Als die Steelers in der Vorsaison überraschend in der Divisional Round der Playoffs gegen die Jaguars ausgeschieden sind, dachten viele an einen Ausrutscher, der auf unglückliches Playcalling und abstellbare Fehler in der Defense zurückzuführen sei. Das Super-Bowl-Fenster, welches für das Team in der Ben-Roethlisberger-Ära schon seit langem offen scheint, würde auch weiterhin vorhanden sein. Zu dominant kann diese Offense sein, welche eigentlich auf keiner einzigen Position eine Schwachstelle aufweist und auch die Defense verfügt über eine talentierte Front mit einem aufregenden Edge-Rush.
Nun ist das erste Viertel der Saison vorbei und Pittsburgh teilt sich den letzten Platz der AFC North mit den Browns, wobei sogar nicht viel dazu gefehlt hat, dass man alle vier Spiele verloren hätte. Die Secondary wirkte in zu vielen Situationen hilflos und so gab die Defense in den letzten drei Spielen mindestens 440 Yards Total Offense ab. Und auch auf der offensiven Seite drückt der Schuh. Die Roethlisberger-Antonio-Brown-Connection kommt nicht richtig in Fahrt und nach den letzten beiden Partien stellt sich auch die Frage, ob bei der Besetzung der Running-Back-Position der Unterschied von einem All-Pro-Spieler zu einem Starter im ersten Jahr doch größer ist, als manch einer glauben mag.
Die Steelers genießen aufgrund ihres konstanten Erfolges und der Stabilität in ihrer Organisation seit jeher einen gewissen Vertrauensvorschuss, welchen man in den meisten Fällen auch zurückzahlen konnte. Nun allerdings stehen so viele Zeichen gegen das Team, wie lange nicht mehr. So hat sich die Mannschaft von Ryan Shaziers im Vorjahr nie wirklich erholen können, während das Drama abseits des Feldes von Woche zu Woche immer lauter wurde und auch auf dem Feld drastische Auswirkungen zu haben scheint. Darauf zumindest deuten uncharakteristische Fehler hin, die den aktuellen Unmut einer gesamten Franchise und ihrer Fanbase wiederspiegeln. Läuft die Ära Roethlisberger Gefahr, in einem riesengroßen Ärgernis zu enden?
Pittsburgh Steelers: Secondary ist riesige Problemzone
Nach der Niederlage gegen die Ravens im Sunday Night Game läuten in Pittsburgh endgültig die Alarmglocken. Der Division-Rivale hat nicht nur einen enorm wichtigen Sieg vom ansonsten so heimstarken Dominator der AFC North entlocken können, sondern auch all die wunden Punkte aufgezeigt, wegen welchen die Steelers in diesem Jahr Gefahr laufen, die Playoffs erstmals seit 2013 zu verpassen.
Joe Flacco dominierte schon in der Anfangsphase der Partie und wusste Zuteilungs- und Kommunikationsprobleme in Pittsburghs Secondary gezielt anzugreifen. Nach nur sieben Minuten waren die Ravens schon zweimal in der Endzone und Speedster-Wideout John Brown hatte zu Beginn des zweiten Viertels mit zwei Receptions für über 100 Yards gefangen. Darüber hinaus verhinderte ein Fumble von Alex Collins ein zwischenzeitliches 21:3 für Baltimore.
Der Auftritt bestätigte nur den Eindruck, den Pittsburghs Defense in dieser Saison bislang hinterlassen hatte. Den Auftakt gegen die Browns verschlief man komplett und so konnte sich Mike Tomlins Team über ein Remis gegen Cleveland sogar glücklich schätzen. In Week 2 erlaubte man vor heimischer Kulisse 6 Touchdown-Pässe von Patrick Mahomes und auch den einzigen Sieg der Saison verspielten die Steelers in Tampa trotz 20-Punkte-Halbzeit-Führung um ein Haar, als Ryan Fitzpatrick für 400 Yards warf.
Antonio Brown: "Kann mir den Ball nicht selbst zuwerfen"
Die Steelers gaben einen sicheren Sieg gegen die Buccaneers auch deshalb beinahe aus den Händen, weil sie in der zweiten Halbzeit keine Punkte mehr erzielten. Selbiges Problem gab es auch Montagnacht, wobei die Probleme in Pittsburghs Offense hier ein neues Ausmaß erreichten. Die Steelers schafften es im zweiten Durchgang kein einziges Mal in die gegnerische Hälfte. Big Ben hatte riesige Timing-Probleme und konnte Brown um alles in der Welt nicht in Szene setzen. Der wiederum machte seiner Frustration im Nachgang Luft.
"Ich kann mir den Ball nicht selbst zuwerfen", sagte Brown gegenüber ESPN. "Vom statistischen Standpunkt habe ich alles herausgeholt. Der Rest liegt nicht in meinen Händen."
Roethlisberger hat den besten Wide Receiver der Liga nicht nur oftmals haarsträubend verfehlt, er nahm bei mehreren Gelegenheiten keinen Blickkontakt zu ihm auf, als er von den Ravens lediglich in Eins-gegen-Eins-Coverage verteidigt wurde. Auch der 36-Jährige zeigte sich nach der Partie hochgradig unzufrieden.
"Ich bin gerade mit niemandem auf derselben Wellenlänge", so Big Ben gegenüber ESPN. "Ich habe nicht gut genug gespielt und die Jungs im Stich gelassen."
Le'Veon Bell: Verzichten die Pittsburgh Steelers?
