16. New York Giants (6-2)
Ranking nach Week 4: 25.
Die Giants sind genauso ein Phänomen, wie sie das Resultat eines exzellent arbeitenden Trainerstabs sind. Brian Daboll leistet fraglos sehr gute Arbeit in seiner ersten Saison als Head Coach, und er hat eine Offense entworfen, die mit einem limitierten Quarterback und äußerst limitierten Receiver-Optionen dennoch produktiv sein kann. Das spricht für Daboll, doch die Tatsache, dass die Giants jetzt wiederholt enge Spiele gestalten konnten und am Ende das entscheidende Big Play auf ihrer Seite hatten, ist so nur schwer aufrecht zu erhalten. Das soll gerade die offensiven Leistungen nicht schmälern, während die Defense mit ihrer Defensive Line - angeführt von Breakout-Kandidat Dexter Lawrence - mehr und mehr eine Identität findet. Dennoch denke ich, dass es zumindest mit Blick auf diese Saison eine Frage der Zeit ist, bis die Defizite insbesondere auf Cornerback und Receiver noch deutlicher aufgedeckt werden. Oder anders formuliert: Vieles musste klappen, damit die Giants diesen Start hinlegen konnten, und während manches davon selbst erarbeitet und hochverdient ist, ist das, was ich als "Matchglück" bezeichnen würde, einfach selten über eine ganze Saison konstant, und den in der Folge früher oder später notwendigen Spielraum für Fehler haben die Giants noch nicht.
15. Tampa Bay Buccaneers (3-5)
Ranking nach Week 4: 4.
Was ein letztes Hurra, ein letztes All-In-Jahr mit Tom Brady werden sollte, bevor zeitnah die Rechnung für einen über mehrere Jahre teuer aufrechterhaltenen Kader fällig wird, entwickelt sich mehr und mehr zu einem Desaster. Die Bucs wollen - man muss es fast so nennen - dogmatisch den Ball laufen, ohne aber dabei Ergebnisse zu erzielen. Die ganze Offense wirkt sehr eindimensional, sehr starr, sehr inflexibel. Das konnte man auch im Vorjahr bereits beobachten, doch im Vergleich dazu haben die Bucs nicht mehr die Line und auch nicht mehr die Quarterback-Qualität, um diese Dinge zu kompensieren. Und doch ist die individuelle offensive Qualität nach wie vor deutlich höher als das, was man aktuell auf dem Platz sieht. Defensiv wirkt es so, als würde Tampa schrittweise mehr einbrechen, die Tage der Elite-Run-Defense scheinen gezählt und die jüngste Verletzung von Shaq Barrett wird den Pass-Rush nochmals zahnloser machen. Ich will die Bucs nach wie vor nicht abschreiben, allein aus dem Grund, dass ich nicht ausschließen will, dass Brady, der in Ordnung spielt, irgendwann doch nochmals einen Schalter umlegt und das Maximum aus diesem Team herausholen kann. Aber: Es wird auch von ihm kommen müssen, denn, so viel scheint klar, auf echte Antworten seiner Coaches kann er sich dieses Jahr nicht verlassen.
14. Tennessee Titans (5-2)
Ranking nach Week 4: 20.
Über die letzten drei Jahre gibt es kein Team in der Liga, das so viele Spiele gewonnen hat, bei denen ich mir im Vorfeld sicher war, dass es eine Niederlage setzen würde. Und daran knüpfen die Titans auch dieses Jahr an: Das entscheidende defensive Big Play, der kritische Derrick-Henry-Run in einem Moment, in dem das Team diesen unbedingt brauchte - diese Dinge lassen sich auch in diesem Jahr wieder beobachten, und das macht die Titans, obwohl sie unbestreitbar weniger individuelle Qualität haben als in den letzten beiden Jahren, abermals schwer zu greifen. Was allerdings qualitativ auch in diesem Jahr imponiert, ist die Defensive Line: Die Titans sind unheimlich gut darin, mit ihrer physischen Front den Run zu stoppen und via Stunts freie Rusher auch ohne Blitzing zu kreieren. Der Verlust von Harold Landry macht sich hier zwar bemerkbar, aber Spieler wie Denico Autry oder auch Rashad Weaver helfen dabei, das aufzufangen. Allein mit der starken Defensive, guten Safeties und zumindest einem guten Corner in Kristian Fulton kann die Defense den Titans in vielen Matchups eine Chance geben. Das Passspiel, durch Receiver-Verletzungen weiter dezimiert, kann weiterhin nicht mehr machen, als den Kopf gerade so über Wasser zu halten, und das Run Game ist - außerhalb von Spielen gegen die Texans - längst nicht so dominant wie in vergangenen Jahren. Und dennoch sind die Titans auf bestem Wege, einmal mehr die AFC South zu gewinnen.
