SPOX: Der hohe Stellenwert des Fußballs geht einher mit extrem großem Druck für die Protagonisten. Wie verfolgt ein Basketballer die Hymnen- und Luxusdebatte um die DFB-Elf?
Hamann: Es ist krass, welche Kräfte auf einen Fußballer einwirken. Ich war nach der Niederlage der Bayern im Champions-League-Finale bei der Mannschaft und erlebte hautnah mit, wie sich die Jungs schon für sich selbst einen Kopf machten. Und dann können sie am nächsten Tag überall lesen, was für Versager sie wären. Es ist bei allen Annehmlichkeiten kein einfaches Los. Damit umzugehen muss man lernen.
SPOX: Sie erlebten mit dem DBB-Team bei der WM 2010 gegen Angola eine ähnlich traumatische Niederlage. Daraufhin sorgten Sie und die anderen Führungsspieler für Empörung, weil sie die anwesenden Journalisten boykottierten, obwohl der mediale Druck lange nicht so groß und die Berichterstattung ausgewogener war als häufig im Fußball.
Hamann: Es war eine Ausnahmesituation, die uns alle überforderte: Wir traten als eine eingeschworene Truppe auf und wollten Deutschland unbedingt zeigen, dass wir ohne Dirk Nowitzki etwas schaffen können. Und dann scheiden wir in der Vorrunde aus, obwohl wir gegen Angola kurz vor dem Ende mit zehn Punkten geführt hatten. Es gab viele Niederlagen in meinem Leben, doch an diese werde ich mich für immer erinnern. Dennoch muss ich im Rückblick klar sagen, dass wir uns den Medien hätten stellen müssen. Das gehört sich zu einem professionellen Miteinander.
SPOX: Die damalige Episode bestätigte das Vorurteil des schwierigen und arroganten Steffen Hamann.
Hamann: Ich weiß, dass mein Ruf nicht der beste ist. Dabei bin ich ein sehr umgänglicher Typ, der mit jedem in der Mannschaft klarkommt. Dass ich zum Kapitän der Nationalmannschaft und der Bayern ernannt wurde, spricht dafür.
SPOX: Woran liegt es, dass Ihr Ruf nicht der beste ist?
Hamann: Es ist für jeden Profisportler eine schwierige Frage: Wie präsentiere ich mich in der Öffentlichkeit? Einige nutzen die Medien, um sich selbst gut zu verkaufen. Andere nutzen die Medien, um ihre Sportart bekannter zu machen. Oder man nutzt die Medien gar nicht. Ich versuche, einen Mittelweg zu finden. Man muss sich mit Journalisten arrangieren - aber so richtig verkaufen möchte ich mich nicht.
SPOX: Ihr Point-Guard-Kollege Heiko Schaffartzik verschleuderte lange Jahre sein Talent, zog von Verein zu Verein, wurde des Marihuana-Konsums überführt - und ist heute der Liebling der Fans und der Journalisten. Sie hingegen werden bei Auswärtsspielen selbst von Kindern beleidigt. Ist das unfair?
Hamann: Ich habe leider einen Ruf, der schwer wegzubekommen ist. Mittlerweile versuche ich, das Positive zu sehen, statt mich zu fragen, warum jemand geliebt wird oder nicht. Ohne mich mit Oliver Kahn vergleichen zu wollen: Er war wie ich ein Spieler, der mit Herzblut alles für seine Mannschaft aufgegeben hat und dafür von den gegnerischen Fans gehasst wurde. Wenn ich auswärts als einziger Spieler ausgebuht werde, sehe ich das als Kompliment an.
SPOX: Die Feindseligkeit könnte auch damit zusammenhängen, dass Sie vorwiegend als Ziehkind von Dirk Bauermann wahrgenommen werden. In Ihrer Karriere spielten Sie nur in Berlin für eine längere Zeit nicht unter Bauermann. Nach zwei Jahren trennte sich Alba von Ihnen, weil man erkannt habe, dass Sie kein Kämpfer seien und sich überschätzen würden.
Hamann: Ich kann bei Alba jedem in die Augen schauen. Ob sie das können, weiß ich nicht. Die Äußerungen von Luka Pavicevic (der damalige Alba-Trainer, Anm. d. Red.) haben mich komplett überrascht. Seitdem wird mir etwas vorgeworfen, dass einfach nicht stimmt. Sollten das die Leute glauben, kann ich leider nichts machen. Die meisten Kritiker verstecken sich ohnehin in der Anonymität des Internets: Wenn man ihnen gegenübertreten würde, könnten sie den Mund nicht aufbekommen. Das ist schade, aber ich kann damit umgehen.
