Leichtathletik - Frank Busemann im Interview: "8 Meter oder du kriegst meine Freundin"

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Gestatten, Frank Busemann. Seines Zeichens begnadeter Wettkämpfer, aber leider auch oft ein körperliches Wrack. SPOX traf den Silber-Helden der Olympischen Spiele 1996 zum Interview. Dort durchlebte der heute 47-Jährige nochmal seine große Sternstunde und erzählte von einer Seelenreinigung der besonderen Art. Außerdem: Warum er nie Partys vermisste, wie ihn seine Ziele zum Getriebenen machten und warum er einmal verzweifelt ins Telefon schrie.

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Bereits 2015 hat SPOX eine Legenden-Serie abseits von König Fußball veröffentlicht. Zu diesem Anlass wurden ausführliche Interviews mit Andreas Thiel (Handball), Michael Groß (Schwimmen), Frank Busemann (Leichtathletik), Walter Röhrl (Motorsport) und Henry Maske (Boxen) geführt. Wir blicken zurück.

Herr Busemann, als ich Ihnen das erste Mal von unserer Legenden-Themenwoche erzählte und meinte, dass wir Sie gerne dabei hätten, waren Sie sehr erfreut, reagierten aber auch etwas ungläubig.

Frank Busemann: (lacht) Ich fühle mich wirklich sehr geehrt. Schon nicht so schlecht, mit wem ich da bei Euch in einer Reihe stehen darf. Ich kenne mich ja nur so, wie ich bin. Und ich selbst sehe mich natürlich nicht als Legende. Ich weiß, dass ich ganz gut Sport konnte. Davon bin ich überzeugt, aber das ist auch alles.

Ihr legendärer Zehnkampf bei den Olympischen Spielen in Atlanta ist inzwischen fast 20 Jahre her. Wenn Sie jetzt daran denken, welche Bilder schießen Ihnen in den Kopf?

Busemann: Ich sehe mich, wie ich den perfekten Zehnkampf mache. Ich kann nicht mal sagen, dass ich mich beim Weitsprung oder über die Hürden sehe, es war ja alles der Hammer, jede Disziplin war wie aus einem Guss. Für mich waren die zwei Tage ein Gefühl des absoluten Glücks. Ein Gefühl der Sorgenlosigkeit und Euphorie. Auch ein warmes Gefühl. Das ist auch heute nach wie vor noch so nach fast 20 Jahren.

Vor allem konnten Sie damals doch gar nicht damit rechnen, dass Sie so durchstarten würden.

Busemann: Doch.

Warum doch? Sie kannte kein Schwein.

Busemann: Das stimmt. (lacht) Trotzdem bin ich damals quasi mit zwei Ichs nach Atlanta geflogen. Der eine Frank sagte: Boah, ist das geil, dabei zu sein. Jetzt nur nicht mehr an der Bordsteinkante die Haxen verdrehen, dass ich am Ende nicht mitmachen darf. Aber der andere Frank wusste: Wenn ich das zeige, was ich kann, und ich wusste, dass ich ein Wettkampftyp bin, dann reicht das für eine Medaille, da führt überhaupt kein Weg dran vorbei. Mein Problem war, dass ich es mir einfach nicht vorstellen konnte. Olympia war so groß und so weit weg, für mich hatte das ja vorher immer nur im Fernsehen stattgefunden. Warum sollte ich da jetzt auf einmal eine Medaille gewinnen? Aber vom Leistungsvermögen und Selbstbewusstsein her war mir klar: Wenn ich die Punkte mache, ich hatte mir 8600 vorgenommen, dann muss das reichen. Als mein Vater nach dem ersten Tag ankam und mir sagte, dass ich in der Zwischenabrechnung Zweiter bin, dachte ich mir dann aber trotzdem: Lass den Alten reden, der ist auch nervös. (lacht)

Wann wussten Sie denn, dass es tatsächlich mit einer Medaille klappt?

Busemann: Als Tomas Dvorak beim Stabhochsprung bei einer Höhe rausgeflogen ist, fiel bei mir der Groschen. Hey, das klappt ja wirklich mit der Medaille. Da konnte ich es das erste Mal greifen. Ab da war ich nervös und zwar so richtig. Aber es ging natürlich von Anfang an auch einfach überragend los. Die 100 Meter sind für jeden Zehnkämpfer die Standortbestimmung, danach weißt du, wie der Hase läuft. Ich war gefühlt relativ weit weg von Dan O'Brien, aber ich bin ja ein Schlitzohr und habe einen Trick angewendet, den ich mir mal bei der Hallen-WM abgeschaut hatte. Der blöde Finne, nein, der gute Finne, weil von ihm habe ich es gelernt, hatte sich da mit einem Arm nach vorne ins Ziel geworfen und nicht mit der Brust. So machte ich es auch und plötzlich standen 10,60 Sekunden auf der Anzeigetafel, obwohl es sich gar nicht so angefühlt hatte. Da wusste ich schon: Alles klar, das läuft.