13. Green Bay Packers (3-5)
Ranking nach Week 4: 5.
Mich würde schon interessieren, wie sich Aaron Rodgers nach dem Abgang von Davante Adams diese Offense vorgestellt hatte. Hatte er antizipiert, dass Green Bay einen aggressiven Trade für einen Top-Receiver in die Wege leiten würde? Und wenn ja - welche Anhaltspunkte gab es dafür? Realistisch musste man nach dem Receiver-Stühlerücken in Green Bay erwarten, dass die Offense mehr über das Run Game funktionieren würde, und dass von Rodgers mehr Konstanz und Geduld als Big Plays gefordert sein würden. Doch die Packers haben offensiv so gar keinen Rhythmus, auch weil Rodgers nicht konstant innerhalb des Systems spielt - aber auch, weil die Receiver Bälle fallen lassen, die Routes nicht ideal greifen und die Line noch weit weg von der erhofften Qualität ist. Weit weg von der erhofften Qualität ist auch die Run-Defense, und damit geht die ganze Formel nicht auf: Statt ein Team zu sein, das mit dominanter Defense und effizienter wenn auch unauffälliger Offense den Ball bewegt und Spiele 20:17 gewinnt, werden die Packers regelmäßig defensiv überrannt und können offensiv keinen vorteilhaften Spielverlauf forcieren. Die Pass-Defense ist sehr gut, mit einem starken Pass-Rush und einer Secondary, die in Man Coverage gewinnen kann. Und ich denke, dass sich die Offensive Line noch stabilisieren wird. Wie weit es aber für Green Bay gehen wird, hängt davon ab, wie Rodgers agiert - und ob zumindest einer der jungen Receiver über die kommenden Wochen einen großen Schritt machen kann. Das Spiel gegen Buffalo jedenfalls darf als ermutigende Tendenz verbucht werden und lässt mich noch daran glauben, dass es in Green Bay in der zweiten Saisonhälfte aufwärts gehen wird.
12. Cleveland Browns (3-5)
Ranking nach Week 4: 15.
Die - aus Browns-Sicht gesprochen - Hoffnung, dass die Defense einen maßgeblichen Teil dazu beitragen könnte, dass man eine echte Playoff-Chance hat, wenn Deshaun Watson nach abgesessener Sperre zurückkehrt, entpuppte sich in Cleveland in der ersten Saisonhälfte meist als Trugschluss. Dass die Interior Defensive Line ein Problem werden könnte, war absehbar - doch dass Cleveland die nach EPA pro Play mit Abstand schlechteste Run-Defense in der NFL stellen würde, das war nicht zu erwarten. Die Probleme gehen dabei dementsprechend tiefer: Vermasselte Gap-Zuteilungen, verpasste Tackles, hier sieht man Woche für Woche große Probleme. Dass dann noch in Coverage zusätzlich Anfälligkeiten dazukommen, die angesichts der individuellen Qualität so nicht auftreten sollten, macht die Sache nicht leichter. Der Pass-Rush ist zuletzt gegen Cincinnati aufgewacht und hat gezeigt, dass man hier noch immer Spiele dominieren kann - wenn das Matchup passt. Die Offense hat ihre klare Identität im Run Game, doch wenn die Defense regelmäßig zu viel zulässt, greift diese Formel nicht, wenn Jacoby Brissett der Quarterback ist. Brissett erfüllt seine Aufgabe sehr gut, ist letztlich aber eben ein solider Game Manager in einer funktionalen Maschinerie.
11. Los Angeles Chargers (4-3)
Ranking nach Week 4: 13.
