SPOX: Herr Hamann, erstmals seit sieben Jahren hatten Sie einen spielfreien Sommer, weil Sie die EM-Qualifikation des DBB-Teams verletzt absagen mussten. Wurde es zu einer Zeit der Selbstfindung oder der Langeweile?
Steffen Hamann: Als Nationalspieler kannte ich nur das Leben unter Dauerstrom, daher kam mir der Sommer gelegen, um in mich zu gehen und über mein Leben nachzudenken: Was lief bisher gut? Was lief falsch? Wie geht es weiter? Erst mit dem Abstand ist es möglich, sich tiefgehende Gedanken zu machen.
SPOX: Reizte es Sie nicht, sich im Sommer der Muße hinzugeben?
Hamann: Nein, ich bin mit meinen 31 Jahren zwar viel entspannter als früher. Wenn ich irgendwo hinfahre, muss ich nicht mehr jedes Auto überholen. Wenn ich abends frei habe, gehe ich nur was essen und danach spazieren. Oder ich lese eine Zeitung oder nehme ein Buch in die Hand. Alles im Leben läuft ruhiger ab. Aber auf dem Court hat sich nichts verändert: Ich gebe in jedem Training Vollgas. Daher war der Sommer nicht so entspannend, wie es vielleicht klingt. Nach meiner Knie-OP ging es darum, den Körper von Grund auf wieder aufzubauen. Ein normaler Tag in den letzten sechs Wochen sah so aus: Zeitig aufstehen, gut frühstücken, zwei Stunden Training, Physio, Mittagsschlaf, Mittagessen, Nachmittagstraining - und dann Feierabend.
SPOX: Blickten Sie mit Wehmut auf die Nationalmannschaft, die sich ohne Sie mühelos für die EM 2013 qualifiziert hat?
Hamann: Man merkt erst, wie wichtig einem die Nationalmannschaft ist, wenn man nicht dabei sein kann. Auf eine gewisse Weise wurde es nach so vielen Sommern eine Selbstverständlichkeit, Deutschland zu vertreten. Erst jetzt weiß ich, wie einem dieses Gefühl fehlt. Manchmal tat es richtig weh, den Jungs zuzuschauen, wie sie mit Freude bei der Sache sind und nach einem Sieg zufrieden vom Court gehen. Immer mit dem Wissen, das Land würdig vertreten zu haben. Das ist vielleicht das Schönste im Sommer: Mir wurde wieder bewusst, wie besonders es ist, Deutschland zu vertreten.
SPOX: Nach der EM 2011 klangen Sie müde von der Nationalmannschaft und dachten laut über einen Rücktritt nach.
Hamann: Damals stand nicht fest, wer der neue Bundestrainer wird und welche Ziele der DBB verfolgt. Jetzt ist der Reiz enorm. Ich weiß nicht, was nächstes Jahr sein wird und ob Svetislav Pesic mich überhaupt einlädt. Ich werde das Bestmögliche in der Saison geben und mich anbieten.
SPOX: Deutschland spazierte mit acht Siegen aus acht Spielen durch die Qualifikationsgruppe. Provokant gefragt: Braucht Deutschland noch einen Steffen Hamann?
Hamann: Ich hoffe. (lacht) Man muss vor dem Team den Hut ziehen, Serbien und die Türkei schafften die Quali erst im Last-Minute-Verfahren. Dennoch darf man die Erfolge nicht überbewerten, weil die Gegner nicht zu den Topnationen zählten. Es gibt viele Gründe für Optimismus, aber auch viel Luft nach oben.
SPOX: Neben Heiko Schaffartzik bieten sich mit Per Günther, Bastian Doreth und Nachwuchsspieler Dennis Schröder neue und vor allem jüngere Rivalen auf der Point-Guard-Position an. Wie wichtig ist es Ihnen, im Falle eines DBB-Comebacks wieder in der Starting Five zu stehen?
Hamann: Jeder Basketballer will so viel spielen wie möglich. Allerdings war das mir früher wichtiger als jetzt. Ich möchte vor allem meine Erfahrung weitergeben und werde alle Entscheidungen des Trainers akzeptieren, um als Team erfolgreich zu sein.
SPOX: Können Sie sich vorstellen, sich mit 31 Jahren einer kleineren Rolle zufrieden zu geben und den jungen Mitspielern als Mentor zur Seite zu stehen?
Hamann: Ich hätte damit kein Problem.
SPOX: Klingt nach einem Veteranen, der an einen langsamen Abschied denkt.
