"Frankreich, Spanien, Italien - das ist nichts für mich", hatte Jean-Philippe Gbamin im Sommer 2018 angekündigt. Da war er gerade ein richtig heißes Eisen auf dem Transfermarkt und wäre auch durchaus gewillt gewesen, den Schritt weg vom 1. FSV Mainz 05 zu gehen. Doch die Nullfünfer waren nicht bereit, ihren Leistungsträger abzugeben.
"Mich hat die Absage des Vereins natürlich zunächst frustriert", sagte der defensive Mittelfeldspieler ein halbes Jahr später im SPOX-Interview. Das war nachvollziehbar, schließlich war kein Geringerer als Jürgen Klopp mit dem FC Liverpool daran interessiert, Gbamin zu seiner Wunschdestination nach England zu holen.
Der Transfer Fabinhos blockierte schließlich den Platz an der Anfield Road, die Nachfrage von der Insel riss aber nicht ab. "Arsenal und Tottenham wollte ihn 2019," sagte Bernard Collignon, der den ivorischen Nationalspieler seit dessen 14. Lebensjahr betreut, dem Guardian.
Bewusst entschieden sich Spieler und Berater jedoch im Sommer 2019 für Liverpool. Beim Nachbarn der Reds unterschrieb Gbamin einen lukrativen Fünfjahresvertrag. Der FC Everton zahlte den Mainzern die bis dato höchste Ablösesumme, die sie je erhielten: 25 Millionen Euro.
Wurde Jean-Philippe Gbamin vom FC Everton verheizt?
Auf der Insel jedoch begann Gbamins Albtraum, aus dem er bis heute nicht wirklich aufgewacht ist. Der Mann, der nach seinen ersten 22 Bundesligaspielen schon dreimal vom Platz geflogen war, wurde von Everton verheizt - so jedenfalls die Lesart seines Beraters.
Gbamins lange Saison endete damals mit der Teilnahme am Afrika-Cup in Ägypten, wo er mit der Elfenbeinküste im Viertelfinale scheiterte. Es folgte ein dreiwöchiger Urlaub, nach dessen Ende ihn die Toffees umgehend ins offensichtlich zu kalte Wasser warfen. Nach vier Tagen Training in Liverpool wurde Gbamin erstmals eingesetzt, wenig später stand er direkt über 90 Minuten auf dem Feld.
"Das ist nicht nur ein Problem von Everton, das ist ein englisches Problem - die Vereine wissen nicht, wie sie mit einem Spieler umgehen sollen, wenn es um Verletzungen geht", zeterte Collignon. "Die Spieler werden für sehr hohe Gehälter verpflichtet. Deshalb wird von ihnen erwartet, dass sie spielen, egal ob sie fit sind oder nicht. Das ist ihnen völlig egal. Die Intensität in der Premier League ist so hoch, dass ein verletzter oder nicht fitter Spieler langsam und Schritt für Schritt regenerieren sollte."
Die Zeit von Jean-Philippe Gbamin beim FC Everton "war ein Albtraum"
Gbamin zog sich nach seinem zweiten Einsatz für Everton eine schwere Blessur am rechten Oberschenkel zu, die eine Operation nötig machte und ihn mehrere Monate kostete. Als er wieder fit war, schlug die Corona-Pandemie zu - und das Pech. Um während der Zwangspause zu Hause in Form zu bleiben, spielte Gbamin eine Runde Fußballtennis. Dabei riss er sich die die Achillessehne an: zehn Monate Pause.
Zwischenzeitlich hatte sich der Verein von Trainer Carlo Ancelotti getrennt und ihn durch Rafael Benitez ersetzt. Der Spanier war vom mittlerweile wiederhergestellten Langzeitverletzten aber nicht besonders angetan. "Es war ein Albtraum. Aber er wird daraus lernen", sagte Collignon dem kicker.
Ein Ausweg musste her. Diesen fand Gbamin im Februar 2022 in Russland bei ZSKA Moskau. Dort lief es auf Anhieb, aber nur bis August. In all seinen 13 Pflichtspielen stand Gbamin beim Hauptstadtklub in der Startelf, zwei Tore und zwei Vorlagen steuerte er bei.
Jean-Philippe Gbamin verzichtete freiwillig auf fünf Millionen Euro
Die nächste Leihe zu Trabzonspor in die Türkei verlief länger, aber weniger erfolgreich. Gbamin schnupperte dort zwar nach fast sechs Jahren Abstinenz mal wieder die Luft eines internationalen Wettbewerbs und absolvierte insgesamt 24 Pflichtspiele. Nur in der Hälfte davon spielte er allerdings von Anfang an.
Schlimmer noch: Weil der Klub vom Schwarzen Meer zwischenzeitlich kein Gehalt mehr überwies, wollte Gbamin vorzeitig gehen. Hertha BSC mit Ex-Trainer Sandro Schwarz hatte im Januar angeklopft, Everton verhinderte jedoch einen Wechsel.
