Sportwelt wieder im Ost-West-Konflikt

SID
Thomas Bach muss nach dem Beschluss scharfe Kritik über sich ergehen lassen
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Die tiefe Glaubwürdigkeitskrise des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) wegen der Russland-Causa wächst sich zu einem neuen Ost-West-Konflikt im Weltsport aus. Am Tag nach dem IOC-Verzicht auf Russlands Generalausschluss von den Sommerspielen in Rio trotz belegten Staatsdopings ziehen sich zwischen Athleten und Funktionären Gräben weitgehend wie zu Zeiten des Kalten Krieges.

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Während der deutsche IOC-Präsident Thomas Bach international Prügel kassierte, winkten die ersten Weltverbände russische Ahtleten gemäß dem vorgegebenen Prozedere wie befürchtet Richtung Rio durch.

Für den ganz überwiegenden Teil der westlichen Welt brachte das für Sport zuständige Bundesinnenministerium (BMI) die eindeutige Enttäuschung über den Beschluss von Lausanne auf den Punkt. "Die Bundesregierung hätte sich im Sinne des sauberen Sports eine deutlichere Entscheidung vorstellen können", erklärte das BMI zu Wochenbeginn auf SID-Anfrage. Die Athletenkommission des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) sprach von einer "vertanen Chance" und sieht "noch keine Voraussetzungen für saubere Spiele".

Drastischere Kritik übten Medien in den USA und England. "Das IOC hat die Olympischen Spiele zerstört. Schande über Thomas Bach, den zahnlosen Präsidenten", schrieb die Londoner Daily Mail.

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"Das IOC hat seine Seele verkauft"

Als Bankrotterklärung wertete auch die USAToday die mutlose Entscheidung: "Das IOC hat seine Seele verkauft. Integrität, Anstand und Fair Play - das sind nicht länger die Ideale, mit denen sich die Olympische Bewegung schmücken kann. Es sind nur noch Poker-Chips, mit denen um Macht und Geld gezockt wird." Bach, den in seiner Heimat die Bild-Zeitung schon als "Putins Pudel" verspottete, wurde auch von der New York Times hart attackiert: "Bach hat versagt. Als Anführer. Als Stimme für den sauberen Sport. Als jemand, der sein Wort hält."

In Russland feierten die Gazetten hingegen erwartungsgemäß einen "Sieg der Gerechtigkeit". Womöglich auch von der IOC-Zauderei ermutigt, forderte das russische Eiskunstlauf-Idol Jewgeni Pluschenko mit martialischen Worten als nächsten Schritt auch einen Kampf gegen die Sperre seiner einheimischen Leichtathletik-Kollegen. "Wir sollten zurückschlagen. Es ist Zeit, dem Weltverband zu zeigen, dass wir stärker sind", tönte der zweimalige Olympiasieger.

Schwer geschwächt hat das IOC auf jeden Fall die Anti-Doping-Kämpfer. "Wir sind ziemlich entsetzt. Das ist ein Rückschritt, ein falscher Schritt", sagte Chefin Andrea Gotzmann von der Nationalen Anti Doping Agentur (NADA) dem SID.

Ihr Haus hatte zusammen mit 13 Partner-Agenturen anderer Länder und der Welt-Anti-Doping-Agentur (WADA) aufgrund der erdrückenden Beweislage für die Verwicklung der russischen Regierung in Manipulationen Russlands Olympia-Ausschluss gefordert. "Die Glaubwürdigkeit unserer Arbeit ist beschädigt", sagte Gotzmann nun.

Hörmann verteidigt Bach

Bachs Ansehensverlust trat unterdessen beim Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) Präsident Alfons Hörmann entgegen. "Thomas Bach hat den Fall professionell und so ausgewogen und ganzheitlich gemanagt, wie er es an der Spitze des Weltsports tun muss", sagte der Bach-Nachfolger an der DOSB-Spitze.

Die Auswirkungen von Lausanne für die olympische Bewegung und den Anti-Doping-Kampf wollte Hörmann noch nicht bewerten: "Die würde ich daran messen wollen, wie konsequent das Maßnahmenpaket nun für die Spiele in Rio in die Praxis umgesetzt wird."

Seine Einschätzung, dass der IOC-Entscheid nach Vorbild der Leichtathletik zu nur ganz wenigen Freigaben russischer Athleten für Rio führen würde, schien sich schon am Tag eins der neuen Regeln als trügerische Hoffnung zu erweisen: Lediglich der Schwimm-Weltverband FINA sortierte zunächst sieben russische Schwimmer, darunter die Olympia-Dritte und Ex-Dopingsünderin Julija Efimowa, aus, und kündigte die Prüfung weiterer Rio-Kandidaten an. Efimowa ließ prompt mitteilen, vor den internationalen Sportgerichtshof CAS ziehen zu wollen.

Hingegen erteilten nach Tennis auch die Weltverbände für Judo und Bogenschießen ausnahmslos allen nominierten Russen die Starterlaubnis für Olympia. "Russland ist für das Judo sehr wichtig", hatte der Weltverband IJF zuvor schon trotz acht Judo-Dopingfällen im McLaren-Report über das Ausmaß des russischen Dopingsystems verlauten lassen. Pikant: Russlands Staatschef Wladimir Putin ist IJF-Ehrenpräsident.

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