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"Dein Franchise Player muss das Herzstück sein": Wer hätte bei den Boston Celtics den Finals-MVP verdient?

Von Stefan Petri
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Wenn kein Basketball-Wunder geschieht, werden die Boston Celtics die NBA Finals gegen die Dallas Mavericks gewinnen und den 18. Titel der Franchise-Geschichte einfahren. Lediglich die Frage nach dem Finals-MVP scheint noch offen, aber auch hier beweist sich wieder einmal die unglaubliche Stärke des Teams. Und auch die Arbeit des Front Office sollte man nicht außer acht lassen.

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NBA Finals: Wo kann man Spiel 4 im TV und Livestream sehen?

NBA Finals: Dallas klammert sich an das Wunder

Irgendwann wird es auch in den NBA-Playoffs ein Team geben, dass einen 0-3-Rückstand noch in den größtmöglichen Triumph verwandelt. Die Major League Baseball hält mit den Red Sox gegen die Yankees vor 20 Jahren ein prominentes Beispiel bereit. In der NHL gab es das sogar schon viermal, ein fünftes Mal streben derzeit Leon Draisaitl und seine Edmonton Oilers an. In der NBA jedoch waren bislang alle 156 Versuche zum Scheitern verurteilt.

Früher oder später muss es doch klappen, gerade mit dem immer stärkeren Fokus auf den Dreier. Oder Verletzungspech. Oder oder oder. Die Boston Celtics waren vor genau einem Jahr ganz nah dran, als sie in den Conference Finals gegen die Miami nach 0-3 noch ausglichen - nur um dann in Spiel 7 vor eigenem Publikum unterzugehen. Viel fehlte damals nicht.

Daran werden sich aktuell die Mavericks und ihre Fangemeinde klammern. "Es ist erst vorbei, wenn es vorbei ist. Wir müssen einfach daran glauben", sagte Luka Doncic nach Spiel 3, nach dem Motto: Ein Wunder scheint immer so lange unmöglich, bis es passiert.

Wir hatten vor einigen Tagen schon "Faust" zitiert, also warum nicht noch einmal? Die Botschaft hör' ich wohl, lieber Luka. Allein mir fehlt der Glaube. Es spricht doch alles sehr für 157-0.

Paul Pierce wurde beim letzten Titel der Boston Celtics 2008 als Finals-MVP ausgezeichnet.
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Finals-MVP: Die Celtics haben gleich vier Kandidaten

Warum das so ist, haben wir in den bisherigen drei Spielen gesehen: Die Celtics sind perfekt aufgestellt, um dieses Mavericks-Team vor unlösbare Probleme zu stellen. Sie sind zu talentiert, zu gut gecoacht, zu tief besetzt. Wenn ein Star mal nicht liefert, springt eben der zweite in die Bresche. Wenn Kristaps Porzingis bei seinem Comeback die Lichter ausschießt, danach aber erneut verletzt fehlt, liefern eben Al Horford oder gar Xavier Tillman. Auf der Gegenseite können die Mavs ihr bisheriges Erfolgsrezept (Lobs und Dreier aus der Ecke) nicht mehr umsetzen, die Rollenspieler versagen größtenteils, Doncic bekommt zu wenig Hilfe. Und ist es in der Schlussphase tatsächlich mal eng, sind es die Celtics, die die wichtigen Würfe versenken.

So scheint vor Spiel 4 in der Nacht auf morgen (2.30 Uhr) - und hier dürfen uns die Mavericks gern Lügen strafen, niemand hätte etwas gegen ein letztes Fitzelchen Spannung - eigentlich nur noch eine Frage offen: Wer wird beim 18. Meistertitel in der Bostoner Franchise-Geschichte mit dem Finals-MVP-Award ausgezeichnet?

Mit der aktuellen Starting Five inklusive Porzingis haben die Celtics normalerweise sechs Leistungsträger zu bieten, von denen sich jeder potenziell zum Matchwinner aufschwingen kann. KP überragte in Spiel 1, verpasste Spiel 3 aber verletzt, sein Status für Spiel 4 ist offen. Damit ist er raus aus der Verlosung. Al Horford ist gerade für seine 38 Jahre immer noch ein überragender Big Man, ein idealer Rollenspieler - aber eben selten mehr.