Mit den Toffees war das Tischtuch endgültig zerschnitten, so dass man sich mit Gbamin im Sommer 2023 auf eine vorzeitige Vertragsauflösung einigte. Laut seines Beraters verzichtete der Spieler freiwillig auf fünf Millionen Euro, um als ablösefreier Spieler eine neue Verhandlungsposition einzunehmen.
Jean-Philippe Gbamin wechselte zum Tabellenvorletzten der Ligue 2
"Es war nicht einfach, den Vertrag mit Everton aufzulösen", sagte Collignon. "Der Verein musste bis zum Ende des Transferfensters warten, um zu sehen, ob es einen Verein gab, der ihn kaufen wollte, aber niemand wollte den Preis von Everton zahlen. Wir haben den Vertrag schließlich 20 Minuten vor Ablauf der Frist, um 23.40 Uhr, aufgelöst."
Die neue Freiheit bezahlte Gbamin aber mit einem hohen Preis. Kein Klub biss an. Der damals 28-Jährige wäre gerne nach Deutschland zurückgekehrt, fiel aber formell in die Arbeitslosigkeit. Auf der faulen Haut lag er aber natürlich nicht. Vielmehr zahlte er 5000 Euro monatlich, um sich mit einem Zirkel aus privatem Fitness-Coach, Physiotherapeut und Ernährungsberater fit zu halten.
Zwei Monate blieb er vereinslos, im November fand er schließlich einen neuen Klub - den Tabellenvorletzten der Ligue 2. Der Karriereknick war endgültig perfekt. Bei US Dunkerque unterschrieb Gbamin bis Saisonende mit dem kurzfristigen Ziel, noch auf den Zug für den Afrika-Cup 2023 aufzuspringen. Acht Pflichtspiele blieben ihm dafür, in sechs davon stand Gbamin aber gar nicht erst im Kader.
Kurios gescheiterter Wechsel zu Ex-Trainer Sandro Schwarz in die USA
Dennoch lief es später nahe der belgischen Grenze gut für den 17-maligen Nationalspieler. In 18 seiner 21 Pflichtspiele stand er in der Anfangsformation (zwei Tore, eine Vorlage) und half mit, den Liganeuling knapp über den Strich zu hieven. Gbamins gute Leistungen brachten ihm das ein, was er sich wünschte: wieder Erstligafußball zu spielen.
Beinahe hätte er dies erneut unter Schwarz getan, doch die Rückkehr zu seinem Ex-Coach scheiterte auch beim zweiten Mal: Bei den New York Red Bulls hatte Gbamin bereits mittrainiert, den Medizincheck absolviert und einen Vertrag bis Dezember 2026 inklusive Option auf ein weiteres Jahr ausgehandelt. Doch er sei durch die medizinische Untersuchung gerasselt, hieß es.
Dem widersprach Gbamin: "Ich hatte meine Zustimmung gegeben. Ich habe Gerüchte gesehen, dass es wegen des Medizinchecks nicht zustande gekommen ist, aber das stimmt nicht. Die Verträge in der MLS sind völlig anders als in Europa. Es waren der Verein und ich, die die Verhandlungen abgebrochen haben."
Jean-Philippe Gbamin: "Ich habe wieder die Freude am Fußballspielen"
Mit einem Individualtrainer hielt er sich in Paris fit, bis ihn ein anderer Ex-Trainer kontaktierte: Mit Antoine Kombouaré und dessen Gefolgschaft hatte Gbamin einst bei RC Lens erfolgreich zusammengearbeitet und dort den Sprung zum Profi sowie nach Mainz geschafft.
Kombouaré lockte ihn daher zum FC Nantes. "Es lief sehr gut. Sie kennen mich in- und auswendig und wissen, was ich einbringen kann", sagte Gbamin, der bei Les Canaris einen Einjahresvertrag unterschrieb.
Beim aktuellen Tabellenneunten baut man den 29-Jährigen nun behutsam auf. Im fünftklassigen Championnat National 3 bekam Gbamin in zwei Partien Spielpraxis, ehe er erste Einwechslungen in der Ligue 1 verzeichnete. Zuletzt stand er bereits das erste Mal in der Startelf.
"Ich bin dankbar für die Chance und habe wieder die Freude am Fußballspielen, die ich nicht mehr hatte", sagte Gbamin bei seiner Ankunft in der Bretagne. "Ich muss mich jetzt beweisen und hoffe, dass die Integration sehr schnell geht." Für den Moment scheint sie jedenfalls gelungener als einst bei Everton. Vielleicht wird sich künftig ja herausstellen, dass Frankreich doch etwas für Gbamin ist.
Jean-Philippe Gbamin: Die Stationen seiner Profikarriere
Verein | Zeitraum | Spiele | Tore | Vorlagen |
RC Lens | 2013-2016 | 99 | 4 | 2 |
1. FSV Mainz 05 | 2016-2019 | 95 | 3 | 4 |
FC Everton | 2019-2023 | 8 | - | 1 |
ZSKA Moskau (Leihe) | 2022 | 13 | 2 | 2 |
Trabzonspor (Leihe) | 2022-2023 | 24 | - | - |
USL Dunkerque | 2023-2024 | 21 | 2 | 1 |
FC Nantes | seit 2024 | 4 | - | - |