Alexander Zorniger von Apollon Limassol im Interview: "Das war für viele weit mehr als ein Meistertitel"

Nach dem Gewinn der Meisterschaft wird Alexander Zorniger von den Apollon-Fans gefeiert.
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In unserem Interview 2020 haben Sie gesagt, dass Sie durch Ihre Familie gelassener und weniger verbissen geworden sind, auch im Umgang mit Ihren Spielern. War dies so ein Fall?

Zorniger: Ja. Ich bin nun in der Lage, die Möglichkeit einer solchen Veränderung zu sehen. In der Vergangenheit hätte ich vielleicht gesagt: Eine kritische Analyse müssen die Spieler wegstecken können und damit habe ich auch ganz klar Recht - also wird das genauso beibehalten! Es war aber nicht wichtig, Recht zu haben, sondern eine Lösung zu finden, die uns wieder auf die Siegerstraße bringt. Das zeigt mir, dass ich mit bestimmten Situationen längst lösungsorientiert und nicht so sehr gerechtigkeitsorientiert wie früher umgehe.

Das erste Spiel mit der Dreierkette endete 1:1, APOEL hätte daraufhin die Tabellenführung übernehmen können - gewann aber auch nicht. Die Sieglos-Serie endete schließlich drei Spieltage vor Schluss, ausgerechnet mit einem 3:2-Sieg gegen den Tabellenzweiten aus der Hauptstadt Nikosia. Wieso klappte es in diesem so wichtigen Spiel?

Zorniger: Weil wir einfach unglaublich effektiv waren und mit jeder Faser unseres Körpers leidenschaftlich gekämpft haben. Auch wenn ich anschließend beruhigen und sagen musste, dass bei nun vier Punkten Vorsprung und noch zwei Spielen ein weiterer Schritt zu gehen ist, fühlte sich das auch für mich direkt nach dem Sieg so an, als sei es die Entscheidung.

Eine Woche später wurde der Titel im Limassoler Stadtderby gegen Aris und damit im heimischen Stadion durch ein 4:1 perfekt gemacht. Nehmen Sie uns mit!

Zorniger: Unmittelbar nach Schlusspfiff wurden die Stadiontore geöffnet und das Spielfeld von Fans überflutet. Ich habe nach eineinhalb Stunden gerade einmal drei Spieler beglückwünschen können, weil ich sie in den Menschenmassen nicht mehr gefunden habe. Man hat mich auf Schultern durchs Stadion getragen. Ich dachte im Vorfeld, ich hätte bereits einen guten Eindruck davon, was passieren könnte. Doch da merkte ich im Detail, was diese Meisterschaft für alle bedeutet und dass das für mich vorab gar nicht vorstellbar sein konnte. Ich sah ganz viele, die Rotz und Wasser geheult haben.

Nach zehn Jahren ohne Titel gewann Bröndby IF unter Alexander Zorniger 2018 den dänischen Pokal.
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Nach zehn Jahren ohne Titel gewann Bröndby IF unter Alexander Zorniger 2018 den dänischen Pokal.

Wohl auch deshalb, weil der vermeintliche Fluch, es nicht schaffen zu können, gebrochen wurde?

Zorniger: Klar. Das war für alle weit mehr als ein Meistertitel, das zuvor so häufige Scheitern hatte dermaßen viel blockiert. Es wird dem Verein künftig sehr guttun, dass nicht mehr das Gefühl vorherrscht, unbedingt Meister werden zu müssen.

Die Feierlichkeiten fanden kaum ein Ende und zogen sich über Tage. Was stand auf dem Programm?

Zorniger: Am selben Abend sind wir mit dem Bus um den Kreisverkehr gefahren, an dem alle großen sportlichen Siege in Limassol gefeiert werden. Als wir ankamen, hat man vor lauter Rauchschwaden nichts mehr gesehen. Die Spieler sind auf den Bus gestiegen und so eskaliert, dass am Ende ein 40.000-Euro-Schaden entstanden war - aber das war unserem Präsidenten völlig egal. (lacht) Danach ging es in einen Club, da wurde bis weit in den Morgen weitergefeiert. Ich hatte drei Tage frei gegeben und den Spielern gesagt, sie sollen sich richtig wegschütten. Dem wurde auch ausführlich nachgekommen. Wir haben eine gemeinsame Chat-Gruppe, in der die Jungs mitteilen sollten, wenn irgendwo eine Party war - und da gab's dann tatsächlich jeden Morgen, Mittag und Abend etwas. Als wir uns mittwochs wieder trafen, konnten ein paar immer noch nicht sprechen.

