In Deutschland, genauer gesagt in Wolfsburg, hat für Sie alles angefangen. Wie wurde der VfL auf Sie aufmerksam?
Kragl: Ich habe bei einem kleinen Verein, dem TSV Wolfsburg, angefangen, danach bin ich zum TV Jahn gewechselt. Mit beiden Mannschaften haben wir regelmäßig gegen den großen VfL gewonnen. Irgendwann wollte der VfL sich es nicht mehr gefallen lassen, gegen die kleinen Vereine hergespielt zu werden. Frank Plagge, damals Wölfe-Jugendtrainer, hat mich dann überzeugt, zum VfL zu wechseln. Ich hätte nie gedacht, dass ich jemals für diesen Klub spielen würde.
Warum nicht?
Kragl: Weil ich den VfL früher gehasst habe. Die Jugendspieler waren unfassbar arrogant. Die meisten Eltern haben sich ebenfalls für etwas Besseres gehalten. Während wir kaum Klamotten vom Verein bekamen, stolzierten die VfL-Jungs hochnäsig mit ihren schicken Anzügen an uns vorbei. Ekelhaft! Ich wollte nie dorthin wechseln.
Wie hat Frank Plagge Sie dennoch überzeugt?
Kragl: Frank hat mich angerufen und gesagt: "Olli, wenn Du wirklich Profi werden willst, solltest Du zum VfL wechseln." Er hat mir gezeigt, dass beim VfL eben nicht nur arrogante Spinner herumlaufen und mir ein gutes Konzept vorgelegt. Deshalb habe ich eingelenkt.
Wie sah dieses Konzept aus?
Kragl: Frank hat eine C-Jugend-Mannschaft aufgebaut, die mit 12- und 13-Jährigen, also jüngeren Spielern, gespickt war. Das Konstrukt lief damals als C3 beim VfL, wir haben uns aber schon mit den älteren Jahrgängen gemessen. Das hat mich damals weitergebracht.
Wie ging es beim VfL weiter?
Kragl: Ich habe ungefähr zwei Jahre unter Frank gespielt und während meiner Zeit in der VfL-Jugend gemerkt, dass ich großes Potenzial habe. Ich wurde auch in die Niedersachsenauswahl berufen, für die U-Nationalmannschaft hat es aber leider nie gereicht. Toni Kroos oder Konstantin Rausch waren in meinem Jahrgang noch ein bisschen besser (lacht). Als ich 16 Jahre alt war, wollte Wolfsburg mich nicht mehr haben und ich war kurz davor, wieder zu einem Dorfverein zu wechseln, in dem meine Kumpels gespielt haben.
Was passierte stattdessen?
Kragl: Ich habe zwei Jahre lang in der B2 gespielt, weil ich für die B1 angeblich zu schlecht war. Dann kam Christian Benbennek und übernahm die A-Jugend-Bundesligamannschaft. Er hat dem damaligen Jugendleiter Peter Jansen klargemacht, dass er mich unbedingt halten möchte. Am letzten Spieltag kam Peter Jansen auf mich zu, nachdem ich gegen Hannover 96 ein geiles Freistoßtor geschossen hatte. Er sagte: "Olli, komm bitte mal in mein Büro." Als ich nach dem Duschen bei ihm auftauchte, legte er mir einen Zweijahresvertrag für die U19 vor. Das war damals übrigens ein Novum beim VfL, weil noch nie ein B2-Spieler sofort den Schritt in die A-Jugend geschafft hat. Das war ein geiles Gefühl! 2008 standen wir im sogar Endspiel um die deutsche Meisterschaft in der heimischen VW-Arena. Das haben wir leider gegen Freiburg verloren. Nach den beiden A-Jugend-Saisons wurde Benbennek entlassen. Er ist dann nach Braunschweig gegangen.
Oliver Kragl: "Pablo, leck mich am Arsch. Ich hau ab!"
Sie folgten ihm nach Braunschweig. Was war der Grund für Ihren Abschied aus Wolfsburg?
Kragl: Der VfL hätte mich gerne gehalten. Ich war als 17-Jähriger für die Amateurmannschaft vorgesehen und hätte bis zu 3000 Euro im Monat verdienen können. Ein stolzes Gehalt, vor allem in diesem Alter. Aber mir hat nicht gefallen, dass der Verein Christian Benbennek, denjenigen, der mich gepusht hat, so scheiße behandelt. Deshalb wollte ich weg. Pablo Thiam, der unter anderem für die zweite Mannschaft beim VfL verantwortlich war, hat mir noch zweimal eine Gehaltserhöhung angeboten. Aber ich hatte meine Entscheidung bereits getroffen und sagte: "Pablo, leck mich am Arsch. Ich hau ab!"
Wie wurden Sie als Wolfsburger in Braunschweig aufgenommen?
Kragl: Sehr gut, da gab es keine Probleme (lacht). Ich habe zunächst für die Amateure unter Benbennek in der Oberliga gespielt. Weil es allerdings bei den Profis in der 3. Liga nicht gut lief, hat Trainer Torsten Lieberknecht mich nach nur sechs Monaten in die erste Mannschaft geholt. Das war eine tolle Geschichte für mich.
Lassen Sie uns teilhaben!