Bleiben die beiden Guards und Forwards: Derrick White, Jrue Holiday, Jaylen Brown und Jayson Tatum. Schauen wir uns ihre bisherigen Statistiken in den drei Finals-Spielen an:

Finals-MVP: Die Statistiken der wichtigsten Boston Celtics

SpielerMINPTSFG / 3FG (%)REBASTSTLBLKTO
Jaylen Brown40,324,355,1 / 25,06,05,72,01,33,7
Jayson Tatum43,021,735,9 / 29,68,77,30,70,33,7
Jrue Holiday39,015,759,4 / 41,77,74,31,00,30,0
Derrick White38,316,341,7 / 40,74,03,71,31,31,3

Erste Erkenntnis: Unglaublich, diese Tiefe der Celtics. Selbst wenn man Porzingis (16,0 in zwei Spielen) ausklammert, muss man bis zu den Finals 1995 zurückgehen, um vier Spieler in einem Team zu finden, die jeweils mindestens 15 Punkte im Schnitt erzielen konnten (Houston Rockets mit Hakeem Olajuwon, Clyde Drexler, Robert Horry und Mario Elie).

Außerdem fällt auf, wie vielseitig das Quartett ist. Brown und Tatum sind für die Punkte zuständig, doch wo bei ihnen der Dreier nicht fällt, treffen Holiday und White jeweils über 40 Prozent. Zudem liegt kein einziger weder bei den Rebounds noch bei den Assists unter 3,7. Von Rollen- oder gar eindimensionalen Spielern kann hier keine Rede sein: Vielmehr haben die Celtics zwei All-Stars in Brown und Tatum und zwei Guards, die absolut auf All-Star-Niveau agieren - oder agieren könnten, wäre ihre Rolle etwas größer. Und von der exzellenten Defense haben wir noch gar nicht gesprochen.

Holiday, selbst schon zweimal im All-Star-Team vertreten, pflückt ob seiner Statur etwas mehr Rebounds und war mit 26 Punkten (11/14 FG) der MVP von Spiel 2. White ist die Konstanz in Person (in jedem Spiel mindestens drei getroffene Dreier) und ein Mann für Clutch-Situationen (siehe sein Block gegen P.J. Washington). Beide hätten mit einem Feuerwerk in Spiel 4 sogar noch Außenseiterchancen, sollten Brown/Tatum schwächeln. Mit ziemlicher Sicherheit wird es sich aber zwischen dem Forward-Duo entscheiden. Fest steht: Für beide wäre die Auszeichnung mit enormer Genugtuung verbunden.

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Jayson Tatum: Alleskönner mit einem großen Makel

Zum dritten Mal in Folge wurde Tatum in dieser Saison ins All-NBA First Team gewählt. Keine Frage, der 26-Jährige gehört zu den besten Basketballspielern des Planeten. Aber die Tatsache, dass er - noch? - nicht ganz des Level eines Nikola Jokic oder Luka Doncic erreicht, und dass den Celtics in den vergangenen Jahren trotz tiefer Playoff-Runs der große Wurf versagt geblieben war, hat immer wieder zu Diskussionen über seine Person geführt. Dazu kommt sein eher zurückhaltendes Auftreten: Es fehlen die Schimpftiraden Lukas oder das markant hervorgeschobene Kinn und der stahlharte Blick, den einst sein großes Idol Kobe Bryant auszeichnete. So wurde sein Killer-Instinkt oft in Frage gestellt.

In den Finals zeigt Tatum sein ganzes Können. Er ist der hauptsächliche Spielmacher seines Team, der die Mavs-Defense zum Kollabieren bringt und danach den Ball verteilt, ob er nun am Ende den Assist zugeschrieben bekommt oder nicht. In der Defense bekommt er es mit Dallas' Centern zu tun, eigentlich eine undankbare Aufgabe, doch er löst sie mit Bravour und ist für seine Größe ein exzellenter Rebounder. Nicht umsonst ist er gar nicht so weit von einem Triple-Double im Schnitt entfernt.

"Dein Franchise Player muss das Herzstück sein", lobte ihn sein Coach Joe Mazzulla. "Er macht das Leben aller anderen leichter. Es gibt keinen wie ihn." Mit ihm auf dem Court ist das Offensive Rating der Celtics in dieser Posteason bockstarke 15,0 Punkte besser als ohne hin, der mit Abstand beste teaminterne Wert (im Defensive Rating liegt er auf Platz zwei).

Ein schwarzer Fleck ist und bleibt allerdings sein Shooting in diesen Finals - und wenn man ehrlich ist: schon seit Jahren in den Playoffs. In Spiel 3 glänzte er mit 31 Punkten, dennoch trifft er insgesamt nicht einmal 36 Prozent seiner Würfe. Das liegt auch an der Mavs-Defense, die sich auf ihn fokussiert, aber auch an einer zu schlechten Wurfauswahl. Und dafür, dass sein Dreier schon länger nicht fällt, nimmt er immer noch viel zu viele.

