz ausschlug?
Zorniger: Dann zieht es dir extrem Energie. Ich fand es manchmal wirklich unfassbar, wie nach von uns erzielten Toren auf einmal wieder alle physisch unterwegs waren und wir keinen Ball mehr verloren haben. Wenn wir aber ein Tor kassierten, musste man sich erst einmal taktisch ein paar Dinge einfallen lassen, damit die Mannschaft in der nächsten Viertelstunde stabiler agiert. Das war sehr auffallend und ist auch tatsächlich bei allen zypriotischen Mannschaften so.
Nach zwei sieglosen Spielen und dem Aus im Pokal ging Apollon mit sieben Punkten Vorsprung vor den Verfolgern in die zehn Partien andauernde Meisterrunde. Man verlor zwar nur einmal, aber es wurden schließlich neun Ligaspiele in Folge, die man nicht gewinnen konnte. Der scheinbar sichere Meistertitel hing am seidenen Faden. Was waren die Gründe für diese fast drei Monate andauernde Durststrecke?
Zorniger: Als wir in die Meisterrunde gingen, hat man deutlich gemerkt, dass irgendetwas nicht stimmt. Es sind immer mehr Stimmen aufgekommen, die den Verein und das Umfeld mit der Vergangenheit konfrontiert haben. Nach dem Motto: Das gab es alles schon so oft und so oft haben sie es dann doch wieder vergeigt. Es ging auf einmal nur noch um ein Endziel und was dem entgegen sprechen konnte. Man hatte nun etwas zu verlieren.
Fünf Spieltage vor Schluss verlor Apollon vor heimischem Publikum gegen Pafos, so dass der ärgste Verfolger APOEL bis auf einen Punkt herankam. Es sah also so aus, als würden die aufkommenden Stimmen Recht behalten.
Zorniger: Die Pleite gegen Pafos war ein gefühlter Genickbruch und ließ den Rest-Glauben verschwinden, weil viele sich bestätigt sahen, dass man es also doch wieder vermasselt. Als wir Meister wurden, habe ich auf der Pressekonferenz gesagt: Schöne Grüße an die zwei Apollon-Fans, die uns nach dem Spiel in Pafos den Mittelfinger gezeigt haben - habt Spaß auf der Party!
Mit welchen Maßnahmen haben Sie versucht, das Ruder wieder herumzureißen?
Zorniger: Wir haben ein sehr analytisches Gespräch mit dem Präsidenten und dem Sportdirektor geführt. Aber klar: In jeder Liga der Welt wird es nach neun sieglosen Spielen auch Nachfragen geben. Ich bin dankbar, dass die Verantwortlichen mit uns gemeinsam nach einer Lösung gesucht und uns gestärkt haben. Dieser kommunikative Weg war entscheidend. Dann folgte die Oster-Pause, die wir für ein dreitägiges Trainingslager nutzten. Wir haben anschließend für die finalen drei Spiele auf Dreierkette umgestellt, weil wir gerade in der Defensive aus verschiedenen Gründen das Personal oft wechseln mussten. Dazu sind wir weggegangen von einem eher entwicklungsbezogenen Training und in einen Wettbewerbsmodus gewechselt. Wir hatten dann fast nur noch Übungen, die ergebnisbezogen waren. Der größte Verdienst von uns allen war aber, dass wir eine gewisse Ruhe behalten, Einigkeit demonstriert und einfach weitergemacht haben.
Wie kamen diese Maßnahmen bei der Mannschaft hat? So etwas kann ja schnell auch als Aktionismus missdeutet werden.
Zorniger: Das Team hat gut nachvollziehen können, was wir tun wollen. Die Maßnahmen halfen, einen Großteil der Zweifel verschwinden zu lassen. Ich stellte in dieser Phase auch fest, dass die Mannschaft bisweilen das Gefühl hatte, ich sei in der Analyse schlicht zu fordernd und zu kritisch. Drei Wochen vor Saisonschluss ging es mir dann aber nicht darum, Recht zu haben, sondern ich wollte, dass unser Fußball wieder funktioniert. Wir haben daher auch die gemeinsame Analyse nach dem Spiel weggelassen und sie in eher kleinen Gruppen oder einzeln gemacht. Mir war wichtig, dass es weniger emotional zugeht und niemand den Eindruck hat, er werde nicht richtig bewertet.