Kragl: Ich war damals noch Auszubildender bei VW. Freitagmittags klingelte mein Telefon, als ich in voller Montur, also in Latzhose und Stiefeln, an meiner Maschine stand. Manager Marc Arnold meldete sich und bat darum, meinen Chef zu sprechen. Ich dachte: "Scheiße, was ist denn jetzt los?" Ich ging zu meinem Chef, gab ihm das Telefon und ging wieder zurück an die Arbeit. Nach zwei, drei Minuten kam mein Boss und sagte: "Olli, Du musst nach Hause. Braunschweig hat bereits mit der Personalabteilung abgeklärt, dass Du bei den Profis mittrainieren sollst." Ich bin sofort nach Hause, habe meine Sporttasche gepackt und bin dann mit dem Zug von Wolfsburg nach Braunschweig gefahren.
Wie haben Sie sich geschlagen?
Kragl: Das war ganz komisch, ich war quasi noch ein kleiner Junge. Ich kannte die meisten Spieler überhaupt nicht. Es lief ganz gut, nach dem Training habe ich mich schnell umgezogen, um meinen Zug zu bekommen. Plötzlich sagte Marc Fitzner: "Du darfst noch nicht gehen, der Trainer hat den Kader für das morgige Spiel noch nicht bekanntgegeben." Ich war natürlich nicht davon ausgegangen, dass ich dabei bin, immerhin hatte ich lediglich einmal mittrainiert. Ich konnte es nicht glauben, als mein Name tatsächlich an der Tafel stand. Ich habe sofort meinen Vater angerufen, um ihm zu sagen, dass ich dabei bin. Meinen Zug habe ich natürlich verpasst, aber das war mir egal.
Wie lief der Spieltag ab?
Kragl: Mein Vater hat mich morgens in aller Frühe nach Braunschweig gefahren. Dort traf sich die Mannschaft in einem Hotel, wir aßen gemeinsam zu Mittag, bevor die Besprechung für das Spiel gegen Carl Zeiss Jena anstand. Torsten Lieberknecht enthüllte die Aufstellung. Linksaußen: Kragl. Ich dachte, ich träume. Ich bekomme gerade eine Gänsehaut, wenn daran denke (lacht). Ich hatte zum damaligen Zeitpunkt noch nie vor so vielen Menschen gespielt. 13.000 Zuschauer waren gekommen. Der Verein hatte nicht einmal ein Foto von mir, das auf der Anzeigetafel hätte gezeigt werden konnte, als die Aufstellung durchgegeben wurde. Alle Leute im Stadion haben sich gefragt: "Wer zum Teufel ist der Typ?" Ein Azubi-Kollege, der bei den Braunschweiger Ultras aktiv war, stand im Block und konnte nicht fassen, dass ich auf dem Platz stehe. Beim Stand von 0:1 bediente mich Benjamin Fuchs mit einer geilen Flanke, ich verarbeitete den Ball mit der Brust und knallte ihn unten links ins Netz. Kurz vor Schluss hat Dennis Kruppke per Elfmeter sogar noch den Siegtreffer erzielt. Alle haben mich gefeiert, es war wirklich unglaublich. Am nächsten Tag erschien in der Bild-Zeitung ein großer Artikel über mich.
Was stand in diesem Artikel?
Kragl: "Ausgerechnet ein Wolfsburger Junge lässt Braunschweig jubeln." Mit einem Mal war ich also etwas bekannter und beim nächsten Heimspiel gegen Jahn Regensburg tauchte auch ein Bild von mir auf der Anzeigetafel auf. Die Zuschauer, die zwei Wochen zuvor noch nie etwas von mir gehört hatten, brüllten meinen Namen lauter als alle anderen. Wieder lagen wir 0:1 zurück, Kruppke traf erneut per Elfmeter und ich schoss das 2:1. Das war das nächste traumhafte Erlebnis. In den anschließenden Spielen war ich ein fester Bestandteil der Mannschaft und größere Vereine erkundigten sich nach mir.
Oliver Kragl: "Braunschweig hat mich scheiße behandelt"
Welche Vereine zum Beispiel?
Kragl: Gladbach hatte Interesse, auch Hoffenheim fragte an. Auf einmal hatte ich jeden Tag hunderte Berater am Telefon. Dann warf mich eine Verletzung leider zurück. Das war extrem bitter.
Mit welcher Verletzung hatten Sie zu kämpfen?
Kragl: Ich zog mir einen Meniskusriss zu, was im Normalfall nicht sonderlich schwerwiegend ist. Aber in meinem Knie sammelte sich immer wieder Flüssigkeit, sodass ich schließlich sechs Monate ausfiel. Wer weiß, wo ich gelandet wäre, wenn der Heilungsprozess besser verlaufen wäre. Als ich wieder fit war, wurde ich zurück in die zweite Mannschaft abgeschoben, was ich ziemlich traurig fand.
Braunschweig stieg 2011 in die zweite Liga auf, Sie machten jedoch zwei Schritte zurück und wechselten in die Regionalliga zu Germania Halberstadt. Was war der Grund?
Kragl: Ganz einfach: Braunschweig wollte mich nicht mehr und hat mich scheiße behandelt. Das wollte ich mir nicht bieten lassen.