NBA Finals: Die Finals-MVPs des letzten Jahrzehnts

JahrSpielerTeam
2023Nikola JokicDenver Nuggets
2022Stephen CurryGolden State Warriors
2021Giannis AntetokounmpoMilwaukee Bucks
2020LeBron JamesLos Angeles Lakers
2019Kawhi LeonardToronto Raptors
2018Kevin DurantGolden State Warriors
2017Kevin DurantGolden State Warriors
2016LeBron JamesCleveland Cavaliers
2015Andre IguodalaGolden State Warriors
2014Kawhi LeonardSan Antonio Spurs
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Jaylen Brown: Der Mann für die Highlight Plays

Jaylen Brown hat in dieser Hinsicht klar die Nase vorn, auch wenn bei ihm der Distanzwurf aktuell nicht fällt. Robuste 55 Prozent aus dem Feld schreibt er an, auch bei den Rebounds und Assists liegt er nicht weit hinter Tatum zurück. Der 27-Jährige hat ein Näschen dafür, immer dann voll auf dem Posten zu sein, wenn es bei Tatum mal nicht läuft: Im Auftaktspiel war er neben Porzingis der beste Mann auf dem Parkett, überragend auch das dritte Viertel in Spiel 3, als sich die Celtics einen großen Vorsprung erspielten.

Brown ist in den Finals bisher der Mann für die spektakulären Highlight-Plays: Ob bei krachenden Driving Dunks, Monster-Blocks oder unglaublichen defensiven Sequenzen gegen Doncic und Kyrie Irving: Er liefert ab. Und traf in der Nacht auf Donnerstag den vielleicht wichtigsten Wurf der bisherigen Serie. Ist er tatsächlich der "beste Spieler der Celtics", wie ihn Jason Kidd nach Spiel 1 betitelte? Zumindest bei der Wahl zum Finals-MVP sehen ihn die Buchmacher vor Spiel 4 klar vorn. Für das Spiel seines Teams ist er nicht ganz so wichtig wie Tatum - aber er spielt aktuell besser.

Für den Flügelspieler wäre es nach der Wahl zum Conference Finals MVP schon die zweite persönliche Auszeichnung innerhalb weniger Wochen. Und die Krönung der letzten zwei Jahre. Nach der Finals-Niederlage gegen die Golden State Warriors war auch auf ihn eingedroschen worden: zu unreif, zu schwach im Dribbling mit der linken Hand. Ein Jahr später enttäuschte er in Spiel 7 gegen die Heat (8/23 FG, 8 Ballverluste). "Dafür habe ich mich geschämt. Das hat mich den ganzen Sommer über angetrieben", sagte er im Rückblick.

Dennoch statteten ihn die Celtics in der Offseason mit dem fettesten Vertrag der Liga-Geschichte aus und verlängerten mit ihm für fünf Jahre und unglaubliche 304 Millionen Dollar. Es scheint sich ausgezahlt zu haben. Und mutet im Rückblick etwas überraschend an, dass Brown in der Wahl für die All-NBA Teams in dieser Saison leer ausging. Das wird ihn aber herzlich wenig stören, wenn es zum Ausgleich die Larry O'Brien Trophy gibt.

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Boston Celtics: Auch das Front Office verdient Lob

Jaylen und Jayson - das kann nicht funktionieren? Darauf gab das Duo die passende Antwort. Da ist es eigentlich egal, wer am Ende die individuelle Auszeichnung abstaubt. Letzten Endes zählt das nur für die Geschichtsbücher.

Eine Stimme hätte eigentlich auch das Front Office um Team President Brad Stevens und seinen Vorgänger Danny Ainge (bis 2021) verdient. Trotz einer Enttäuschungen in den vergangenen Jahren wurde am Duo Tatum/Brown festgehalten, der Kader um sie sukzessive verstärkt. Als Holiday plötzlich auf dem Markt war, griff man clever zu, weil man das Potenzial des 34-Jährigen im Kontext dieses Teams erkannte. Dazu kam der Trade für Porzingis, im Zuge dessen man mit Marcus Smart einen Publikumsliebling abgab. Holiday und Porzingis haben ihre Verträge zudem bereits verlängert, der Kader bleibt also zusammen: Die Celtics werden als klarer Favorit in die kommende Saison gehen.

Wer auch immer am Ende nicht zum Finals-MVP gewählt wird: Die Chancen auf eine weitere Gelegenheit im Juni 2025 stehen sehr gut.

NBA Finals - Celtics vs. Mavericks: Die Serie in der Übersicht

SpielDatumUhrzeitHeimAuswärtsErgebnis
17. Juni (Fr)2.30 UhrBoston CelticsDallas Mavericks107:89
210. Juni (Mo)2 UhrBoston CelticsDallas Mavericks105:98
313. Juni (Do)2.30 UhrDallas MavericksBoston Celtics99:106
415. Juni (Sa)2.30 UhrDallas MavericksBoston Celtics
5*18. Juni (Di)2.30 UhrBoston CelticsDallas Mavericks
6*21. Juni (Fr)2.30 UhrDallas MavericksBoston Celtics
7*24. Juni (Mo)2 UhrBoston CelticsDallas Mavericks