Nach der Meisterschaft in der Regionalliga Nordost mit RB Leipzig 2012/13 und dem Gewinn des dänischen Pokals 2018 war dies Ihr dritter Titel. Wie sehr haben Sie sich für sich persönlich gefreut?

Zorniger: Ich habe noch nie einen Titel an der externen Wertigkeit festgemacht. Ob ich nun Meister in Zypern geworden oder damals mit Normannia Gmünd aus der 6. Liga aufgestiegen bin, dieses Denken habe ich nicht in mir. Dafür liebe ich diesen Sport einfach zu sehr. Mir geht es bei Titeln nicht darum, ob sie von 80.000 oder 300 gefeiert werden.

Um was geht es Ihnen?

Zorniger: Es zusammen mit einem Verein, einem Team, einem Staff über ein Jahr zu schaffen, alles so fokussiert und weg vom eigenen Ego zu halten, damit man gemeinsam etwas erreicht. Aber klar, ich habe in der Woche nach dem Titelgewinn extrem viel besser geschlafen als zuvor. (lacht) Mir war bewusst, dass das die am meisten entspannte und sorgenfreie Zeit wird. Ich sage immer: Die ersten fünf Minuten unmittelbar nach einem Sieg sind die einzigen, in denen man sich als Trainer total wohlfühlt. Danach macht man sich schon wieder Gedanken um die Zukunft.

Sie haben in Limassol nun Legenden-Status erreicht. Haben Sie einmal daran gedacht, nach diesem Triumph aufzuhören, weil er nur schwer zu toppen sein wird?

Zorniger: Ich gebe zu, dass dieser Gedanke für einen kurzen Moment nicht gänzlich abwegig für mich war. Doch schwerer wiegen andere Faktoren wie die, die mich dorthin gebracht haben: meine Familie. Ich habe zwei kleine Kinder, die sich in einem internationalen Kindergarten und mit den Temperaturen total wohlfühlen. Es ist unglaublich, wie viel sie für ihre Entwicklung bereits auf- und mitgenommen haben. Meine Frau wollte auch schon immer einmal in einem Land voller Sonne und Leichtigkeit leben. Dazu spiele ich sportlich zum ersten Mal in meiner Karriere sicher eine Gruppenphase eines internationalen Wettbewerbs. Ich will einfach das, was wir geschafft haben, erneut bestätigen.

Wie sehr hat Sie dieses Jahr persönlich weitergebracht?

Zorniger: Ich habe gemerkt, wie viel mehr ich doch bereit bin, von eigentlich Verinnerlichtem im Interesse des gemeinsamen Erfolgs aufzugeben. Und dass es egal ist, welche Work-Life-Balance ich haben könnte - die Verbindung zwischen meinem Job und meinem Lebensumfeld ist einfach immer da. Das ist schlicht kein Beruf, bei dem man sagen kann: Es läuft zwar sportlich nicht, aber ich genieße es trotzdem, im Meer baden und schön essen zu gehen.

Wie sieht es in Sachen Angebote aus, wird man als zypriotischer Meister häufiger kontaktiert als im Wartestand in Kopenhagen?

Zorniger: Es gibt unterschiedliche Anfragen aus zahlreichen Ländern. Auch aus welchen, die besser bezahlt sind, aber noch weiter südlich liegen. Ein Titelgewinn hebt dich schon auf eine andere Stufe. Das ist auch normal.

In fünf Jahren werden Sie 60 Jahre alt sein. Wo sehen Sie Ihren künftigen Lebensmittelpunkt?

Zorniger: Das wissen wir noch nicht. Deutschland ist nach wie vor Heimat und ein Land, in dem wir unsere Kinder vielleicht aufwachsen sehen könnten. Andererseits haben wir eine etwas andere Einstellung zu Deutschland bekommen. Man stellt schon fest, dass dem Land dieses Miteinander und eine gewisse Lockerheit im Umgang mit anderen abgeht. Wir werden daher schauen müssen, in welche Richtung sich Deutschland und wir entwickeln.