Schenkt man gewissen Ecken des Internets glauben, dann war der Termin für Spiel 7 der Erstrundenserie zwischen den Lakers und Suns am kommenden Wochenende im kollektiven Bewusstsein der NBA-Fangemeinde bereits fest verankert. Trotz des 2-3-Rückstands der Lakers, trotz eines 30-Punkte-Blowouts in Spiel 5, trotz eines angeschlagenen Anthony Davis - LeBron James wird das schon regeln.
Der Blick in die Vergangenheit stützte diese These, eine im Vorfeld von Spiel 6 gern und viel zitierte Statistik besagte, dass eben jener James in Elimination Games aufdreht wie kein zweiter. Wenn sein Team in einer Playoff-Serie am Abgrund steht, legt der ehemalige Cavs-, Heat- und heutige Lakers-Star im Schnitt 33,7 Punkte auf. Kein anderer Akteur aus der langen Historie der NBA kann diese Zahl toppen.
Letztlich kratzte LeBron in Spiel 6 gegen die Suns mit 29 Zählern an dieser Marke, doch von der teils erwarteten, teils erhofften Dominanz des Kings fehlte bei der 100:113-Pleite jede Spur. Für seine 29 Punkte benötigte James 26 Würfe (11 Treffer, darunter 3/10 Dreier). Im ersten Viertel, als Devin Booker die Gäste mit einem persönlichen Dreierfeuerwerk auf die Siegerstraße ballerte, fehlten auch James die Antworten.
Zwar bäumte sich die Nummer 23 in Purple-and-Gold noch einmal auf, doch letztlich schaffte es der 36-Jährige nie, das Spiel an sich reißen. Zumindest nicht in der Form, wie man es aus der Vergangenheit gewohnt war. Am Ende stand vor allem eine Erkenntnis: Gevatter Zeit sägt nun auch am Thron des Kings.
Lakers-Star LeBron: Alleingang war einmal
In der Serie gegen die Suns wurde offensichtlich, dass LeBron von der Dominanz früherer Tage weit entfernt ist. In den sechs Spielen war nur selten zu sehen, dass er in einst gefürchteter Manier seinen kräftigen Körper einsetzt, um sich zum Korb durchzutanken und dort mit Autorität abzuschließen. Stattdessen verließ er sich zu sehr auf seinen Jumper. 42,1 Prozent seiner Abschlüsse kamen von Downtown, sein vorheriger Höchstwert für den Anteil an Dreiern in den Playoffs war gut zehn Prozentpunkte niedriger.
Dazu passt, dass James in sechs Spielen gegen die Suns nur 3,8 Freiwürfe pro Partie nahm, ein Playoff-Tiefstwert und zwar mit großem Abstand. In dieser Hinsicht gilt es auch der Defense der Suns ein Kompliment auszusprechen, oftmals stellte Phoenix die Zone zu, um Drives des Lakers-Stars im Keim zu ersticken. Mikal Bridges und Jae Crowder, die die Hauptlast in der Defense gegen LeBron übernahmen, ließen sich nicht herumschubsen - aber eben auch, weil LeBron dazu scheinbar körperlich nicht immer in der Lage war.
In Spiel 6 versuchte es der amtierende Champion vermehrt mit Lineups mit James als nominellem Center und Schützen ihm in herum. So machte L.A. das Spiel breiter als beispielsweise mit Andre Drummond oder Montrezl Harrell auf dem Feld. LeBron kam in einigen Situationen besser zum Korb durch, beispielsweise 1:30 Minuten vor dem Ende des dritten Viertels, als er sich per Drive, Spin-Move und Pump-Fake gegen Crowder und einen zweiten Verteidiger durchsetzte. Doch den anschließenden Layup setzte er an den Ring - auch das war ungewöhnlich für LeBron.
Ungewöhnlich, aber kein Einzelfall in Spiel 6: In der Restricted Area traf er nur 8 seiner 15 Versuche. In manchen Situationen fehlte die finale Durchschlagskraft. Natürlich half es ihm dabei neben der guten Suns-Defense nicht, dass Davis verletzt ausfiel und von den Teamkollegen über die komplette Serie viel zu wenig Unterstützung kam. Doch die hatte er bei so manchen Cavs-Teams ebenfalls nicht. Ein jüngerer LeBron war aber in der Lage, die Spiele notfalls auch im Alleingang zu entscheiden.
Die Maschine LeBron kommt ins Stottern
Über Jahre schien LeBron das unweigerliche Altern seines Körpers hinauszuzögern, mittlerweile ist aber der Punkt erreicht, an dem auch er langsam aber sicher den in 18 Jahren in der Association und in 15 meistens sehr tiefen Playoff-Runs abgespulten Meilen Tribut zollen muss. In der Saison 2018/19, seinem ersten Jahr in Hollywood, kam die Maschine LeBron erstmals ins Stottern, als erstmals in seiner Karriere weniger als 60 Partien absolvierte.
Dann kam die durch das Coronavirus durcheinandergewirbelte Spielzeit 19/20 in der er das Team gemeinsam mit AD zur Championship hievte. Zeit für eine Pause blieb aber nicht, nur 72 Tage nach dem Titelgewinn ging es weiter. "Wenn ich an den Moment zurückdenke, an dem wir in die Bubble gegangen sind, und die Zeit bis heute reflektiere, dann war das einfach kraftraubend", sagte LeBron nach dem Playoff-Aus gegen die Suns. "Mental, physisch, seelisch und emotional."
Im März folgte schließlich die Knöchelverletzung, die den King zu knapp sechs Wochen Pause und 26 verpassten Partien zwang. Nach seinem Comeback war er nicht der Alte, ihm fehlte es oftmals an der letzten Spritzigkeit, der Dominanz. Auch in Spiel 6 machte LeBron gegen Ende der Partie einen müden Eindruck, auch das war ein in den vergangenen Jahren ungewohntes Bild.
LeBron James: Kann die Offseason "Wunder bewirken"?
Dabei darf nicht vergessen werden, dass LeBron in den ersten Saisonmonaten vor seiner Verletzung auf einem teils überragenden Niveau agierte und sich selbst in die frühe MVP-Diskussion katapultierte. Bis zur Verletzung von LeBron standen die Lakers bei einer Bilanz von 28-13, obwohl Co-Star Davis bereits seit Mitte Februar verletzungsbedingt fehlte.
James musste aber selbst zugeben, dass er nach seinem lädierten Knöchel wohl nie mehr bei den 100 Prozent vor der Verletzung ankommen würde. Das ist nur logisch, schließlich wird LeBron im Dezember 37 Jahre alt. Zwar kündigte er an, dass eine verlängerte Offseason ohne tiefen Playoff-Run, ohne Olympische Spiele bei ihm "Wunder bewirken" werde - und das darf man bei diesem LeBron James, der Millionen in die Behandlung seines Körpers steckt, nicht ausschließen.
Wahrscheinlicher ist aber, dass man sich an dieses Bild aus den Playoffs 2021 gewöhnen muss. An einen LeBron, der eben nicht mehr im Alleingang eine Serie entscheiden kann.