Der missverstandene Löwe

Von Maximilian Schmeckel
Nigel Mansell war ein missverstandener Ausnahmeathlet, der lange als Pechvogel galt
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War 1986 ein Albtraum für Mansell, wurde 1987 zum absoluten Horror. Williams-Honda hatte bereits vor der Vorsaison den Brasilianer Nelson Piquet verpflichtet. Piquet war einer der Superstars der Branche und hatte 1981 und 1983 den Titel geholt. Mit einem finanziellen Premium-Angebot wurde der ehemalige Teamkollege von Niki Lauda verpflichtet, um Williams-Honda endlich nach ganz oben zu führen.

3,3 Millionen Dollar plus zehntausend Dollar pro WM-Punkt betrug Williams' aberwitziges Angebot, Bernie Ecclestone hatte weniger als die Hälfte geboten. In der Vorsaison hatte Mansell Piquet auf Distanz gehalten, der Rivale wurde nur Dritter. Dennoch ging Piquet auch 87 als Nummer eins in die Saison.

Mansell nutzte das Fehlen einer Zurückhaltungsklausel in seinem Vertrag und attackierte seinen Kollegen vom ersten Rennen an. Es entstand eine in der Formel-1-Geschichte wohl einmalige Rivalität, die mit Abneigung noch freundlich beschrieben ist. "Es stimmt nicht, dass sie sich nicht mögen. Sie hassen sich", beschrieb Williams das Duo. Piquet erklärte: "Mein einziges Ziel ist, Mansell zu schlagen. Und wenn das heißt, dass ich dazu einen Unfall riskieren muss, um Weltmeister zu werden - ich bin auch dazu bereit."

Die Konstanz siegt

Mansell gewann sechs Rennen, Piquet nur drei - am Ende triumphierte dennoch der Brasilianer, da er durch Konstanz bestach, während der Brite durch Ausfälle und Crashs seinem Image einige weitere Episoden hinzufügte. So musste er nach einem Unfall, der ihn und Senna das Rennen kostete, zurückgehalten werden, um nicht auf den Ferrari-Piloten loszugehen.

"Er merkt, daß sein Wagen schneller ist, als er denken kann. Und das macht ihn zu einem unausstehlichen Zeitgenossen", sagte Piquet spöttisch über seinen Kollegen und drückte damit die vorherrschende Meinung aus. "Dies ist der Sieg des Glücks über die Dummheit", setzte er nach seinem Titelgewinn noch einen drauf. Mansell kochte.

Er fühlte sich missverstanden, war wütend über Berichte, er würde deshalb so draufgängerisch fahren, weil er vor den Rennen Kokain einnahm. Als "echter moralischer Weltmeister" sah er sich und konnte nicht ertragen, dass Piquet, Prost und Senna in eine andere Liga geschrieben wurden, obwohl er mehr Rennen gewonnen hatte als das Trio. Er witterte eine Verschwörung seines Rennstalls und konnte nicht verstehen, warum er ein solches Standing hatte. "Prost ist ein Wissenschaftler, Senna ein Teufelskerl und Piquet ein psychischer Spieler. Was ist Mansell?", schrieb Le Monde und attestierte ihm schlicht das Fehlen des gewissen Etwas'.

Ferrari-Intermezzo missglückt

1989 wurde er mit diversen Problemen nur Neunter in der Gesamtwertung. Umso überraschender kam das Angebot von Ferrari. Die Italiener warteten seit zehn Jahren auf einen Champion. An der Seite von Gerhard Berger gewann Mansell das erste Rennen in Brasilien und wurde somit zum ersten Sieger mit den neuen Halbautomatik-Motoren. Dennoch wurde die Saison für ihn zur Enttäuschung, er gewann nur ein weiteres Rennen und fiel siebenmal aus.

F1-Legenden-Serie: Die Besten aller Zeiten

Auch 1990 wurde es nicht besser. Senna wurde Weltmeister, Mansell blieb nur der fünfte Platz. Seine Zeit in der Riege der Top-Fahrer schien zu Ende, vor allem weil bei Ferrari sein Teamkollege inzwischen Alan Prost war, jemand den Mansell immer bewundert hatte und als "perfekten Gentleman" betitelte, der nun aber Mansell in die zweite Reihe drängte.

Kurz vor dem Ausstieg

Mansell dachte viel an seine Kartzeiten, an diese Zeit ohne Werbung und "neumodischen Schnick-Schnack", ohne Taktik, ohne Intrigen. Er spielte mit dem Gedanken auszusteigen. Seine Frau erinnerte ihn an den Traum, den er schon als kleiner Junge hatte, an diese Vision einmal ganz oben auf dem Treppchen zu stehen - am Ende der Saison und nicht nach einem Rennen.

1991 kehrte er zu Williams-Honda zurück, nachdem Frank Williams ihm ein konkurrenzfähiges Auto versprochen hatte. Das bewahrheitete sich nur teilweise. Zwar konnte er drei Siege einfahren, gerade zu Beginn der Saison machte die Halbautomatik große Probleme und er hatte mit Überhitzung zu kämpfen. Es blieb wieder nur der zweite Platz hinter Ayrton Senna.

Endlich am Ziel

Mansell hatte nach dieser Saison ein langes denkwürdiges Gespräch mit Williams. Beide machten reinen Tisch. Williams kritisierte die Fitness des Engländers und dessen Golfrunden nach dem Training. Mansell dagegen verlangte uneingeschränktes Vertrauen in der kommenden Saison. Mit "unfehlbarem Killerinstinkt" und diesem unbezähmbaren Trieb, "seine Opponenten aus dem Weg zu räumen", solle er angreifen, bezog sich Williams auf die Times und Mansell wollte dem Ruf des Selbstzerstörers ein Ende bereiten.

Er stellte seine Ernährung um und fuhr vor der Saison jeden Tag 20 Kilometer mit dem Mountainbike. Er verbrachte bis zu 20 Stunden am Tag mit seinen Technikern in der Box und feilte an seinem Traum. Er legte mit einigen Mühen sein störrisches und ungeduldiges Wesen ab und fuhr als es endlich losging zwar immer noch wie der Teufel, aber deutlich gewiefter.

Erfolgreichster Brite in Silverstone

Mit dem neuen Williams-Partner Renault wurde Mansell in beeindruckender Manier Weltmeister und auch Europas Sportler des Jahres 1992. Er stellte gleich mehrere Rekorde auf. So gewann er die ersten fünf Rennen und neun insgesamt. Er holte 14 Pole-Positions, Er löste den Schotten Jackie Stewart als erfolgreichsten Briten in Silverstone ab. Er hatte es allen gezeigt, endlich. Nach 13 Jahren als Profi, nach fast 500 WM-Punkten und 30 Siegen war er am Ziel. Er hatte das erreicht, wovon er schon als Kind geträumt hatte. Es war ihm egal, dass die Medien seinen Sieg vor allem dem starken Auto zuschrieben und nicht ihm.

Es war ihm egal, dass er später mit zwei mehr oder weniger misslungenen Comeback-Versuchen erneut für Spott sorgte. Er war Weltmeister. Für immer. Der Löwe hatte wahrlich gekämpft und zeigte, dass er es verdient hat in einer Reihe mit Senna, Prost und Piquet zu stehen. Es ging ihm nie darum, ein Star zu sein wie James Hunt und das Wort Limit löste bei ihm nie diese Faszination aus, wie bei anderen Fahrern. Er fuhr, weil er es liebte - und um einmal Weltmeister zu werden.

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