SPOX: Vielleicht ist Schaffartzik deswegen so populär, weil er häufiger als Sie Rückschläge verkraften musste und sich als Basketballer enorm weiterentwickelt hat?
Hamann: Wir zwei haben ein gutes Verhältnis und sprachen bei der Nationalmannschaft häufig über das Thema. Ich hatte ihm schon früher gesagt, dass er ein ganz Großer werden kann - und Heiko bekam irgendwann wirklich die Kurve und verstand es, eine Mannschaft zu führen und dabei seine Scorer-Qualitäten nicht zu verlieren. Er hat den nächsten Schritt gemacht.
SPOX: Ihnen kann man anlasten, dass Sie nicht den nächsten Schritt gegangen sind, indem Sie sich einen zuverlässigen Wurf aneigneten. Warum nicht?
Hamann: Wenn ich da eine Lösung hätte... Bei mir läuft es so: Im Training treffe ich viel besser, im Spiel möchte ich hingegen vor allem die Teamkollegen einsetzen, dafür bin ich ja der Point Guard. Wenn ich also mal einen Dreier nehme und in der Ecke einen freien Mitspieler sehe, denke ich in der Wurfbewegung mehr an den nicht gegebenen Pass als an den Wurf an sich. Das war schon immer mein Problem: Ich bin kein fokussierter Scorer. Und es stimmt natürlich, dass mein Wurf an sich nicht der beste ist.
SPOX: Dachten Sie daran, sich Hilfe bei Holger Geschwindner zu suchen? Ricky Rubio, dessen Wurf ähnlich unbeständig ist, soll bei Dirk Nowitzkis Mentor gebettelt haben, sein Privattrainer zu werden.
Hamann: 2005, nachdem ich mir das Kreuzband gerissen hatte, absolvierte ich mit ihm das Aufbautraining und arbeitete viel am Wurf. So etwas zahlt sich allerdings erst langfristig aus. Nur: Im Vereinsbasketball ist es schwierig, neben zwei Trainingseinheiten am Tag und Pflichtspielen unter der Woche und am Wochenende ein Individualcoaching durchzuziehen.
SPOX: Trotz des Wurfs gibt es Gründe, warum Bauermann immer auf Sie setzt. Was sieht er in Ihnen?
Hamann: Ich war nie das größte Talent. Das vergessen viele, wenn sie über mich urteilen. Ich muss mir bis heute alles erarbeiten und mehr machen als die anderen. Ich bin nun mal kein zweiter Julius Jenkins, der in die Halle kommt und dem alles von allein in den Schoß fällt. Deswegen musste ich kämpfen und immer lernbereit sein, um es irgendwie zu schaffen. Wenn Dirk Bauermann mir gesagt hat, dass ich mich viermal um die eigene Achse drehen soll, bevor ich mit dem Ball über die Mittellinie laufe, habe ich das gemacht. Diese Einstellung gefällt ihm.
SPOX: Hängt diese Einstellung mit Bauermanns früher besonders beängstigender Aura zusammen?
Hamann: Es ist eine Mischung. Zum einen hat alles Hand und Fuß, wenn er etwas erzählt. Zum anderen ist der Respekt vor ihm und seiner Aura riesig. Ich weiß noch, wie ich ihn erstmals gesehen habe: Ich nahm als Teenager mit der Bayern-Auswahl an den Bundesjugendspielen teil und wir spielten gegen die Westfalen-Auswahl mit Bauermann als Trainer. Ich kannte ihn vorher nicht, und es war sehr imponierend, ihn aus der Ferne zu beobachten, wie er mit dem schwarzen Anzug an der Seitenlinie stand. Und dann kommt dieser Toptrainer im Dezember 2001 nach Bamberg und schenkt mir sofort das Vertrauen. Der Wahnsinn. Er stellte mich, den damals 20-Jährigen, sofort in die Starting Five, gab mir den Ball in die Hand und sagte nur: "Ich will, dass du dir den Hintern aufreißt und bis zum Umfallen kämpfst." Seitdem halte ich mich daran.
SPOX: Ihr Vertrag bei den Bayern läuft nach der kommenden Saison im Sommer 2013 aus. Endet damit das Arbeitsverhältnis Bauermann/Hamann?
Hamann: Ich wäre glücklich, bei den Bayern in welcher Form auch immer zu bleiben. Ich werde jedoch nicht nervös, wenn ich bis Januar, Februar noch kein Angebot für eine Verlängerung bekommen sollte. Wenn es kommt, kommt's. Wenn nicht, dann halt nicht. Ich bezweifle, dass ich für einen anderen Verein in Deutschland spielen werde.
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