SPOX: Herr Hummels, als 17-Jähriger sind Sie im Winter 2007 von der U 19 des FC Bayern in die der SpVgg Unterhaching gewechselt. Weshalb?
Jonas Hummels: Aus Leistungsgründen. In Bayerns A-Jugend wurden damals zwei Jahrgänge zusammengelegt, so dass einige Spieler aussortiert werden mussten. Ich war dann darunter. Ich hatte bei den Bayern zuvor schon zu selten gespielt, um mich weiterentwickeln zu können. Der Wechsel nach Unterhaching war daher folgerichtig und auch alternativlos, da ich zu dem Zeitpunkt in der 11. Klasse war und keine Lust hatte, die Schule und die Stadt zu wechseln.
SPOX: In Unterhaching ging es für Sie von der A2-Jugend Schritt für Schritt nach oben, bis Sie mit 20 Kapitän der ersten Mannschaft in der 3. Liga waren - ohne je ein Drittligaspiel absolviert zu haben.
Hummels: Es war für mich in erster Linie ein tolles Gefühl, wieder wichtig für eine Mannschaft zu sein. So ging es peu a peu weiter, von der U19 über die zweite Mannschaft zu den Profis. Ich war ein Jahr lang bei den Profis im Training mit dabei, kam aber nicht zum Einsatz. Aufgrund finanzieller Schwierigkeiten des Klubs folgte ein großer Umbruch, wir hatten dann eine sehr junge Truppe. Und ich war deren Kapitän.
SPOX: Viele Partien als Kapitän konnten Sie leider nicht bestreiten - im August 2011 rissen Sie sich zum ersten Mal das Kreuzband. Wie haben Sie damals die erste schwere Verletzung in Ihrem Fußballerleben verdaut?
Hummels: Es klingt im Nachhinein irgendwie komisch, aber diese Erfahrung gemacht zu haben, war für mich interessant. Ich wusste nicht, was auf mich zukommen würde, da ich mir zuvor lediglich einen Bänderriss zugezogen hatte und sonst nie verletzt war. Es hieß immer nur: ein Kreuzbandriss bedeute sechs Monate Pause. Mir war aber gar nicht klar, dass ein vollständig gerissenes, vorderes Kreuzband nicht mehr zusammenwachsen würde. Man bekommt stattdessen ein komplett neues Kreuzband als Transplantat in einer großen Operation eingesetzt. Ich lernte neu zu laufen, in den ersten vier Monaten ging erst einmal gar nichts.
SPOX: Und sechs Monate Pause sind's auch nicht geworden.
Hummels: Nein, es hat 13 Monate gedauert. Das Warten auf diesen einen Tag war mental sehr anstrengend, denn zwischen Laufen und Fußballspielen lagen letztlich neun lange Monate. Es dauert einfach. Die traditionellen sechs Monate Ausfallzeit sind in meinen Augen mittlerweile utopisch.
SPOX: Seitdem verfolgt Sie das Verletzungspech, im Juli 2014 folgte der nächste Kreuzbandriss. Die Anzahl Ihrer Pflichtspiele in den letzten fünf Spielzeiten lautet: 4, 1, 14, 20, 4. Wie schwer war das psychisch zu verkraften?
Hummels: Es nervt einfach brutal, wenn man nicht eingreifen und seinen Kollegen nur zuschauen kann. Das Team hat während meiner Pause überraschend auch die Tabellenspitze der 3. Liga erobert. Ich muss ehrlich zugeben, dass es Momente gab, in denen ich mich freute, wenn wir nicht gewonnen haben. Es tat manche Male wirklich weh, wenn du den Jungs beim Jubeln zusiehst und als Außenstehender mit deinen Krücken allein auf der Tribüne hockst - zumindest aus einer rein egoistischen Sicht.
SPOX: Während Ihrer Verletzungspausen tauschte der Verein das eine oder andere Mal den Cheftrainer aus. Obwohl Sie zwischenzeitlich wieder fit waren, kamen Sie nicht zum Zug.
Hummels: Ich hatte das Selbstverständnis, dass ich als Kapitän nach meiner ersten Verletzung zurückkomme und alles wieder so ist wie zuvor. Dass es aber mindestens ein halbes Jahr benötigt, um wieder auf dieses Niveau zu kommen, habe ich etwas unterschätzt. Ich war da sehr stürmisch und vielleicht auch ein bisschen übermütig, weil ich eben voller Tatendrang war und dachte, dass ich auf Anhieb wieder die alte Leistung zeigen kann. Da das aber nicht so war, hatte ich es auch einige Zeit lang nicht verdient, in die Startelf zu rutschen.