Wenn ein erfolgsverwöhntes Team wie die Steelers in eine Phase des Misserfolgs tritt, dann wird es zwangsläufig darüber nachdenken, welche Ursachen es für das Schlamassel gibt. An der Personalie Le'Veon Bell kommt man hier nicht vorbei. Schon gar nicht, wenn Ersatzmann James Conner nach einem verheißungsvollen Start in den letzten drei Spielen nur noch für 3 Yards pro Laufversuch laufen und gegen Baltimore lediglich 44 Scrimmage Yards beisteuern konnte.
Bell ist seit Bekanntgabe seines Holdouts das allgegenwertige Thema in Pittsburgh. Ein Thema, welches für die Franchise so leidig sein muss, wie es unvermeidbar ist, da Medienvertreter bei jeder Gelegenheit darauf zurückkommen und neue Meldungen zur Personalie tagtäglich verbreitet werden. Dass auch in der Umkleidekabine darüber diskutiert wird, scheint alleine dadurch klar, dass einige Offensive Linemen Bell für sein Verhalten in Week 1 öffentlich kritisiert haben.
Nach jüngsten Medienberichten scheint Bell nach der Bye Week in Woche 7 wieder zum Kader dazustoßen zu wollen. Ob die Franchise allerdings überhaupt am 26-Jährigen festhält, ist derweil unklar. Offenbar will man dem Thema nämlich endgültig und schnellstmöglich ein Ende setzen und so suchen die Steelers auch trotz der Rückkehr-Meldungen nach einem Trade-Partner, der bereit dazu ist, den passenden Gegenwert für Bell abzugeben.
Während sich die Steelers nämlich sicher sind, dass die Diskrepanz zwischen sportlichem Wert und finanzieller Forderung des All-Pro-Backs zu groß ist, bleibt die Frage, wie groß der sportliche Wert in der aktuellen Situation überhaupt wäre. Pittsburghs Offensive Line nämlich hat in dieser Saison überraschend große Probleme im Run Blocking und rangiert nach Football Outsiders ligaweit lediglich auf dem 25. Platz. Seit 2014 hatte Bell immer eine O-Line vor sich, die nach der Adjusted-Yard-Line-Metrik in den Top Ten der Liga abgeschlossen hat.
Andererseits aber verändert ein weiterer Superstar in dieser Offense nicht nur die Körpersprache und das Selbstvertrauen des Teams, es würde Offensive Coordinator Randy Fichtner vermutlich auch mehr Vertrauen geben, auf das Running Game zu setzen. In einem Spiel, das bis 3:37 Minuten vor Spielende ein One-Possession-Game war, hatten die Steelers gegen Baltimore ein Pass-Lauf-Verhältnis von fast fünf zu eins. Auch in einer Pass-First-Liga ist das zu krass.
Steelers zeigen ungewohnte Disziplinlosigkeiten
Ob mit oder ohne Bell. Er ist nicht die Personalie, die für den Erfolg dieses Teams ausschlaggebend sein wird. Diese Offense verfügt auch ohne ihn über genug Firepower, um sich von einem Spiel wie dem gegen die Ravens zu erholen. Aktuell ist Bell nur eine Personalie, die für eine ganze Menge Unruhe in und um das Team herum sorgt. Es wäre nicht verwunderlich, wenn die Steelers hier eine Entscheidung vor Week 7 treffen würden.
Viel brisanter ist die angesprochene Problematik auf der defensiven Seite. Coverage Breakdowns und schlechte Winkel sowie Zuteilungsprobleme kamen die Steelers im Verlauf der Saison immer wieder teuer zu stehen. Wenn die talentierte Front und der Edge Rush keinen Druck erzeugen kann, scheint diese Defense wenig bis gar keine Antworten auf Offenses zu haben.
Und nicht nur das. Man leistet sich für Steelers-Verhältnisse viel zu viele und absolut uncharakteristische Fehler. Pittsburgh führt die Liga mit weitem Abstand mit 42 Penalties (JAX und PHI auf Platz 2 mit 35) an. Dinge, die Tomlin und Co. so schnell wie möglich unter Kontrolle bekommen müssen.
Ben Roethlisberger: Macht er die Rücktrittsgedanken wahr?
Das Super-Bowl-Fenster der Steelers unter Ben Roethlisberger wird gerade verschwindend gering und aktuell läuft man Gefahr, eine Saison aufgrund von unangenehmen Begleiterscheinungen zu verspielen. Und während die Steelers selbst viel für ihre Regression unternehmen, scheinen die Kontrahenten in der AFC North immer stärker zu werden.
Die Bengals und die Ravens überzeugten auf beiden Seiten des Balles und bekommen in Vontaze Burfict und Jimmy Smith nochmals enorm wichtige Verstärkungen für ihre Defense. Die Browns stehen aufgrund von selbst zugefügter Wunden bei 1-2-1 anstatt von 4-0. Allerdings hat Cleveland eine ernstzunehmende Defense und einen potenziellen Franchise-Quarterback.
Pittsburgh muss vor diesem Hintergrund und mit bereits zwei Spielen Rückstand auf Cincinnati und Baltimore als nächstes gegen die Falcons, Bengals, Browns, Ravens und Panthers ran. Selbstredend ein wahnsinnig schwieriger Schedule. Ein Karriereende Roethlisbergers, der in den letzten Jahren immer wieder über einen Rücktritt gesprochen hat, bahnt sich bei anhaltendem Misserfolg tatsächlich an. Und das aktuell von Frust geprägte Klima hilft hierbei wenig. Vielleicht läuft Pittsburgh die Gefahr weit mehr als eine Playoff-Teilnahme zu verspielen.