Insgesamt 326 Runden stand Saul Alvarez, der aufgrund seiner Haarfarbe nur Canelo genannt wird, in den letzten zehn Jahren im Ring. Nach 48 Kämpfen kann der Mexikaner eine Bilanz von 46 Siegen, einer Niederlage sowie einem Remis vorweisen. Er selbst musste dabei nie auf die Bretter, aber 32 seiner Konkurrenten bekamen den letzten Gong nicht zu hören.
Was zunächst nach einer fortgeschrittenen Karriere jenseits der Prime eines Boxers klingen mag, täuscht jedoch gewaltig. Mit gerade einmal 25 Jahren ist der Mann aus Guadalajara noch weit davon entfernt, die Boxhandschuhe an den Nagel zu hängen. Vielmehr steht der WBC-Weltmeister im Mittelgewicht kurz davor, nicht nur ein ganzes Land auf seinen Schultern zu tragen, sondern auch den gesamten Boxsport.
Eine Lehrstunde vom Besten
"Ich mag zwar noch immer sehr jung sein, aber ich habe bereits eine Erfahrung als Profi von mehr als zehn Jahren", sagte Canelo, der schon im Alter von 15 Jahren zum ersten Mal professionell in den Ring gestiegen war, nachdem ihm im Amateurbereich in seiner Heimat die Gegner ausgegangen waren. Nur um Sekunden später mit einer beängstigenden Bestimmtheit nachzuschieben: "Jetzt ist meine Zeit." Der 25-Jährige klang dabei keineswegs arrogant, sondern selbstsicher. Wenngleich der erste Versuch in einem Desaster endete.
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Vor drei Jahren wollte ein 22-jähriger Canelo der stolzen Box-Geschichte Mexikos ein weiteres großes Kapital hinzufügen und Floyd Mayweather Jr., den schier unbesiegbaren Dominator des Weltergewichts, die erste Niederlage in dessen illustrer Karriere beibringen. Er wurde vom US-Amerikaner jedoch wie ein Schuljunge vorgeführt, gedemütigt - und danach gelobt. Trotz der Demontage ernannte der amtierende Champion seinen Gegner bereits damals zu seinem "zukünftigen Nachfolger".
So mancher vorschnelle Kritiker sah dies jedoch etwas anders und sprach Alvarez in der Folge kurzerhand die Klasse ab. Die meisten bezogen in ihrem Urteil allerdings nicht ein, gegen wen und in welchem Alter Canelo da gerade gekämpft hatte. Der Mexikaner selbst tat das einzig Richtige und ordnete die Niederlage "als wichtige Lehre für die weitere Entwicklung" ein. Eine Einstellung, von der er heute profitiert.
"Ich habe gegen große Kämpfer geboxt. Gab es dabei Fehler? Ja, natürlich. Es sind aber Dinge, an denen ich arbeite. Und diese wird es auf meinem Weg immer geben", erklärte Canelo unlängst. Es handelt sich um einen Weg, der auch drei Jahre und vier Kämpfe später noch lange nicht abgeschlossen ist, der Canelo allerdings dennoch bereits in Position gebracht hat, als Fackelträger eine Generation und die ganz großen Events anzuführen.
Evolution statt Revolution
Erreicht hat der Linksausleger diesen Status zusammen mit seinem Team um das Trainer-Duo Chepo und Eddy Reynoso. Wenngleich nicht wenige behaupten, dass ein Wechsel zu einem renommierteren Coach für den nächsten Schritt unumgänglich sei. Dieser soll jedoch unter den Reynosos erfolgen. Aktuell liegt der Fokus im Training deshalb auf Stabilität, Balance sowie Muskelelastizität. Auch weitere Schwachstellen werden gezielt angegangen.
Die Ausdauer spielt dabei allein deshalb eine übergeordnete Rolle, da eine der größten Stärken des Mexikaners seine Fähigkeit ist, nicht nur einzelne Schläge ins Ziel zu bringen, sondern mit Kombinationen Lücken in der Defensive seines Gegenübers zu schaffen und diese anschließend zu nutzen. Die Hände des 25-Jährigen variieren dabei und sind so für den jeweiligen Gegner trotz intensiven Videostudiums auch ohne die ungewöhnlichsten Winkel schwer zu verhindern.
Seien es Schlagserien mit der gleichen Hand, die je nach sich bietender Möglichkeit auf Körper oder Kopf abzielen, Kombinationen beider Fäuste oder einfach das Ausnutzen von Fehlern: Canelos Arsenal kann sich sehen lassen. Ist der Gegner im Ring deshalb auch nur eine Sekunde nicht bei der Sache, könnte es seine letzte gewesen sein.
Besonders häufig sticht jedoch die Kombination aus einem schnellen linken Haken gefolgt von einer harten Rechten hervor. Im Gegenzug läuft Alvarez jedoch Gefahr, sich noch zu schnell zu verausgaben, was an seiner deutlich abnehmenden Workrate in den späten Runden ersichtlich wird. Ein Risiko, dass er zwar eingehen will und auch muss, das er mit zunehmender Erfahrung gegen starke Gegner allerdings immer besser kontrollieren kann. Der größte Duracell-Hase im Boxsport wird er aber definitiv nie sein.