SPOX: War der zweite Kreuzbandriss, der Sie die gesamte vergangene Saison gekostet hat, der bislang größte Tiefschlag für Sie?
Hummels: Absolut. Ich hatte dieses eine Jahr, in dem nicht so häufig zum Einsatz kam, obwohl ich wieder fit war. Dann kam Christian Ziege zu uns, unter dem ich die letzten Spiele der Saison gespielt hatte und mich auch so gut wie lange nicht mehr fühlte. Mein Ehrgeiz für die neue Spielzeit war riesig - und dann passierte es wieder. Das war schon deutlich schwieriger zu verdauen als beim ersten Mal. Ich bin ja zwischenzeitlich auch älter geworden.
SPOX: Dann grübelt man, gerade mit dieser Vorerfahrung, noch einmal mehr, oder?
Hummels: Klar. Mir wäre es lieber gewesen, wenn ich nicht auf Anhieb gewusst hätte, was mich nun die nächsten Monate erwarten würde. Das hat mich mürbe gemacht. Mein Elan in dieser zweiten Reha war insofern etwas geringer, als dass ich mir keine Ziele gesetzt habe, bis wann ich die einzelnen Etappen erreichen möchte.
SPOX: Anfang September 2015 ließen Sie eine Arthroskopie an Ihrem Knie vornehmen, um Narbengewebe in Folge der letzten Kreuzband-OP entfernen zu lassen. Wie kam es zu dieser Entscheidung, die Sie ja auch wieder fast drei Monate außer Gefecht gesetzt hat?
Hummels: Nach dem ersten Kreuzbandriss hatte ich diese OP auch schon, allerdings bereits während der Reha. Ich neige offenbar zur Bildung von Narbengewebe, so dass nach der OP eine Narbe im Gelenk auf den Knorpel drückte und einen Knorpelschaden verursachte. Ich konnte mein Bein nicht mehr vollständig strecken, so dass das Gewebe entfernt werden musste. Ende November habe ich endlich für ein paar Minuten mein Comeback geben können.
SPOX: Wie groß ist denn die Befürchtung, dass es bei der nächsten Verletzung mit dem Profifußball vorbei sein könnte?
Hummels: Gering. Sollte mir aber noch einmal etwas derart Gravierendes passieren, werde ich mir diese Frage sicherlich stellen müssen: würde ich mir das alles noch einmal antun wollen? Keine Ahnung. Ich gebe nicht auf, weil mir das Spiel unglaublich viel Spaß macht. Ich bin mir aber bewusst, dass ich mit 25 bereits zwei Kreuzbandrisse und zwei Knorpelschäden hinter mir habe. Ich hoffe einfach, dass ich noch so lange wie möglich spielen kann.
SPOX: Eine Konstante in Ihrem Leben, die auch während Ihrer Leidensgeschichte an Ihrer Seite war, ist Ihr Bruder Mats Hummels. Welches Verhältnis haben Sie zu ihm?
Hummels: Da sich unsere Eltern scheiden ließen, als wir noch relativ jung waren, hatten wir seit jeher einen sehr engen Draht zueinander. Wir haben schließlich unser ganzes Leben zusammen verbracht. Mein Bruder ist mein Kumpel und ein wichtiger Teil meines Lebens. Je älter man wird, desto geringer wird auch der Unterschied, was gemeinsame Interessen angeht. Wir haben auch denselben Freundeskreis und kennen unsere Jungs von klein auf.
SPOX: Diese Kumpels sollen manches Mal offenbar sehr direkt sein und halten nicht lange mit ihrer Meinung hinter dem Berg. Wie kann man sich das vorstellen?
Hummels: Wie in einem ganz normalen Freundeskreis eben. Wir ziehen uns gegenseitig auf, da ist viel Ironie mit dabei. Bei uns geht es auch öfter mal um diese im Fußball allgegenwärtige Heldenverehrung, die wir alle lächerlich finden.
SPOX: Und der hoch dekorierte Weltmeister sitzt mittendrin.
Hummels: Genau. Aber ob da jetzt ein Weltmeister zwischen uns sitzt, ist uns völlig egal. Über den kann man sich genauso lustig machen wie über diejenigen, die nicht Weltmeister sind. Da kommt es schon mal zu einem derben Spruch nach dem Motto: 'Der Mats ist doch genauso dumm wie ich.' (lacht) Jeder teilt aus, jeder kann einstecken. Das ist alles auf Augenhöhe und gleicht sich alles zwischen uns aus.
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