Von Jörg Allmeroth aus New York City
Es war alles eigentlich zuviel für die erste Runde, für die erste Nacht hier in New York. Es war, als hätte ein unsichtbares Drehbuch das ganze Drama eines rauschenden Finales gleich für den Beginn dieser US Open 2017 auf dem Centre Court ausgebreitet, mit dieser spektakulären Abendshow mit der Weltranglisten-Zweiten Simona Halep und der früheren Tennis-Königin Maria Sharapova.
Und sie, die gefallene, tief gestürzte Heldin vergangener Zeiten, jene umstrittene, polarisierende, streitbare, wegen eines Dopingvergehens bis in den April hinein gesperrte Sharapova, war es schließlich, die unter den Flutlichtstrahlern im mächtigsten Tennisstadion der Welt am Auftaktmontag nicht einfach nur ein großartiges Spiel gewann, sondern ihrer Karriere in späten Jahren vielleicht noch einmal einen entscheidenden Auftriebsimpuls lieferte.
Tränen und rührende Worte
Ganz gleich, wer die Internationalen Amerikanischen Meisterschaften am übernächsten Samstag bei den Frauen als Pokalsiegerin verlässt, der Siegesmoment Sharapovas, das Bild der knieenden, weinenden, emotional angerührten Russin, wird mindestens genau so prägend in Erinnerung bleiben. Und vermutlich auch der wie in Stein gemeißelte Satz, den sie mit angemessenem Pathos nach dem fast dreistündigen 6:4, 4:6, 6:3-Erfolgsfight gegen Halep sprach: "Hinter dem Mädchen in diesem schwarzen Kleid, mit den funkelnden Kristallen, steckt jemand mit einer Menge Mumm - und dieses Mädchen verschwindet nicht einfach irgendwo hin."
Nein, ganz gewiss nicht. Und wer würde nach dieser massiven, überwältigenden Überraschungspointe ausschließen wollen, dass es am Ende sogar Sharapova selbst ist, die dieses Grand-Slam-Championat gewinnt. Als Nummer 146 der Tennis-Hackordnung zu triumphieren, gegen alle Zweifel, Ängste und auch gegen die weitverbreiteten Animositäten der lieben Kolleginnen - es wäre ein ähnlicher Coup wie damals der Sieg einer 17-jährigen Sharapova auf dem Heiligen Rasen in Wimbledon, anno 2004.
Kaum jemals seit jenem epochalen Erfolgsmoment in London zeigte Sharapova so viel Gefühl wie nun im Arthur-Ashe-Stadion, eine nahbare Siegerin, einmal nicht die Meisterin der Selbstbeherrschung und Emotionskontrolle. "So ein Sieg zeigt dir, warum du das alles noch machst", sagte Sharapova, "du willst wieder auf so einer Bühne stehen, mit solchem Tennis."
Im Stile einer Pokerspielerin
Seit Sharapova im April ihre Dopingbuße abgesessen hatte, war nur wenig für sie zusammengelaufen bei ihrem spannungsgeladenen Comeback. Die Halbfinalteilnahme beim Stuttgarter Porsche Grand Prix war noch der erfreulichste Bilanzposten für die Russin, die danach für die French Open keine Wildcard erhielt und sich für Wimbledon verletzt abmelden musste.
Auch der Sommer bot wenig Grund zum Optimismus, Sharapova sagte mehrere Turnier ab, mal wegen einer Oberschenkelblessur, mal wegen einer Verletzung im linken Arm. Die Wildcard für New York schien wenig zu nutzen, als ihr für die Auftaktrunde die wuselige Kämpferin Halep zugelost wurde, die Nummer 2 der Setzliste. Selbst wohlmeinende Expterinnen wie Chris Evert gaben der früheren Meisterspielerin da "höchstens eine Außenseiterchance".
Doch Sharapova hatte offenbar wie eine Pokerspielerin alles auf eine starke Rückkehr bei den US Open gesetzt und nicht ihre Energien bei kleineren Turnieren verschwendet. Als sie mit ihrem schwarzen Cocktailkleid den Centre Court betrat, glich sie optisch jener jungen Sharapova, die im Jahr 2006 das New Yorker Turnier gegen die Belgierin Justine Henin-Hardenne gewonnen hatte, zum ersten und einzigen Mal. Doch das Verblüffende, eigentlich sogar Unglaubliche war: Sharapova spielte auch mit jener Intensität, Aggression und Beweglichkeit wie in früheren Glanzzeiten.
"Meine Reise ist noch nicht zu Ende"
Sie hätte sich den Sieg gegen Halep schon viel früher holen können, sie lag zwischenzeitlich mit 6:4, 4:1 und Breakball zum 5:1 vorne, doch selbst der Umweg über den dritten Satz war imponierend. Denn auch bei dieser Extraschicht zeigte die 30-jährige ehedem gewohnte Qualitäten: Eine gewisse Trotzigkeit, Rückschläge wegzustecken. Und die Eigenschaft, sich nach Rückschlägen sofort wieder auf eine neue, noch herausforderndere Situation zu fokussieren.
Aber natürlich konnte Sharapova die Erlebnisse dieser denkwürdigen Nacht nicht als Selbstverständlichkeit abtun, nicht nach allem, was passiert war in den letzten 19 Monaten - nach Dopingsperre, nach Image- und Vertrauensverlust, nach der einsamen Comeback-Mission und nach dem insgesamt frustrierenden Neustart. "Ich weiß, dass ich diese Nacht genießen muss, diesen Sieg hier. Und ich werde ihn genießen. Aber meine Reise ist noch nicht zu Ende."