Hamann: Wenn ich Karsten Tadda spielen sehe, fühle ich mich an meine Zeit vor zehn Jahren erinnert, als ich der junge Local Hero war. Zuletzt blätterte ich in einem Buch aus der damaligen Bamberger Zeit mit Bildern von mir. Da denkt man sich schon: "Wow, ist es schon so lange her?" Man stellt sich häufiger die Frage, was nach der Karriere kommen könnte. Es kann sein, dass ich noch ein paar Jahre spiele. Genauso kann es sein, dass ich in ein, zwei Jahren aufhöre.
SPOX: Finden Sie das Lebenskonzept Ihres ehemaligen Nationalmannschaftskollegen Gordon Geib reizvoll? Er beendete mit 26 Jahren abrupt die Laufbahn und ging auf Weltreise.
Hamann: Ich fand es immer schade, dass Gordon aufgehört hat. Er besaß Biss und kämpfte sich nach oben, obwohl er mit seiner Größe nie prädestiniert war für den Profi-Basketball. Dennoch ist es eine klasse und mutige Entscheidung von ihm. Für mich wäre es trotzdem nichts. Ich bin kein Weltumsegler, ich bin mehr ein Gewohnheitstier. Selbst zu meiner Zeit bei Alba Berlin bin ich kaum aus dem Prenzlauer Berg rausgekommen, wo ich meine Wohnung hatte. Ich ging immer in die gleichen Lokale und traf die gleichen Leute. Das war mein Ding. Selbst wenn ich nur zwei Wochen in den Urlaub fahre, denke mir am Ende: Jetzt wird's Zeit, jetzt will ich wieder zurück nach München.
SPOX: Sie wurden in München schnell heimisch und lernten Bastian Schweinsteiger kennen, mit dem Sie die Freizeit verbringen. Wie freunden sich der größte Fußball-Star Deutschlands und der Kapitän der deutschen Basketball-Nationalmannschaft an?
Hamann: In unserer Aufstiegssaison trainierten wir ebenfalls an der Säbener Straße, daher sah man die Fußballer ab und zu und sagte sich aus der Ferne Hallo. Irgendwann gab ich ein Zeitungsinterview, indem ich erzählte, dass ich am Gärtnerplatz wohne und dort am liebsten weggehe. Daraufhin bekam ich von Bastian eine SMS nach dem Motto: "Hey, ich wohne um die Ecke, lass uns was unternehmen." So entstand eine tolle Freundschaft.
SPOX: Weil Sie über Ihr Karriereende sprachen: Würden Sie alleine aus finanziellen Gründen mit Schweinsteiger tauschen wollen?
Hamann: Eine fiese Frage. (lacht) Ich verdiene als Basketball-Profi gut, habe aber definitiv nicht ausgesorgt. Von daher könnte ich mir vorstellen zu tauschen, sollte ich das gleiche Geld verdienen. Gleichzeitig sehe ich die Kehrseite, wenn ich mit ihm tagsüber unterwegs bin. Bastian muss auf jede Kleinigkeit aufpassen, weil irgendein Fremder das Handy zücken könnte und das Foto ins Internet stellt. Umso beeindruckender, wie er damit umgeht. Ich habe es noch nie erlebt, dass er zu einem Autogrammwunsch Nein sagt.
SPOX: Wie seltsam ist es, im Schatten zu stehen, obwohl Sie selbst einer der besten Basketballer des Landes sind? Bei einem Champions-League-Spiel der Vorsaison waren Sie minutenlang im Fernsehen zu sehen, weil Sie auf der Tribüne neben dem verletzten Schweinsteiger saßen. Der Fußball-Kommentator erkannte Sie nicht.
Hamann: Damit kann ich gut leben, Basketball hat eben nicht den Stellenwert des Fußballs. Das einzige, was mich bei dem Spiel damals gestört hat: Es ist echt anstrengend, wenn die Kameras permanent auf einen gerichtet sind. Man darf sich bloß nicht ausversehen den Popel aus der Nase holen wie damals der Jogi. (lacht) Und überhaupt: Einmal war ich mit Bastian Kaffee trinken - und dann kam ein Fan und wollte tatsächlich von mir ein Autogramm und nicht von ihm. Wenn das nichts ist! Das habe ich ihm gleich unter die Nase gerieben.
Hier geht's weiter: Hamann über sein Verhältnis zu Schaffartzik und Wurftraining mit Geschwindner