Direkt danach kam der Weitsprung-Wahnsinn. 8,07 Meter.

Busemann: Ich hatte für den Weitsprung eine Wette mit meinem besten Freund laufen. 8 Meter. Oder keine 8 Meter. Ich sagte ihm: Wenn ich es nicht schaffe, kriegst du meine Freundin. (lacht) Ich weiß nicht, ob er sie genommen hätte, ich glaube ja nicht. Für mich ging es nur um die Ehre, den anderen Fall hätten wir dann ausdiskutieren müssen, aber dazu kam es ja zum Glück nie.

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Sie erwischten einen grandiosen ersten Tag, aber dann kommt beim Zehnkampf bekanntlich die Pause. Die Nacht dazwischen. War das nicht die Hölle?

Busemann: In gewisser Weise schon. Durch die 400 Meter ist man erstmal so aufgepeitscht, dass man gar nicht schlafen kann. Du liegst um 1 Uhr im Bett, bist hundemüde, kriegst aber kein Auge zu. Eigentlich sehnst du dich nur danach, dass der Wecker endlich wieder klingelt. Die Nacht ist immer schrecklich. Ich erinnere mich noch, wie mein Zimmerkollege Dirk Pajonk und ich beim Europacup im Bett lagen. Weil du den anderen natürlich nicht stören willst, liegst du da stumm herum und hältst es kaum aus. Irgendwann um halb zwei meinte Dirk: 'Hey Alter, ist das langweilig! Erzähl mal was.' Generell war ich aber noch relativ entspannt. Bis dann am Morgen der große Schock kam.

Sie waren krank.

Busemann: Ich hatte die Grippe. Das war der größte Schock meines Lebens. Als ich aufgestanden bin, hatte ich Gliederschmerzen, mein Kopf war ganz heiß - ich habe die totale Panik bekommen. Ich dachte, es ist vorbei. Ich bin zu den Ärzten gerannt, aber die haben mich nur angeschaut und gefragt, wie viele Zehnkämpfe ich schon gemacht hätte. Es war erst mein Fünfter. Die haben mir echt gesagt: Geh mal auf den Einlaufplatz und mach eine Steigerung, wenn du dich dann immer noch schlecht fühlst, kommst du wieder. Ich konnte es gar nicht glauben, aber sie hatten Recht. Ich hatte Raketenfüße und bin ja dann Hürden-Zehnkampf-Weltrekord gelaufen.

Superstar Dan O'Brien war spätestens jetzt auch auf diesen jungen Deutschen aufmerksam geworden. Aber erzählen Sie.

Busemann: Es war wirklich so, dass er reinkam und mich suchte. Er fragte: Who is Busman? Ich dachte mir: Ich bin neu, ich bin jung, ich habe keine Ahnung, der wird den Busfahrer suchen. Mich kann er ja nicht meinen. Er ist der König und ich bin der Hans Wurst aus Recklinghausen. Aber dann kam er zu mir und gratulierte mir zu meinem Hürden-Rennen. Er empfing mich mit offenen Armen. Ich hatte damit null gerechnet, weil ich nur die Geschichten von Jürgen Hingsen und Daley Thompson kannte, die sich auf allen Ebenen bekriegten. Es war mir neu, dass sich Wettkämpfer mit Handschlag begrüßen und fragen, wie es der Familie geht.

Vor dem abschließenden 1500-Meter-Lauf war die Medaille dann praktisch schon eingetütet, es konnte nichts mehr passieren. Wie haben Sie die Wartezeit bis zur letzten Disziplin verbracht?

Busemann: Die zwei Stunden bis zu den 1500 Metern waren gruselig. Ich bin herumgetigert, als ob ich auf meine Hinrichtung warten würde. Irgendwie freut man sich zwar, aber man hat auch unglaublich Angst. Man weiß genau: In viereinhalb Minuten werde ich da liegen, völlig ausgepumpt, mir wird es mordsmäßig dreckig gehen, aber hoffentlich habe ich dann die Medaille. Was ist, wenn etwas Unvorhergesehenes passiert? Wenn dich einer schubst? Es kann so viel passieren. In dieser Situation habe ich die Zehnkämpfer aber auch sehr schätzen gelernt. Dvorak kam nämlich zu mir und fragte mich, was ich laufen kann. 4:30 Minuten, meinte ich. Er sagte, dass er das auch versuchen würde und am Ende sind wir beide 4:31 gelaufen. Das war mein Konkurrent um Silber, er hätte mir alles erzählen und irgendwelche Spielchen probieren können, aber das war eine ganz ehrliche Nummer. Das finde ich auch heute noch unglaublich. Als ich dann im Ziel lag, war es eine einzige Erlösung und Befreiung. Ich war so kaputt, dass ich schon vor dem Stabhochsprung fast eingeschlafen wäre. Ich war am Ende einfach nur froh, dass ich fertig bin und nichts mehr machen muss.