Man kommt nicht umhin, die bisherige Saison der Chargers als Enttäuschung zu bezeichnen. Und sicher, Verletzungen spielen hier eine nicht unerhebliche Rolle: Joey Bosa fehlt seit Wochen, Left Tackle Rashawn Slater ist für den Rest der Saison raus, genau wie Cornerback J.C. Jackson. Keenan Allen hat wochenlang gefehlt, Mike Williams wird jetzt wohl für mehrere Wochen ausfallen. All das sind wichtige Schlüsselspieler auf Premium-Positionen, doch die schematisch mitunter massiv enttäuschenden Auftritte der Offense lassen sich einfach nur damit nicht erklären. Bei den Chargers wird man das Gefühl nicht los, dass man unter den eigenen Möglichkeiten agiert - selbst wenn man die Ausfälle berücksichtigt. Die Offense ist so zäh, so eindimensional, selbst mit der Idee im Hinterkopf, dass sie die Line etwas verstecken wollen. Und die Defense ist weit weg von der dominanten Unit, die man in der Preseason antizipiert hatte. Justin Herbert gibt den Chargers eine Chance, in den meisten Spielen kompetitiv zu sein; doch das ist deutlich unter dem Anspruch, den man in L.A. vor dieser Saison hatte.
10. Cincinnati Bengals (4-4)
Ranking nach Week 4: 12.
Gerade war ich bereit, die Bengals wieder in die Spitzengruppe zu schreiben - da machte die Nachricht der Verletzung von Ja'Marr Chase dem einen Strich durch die Rechnung. Vier bis sechs Wochen lang könnte Cincinnatis Star-Receiver ausfallen, und ich sehe nach wie vor eine reelle Gefahr, dass das den Bengals offensiv einen mehr als nur empfindlichen Tiefschlag versetzen könnte. Das Spiel gegen die Browns am Montagabend war ein erster Hinweis darauf. Dabei bewerte ich es als überaus positiv, dass Cincinnati versucht, mit einer nahezu ausschließlich aus der Shotgun aufgezogenen Offense gegen seine eigenen Trends zu arbeiten und die Offense schwerer ausrechenbar zu machen. Burrow fühlt sich darin sichtlich wohler, er bediente zuletzt die Mitte des Feldes besser und Cincinnati brachte so auch sein Run Game ins Rollen. Zu versuchen, das ohne Chase aufrecht zu erhalten, ist der ultimative Test dafür, inwieweit die Offense mittlerweile einen strukturellen Floor hat. Den hat die Defense, mit D.J. Reader zurück sollte sich hier auch die Run-Defense nochmals merklich verbessern. Gleichzeitig ist der Ausfall von Cornerback Chidobe Awuzie eine empfindliche Schwächung.
9. Seattle Seahawks (5-3)
Ranking nach Week 4: 19.
Wenn es ein Musterbeispiel dafür bräuchte, dass der Draft zu einem unangenehm hohen Maß Glückssache ist, dann wären die Seattle Seahawks und GM John Schneider eine wunderbare Option dafür. Schneider hatte von 2010 bis 2012 drei herausragende Drafts, in denen unter anderem Richard Sherman, K.J. Wright, Earl Thomas, Kam Chancellor, Golden Tate, Bobby Wagner, Russell Wilson, Byron Maxwell und Bruce Irvin gedraftet wurden. Das war der Kern der Seahawks-Dynastie in den 2010er Jahren. Danach jedoch hatte er deutlich weniger Glück, die weiteren Drafts bis einschließlich 2018 blieben eher für ihre fragwürdigen Picks als für die einzelnen Treffer in Erinnerung. Bis, ja bis der diesjährige Draft kam. Und natürlich ist es noch früh, aber es ist gut möglich, dass Seattle im 2022er Draft beide Starting-Tackles, zwei Starting-Cornerbacks, seinen Running Back für die nächsten Jahre und einen perspektivischen Pass-Rusher gefunden hat. Eine außergewöhnliche Ausbeute! Und das überträgt sich auch schon aufs Feld, wenngleich all das deutlich weniger auffallen würde, hätte Seattle mit Geno Smith nicht gleichzeitig einen echten Glücksgriff gelandet. Die Offense kann Big Plays auflegen, findet im Run Game aber auch zunehmend einen Floor. Und die Defense ist zwar gerade gegen den Pass anfällig, aber längst nicht mehr so eine Großbaustelle wie noch früher in der Saison. Ich weiß nicht, ob Geno Smith nicht doch wieder merklich abrutschen wird, und ob die qualitativen Defizite gerade defensiv nicht doch wieder gravierender ins Gewicht fallen - beides ist ohne Frage möglich. Aber für den Moment ist Seattle eines von vielen NFC-Teams, das sich im oberen Mittelfeld bewegt und das gerade offensiv mehr Antworten präsentiert als vermeintliche Hochkaräter wie die Bengals und die Chargers.