2. Die 49ers und der große Vorteil einer Team-Identität
Als Team hat man eine Identität, oder man hat keine Identität, davon bin ich überzeugt. Und eine solche Identität kann je nach Team in einzelnen Bereichen stärker oder schwächer ausgeprägt sein, aber man erkennt klar die übergreifende Handschrift.
Der klarste Indikator dafür, ob ein Team eine Identität hat und wie stark diese ausgeprägt ist, ist, wie gravierend sich ein Thema durch alle Bereiche der Franchise zieht.
Die San Francisco 49ers sind dafür eines der besten Beispiele in der NFL aktuell. Das ist ein Team, bei dem sich die Identität in Form der Spielphilosophie durch alle Teile zieht: vom Scouting über die Spielerentwicklung, das Roster Building bis hin zum Coaching und Play-Calling.
Was San Francisco sich offensiv über die Jahre zusammengebaut hat, ist eine Unit, die Shanahans Idee von Football eins zu eins verkörpert: eine gute Offensive Line im Run Game, explosive Backs dahinter, und die beste Gruppe an Yards-after-Catch-Spielern in der NFL. Das kombiniert mit dem wohl besten Run Game und Underneath Passing Game Designer in der NFL sorgt für eine Offense, die nicht nur eine klare Handschrift hat, sondern die auch Spiele mit sehr durchschnittlichem Quarterback-Play gewinnen kann, ein riesiger Vorteil.
Kein Team über die letzten Jahre ist konstanter was Yards nach dem Catch angeht - Garoppolo führte die Liga 2019 und 2021 in Yards nach dem Catch pro Completion an, und ging mit fast einem vollen Yard auf den Zweitplatzierten Vorsprung in diesen Spieltag - bis zu dem Punkt, dass die Niners bisweilen offensiv ein anderes Spiel spielen als andere Teams.
Niners: Offense und Defense gehen Hand in Hand
Und auch defensiv erkennt man eine klare Philosophie, die sich durch die angesprochenen Bereiche - Scouting, Spielerentwicklung, Roster Building, Play-Calling - zieht: das ist ein Team, das über Jahre hohe Ressourcen in seine Defensive Line investiert hat, das einen der besten Defensive-Line-Coaches in der NFL hat, und das mit seinen Linebackern und Safeties insbesondere im Zentrum stark besetzt ist.
Wenn dann also die Defensive Line eine gegnerische Offense eindimensional macht, und der Ball viel im Kurzpassspiel bewegt werden muss, sind mehr als genügend hochqualitative Spieler bereit, um auf diese kurzen Pässe zu triggern und zu tackeln. Den Ball auf diese Art und Weise zu bewegen ist sehr mühsam.
Und so arbeiten beide Teile sogar Hand in Hand. Die Offense, die in der Lage ist, lange Drives hinzulegen - und die Defense, die anschließend eine ähnliche Geduld vom Gegner erzwingt. All das verpackt in den übergreifenden Aspekt, dass man auf beiden Seiten des Balls die Line of Scrimmage gewinnen, wenn nicht sogar dominieren kann.
Die 49ers und die Garoppolo-Lance-Entscheidung
All das sind Dinge, die San Francisco einen sehr hohen Floor geben. Die den Niners in vielen Spielen eine Chance geben - selbst wenn man den schlechteren Quarterback auf dem Platz hat. Es ist kein Zufall, dass Garoppolo bei 10 Siegen und nur 2 Niederlagen steht, in Spielen, in denen er selbst keinen Touchdown aufgelegt hat - der beste Record für einen Quarterback in solchen Spielen in der Super Bowl Ära.
Mit Garoppolo ist es eine gut geölte Maschine, die zwar immer ein gewisses Defizit auf der Quarterback-Position mit sich trägt, aber die funktioniert.
Es kann für Shanahan nicht einfach gewesen sein, diesen mühsam aufgebauten Floor ins Wanken zu bringen, indem man mit Trey Lance auf einen physisch fraglos viel talentierteren, aber gleichzeitig auch viel roheren Quarterback setzt. Und so wie diese Saison läuft, und falls die Niners einen erneuten Playoff Run hinlegen, wird es eine sehr spannende Entscheidung sein, ob man mit Lance weitermacht - und dann Garoppolo unweigerlich ziehen lässt - oder ob man Garoppolo einen neuen Vertrag gibt und Lance ins zweite Glied - oder auf den Trade Block - rückt.
Wie viele Teams können eine Identität entwickeln?
Doch das ist eine Diskussion für einen anderen Tag. Denn je länger ich mich mit den Niners hierfür beschäftigt habe, desto präsenter wurde in meinem Kopf die Frage danach, welche anderen Teams auch qualitativ ähnlich gut darin sind, eine Identität zu entwickeln.
Die Chiefs sind eine offensichtliche Antwort hier, ein Team, das seit Jahren zwar eine explosive Offense um Mahomes herum aufbaut, das aber seine Premium-Ressourcen in die Offensive Line steckt, um Mahomes zu schützen - mit einer Defense, die auf Aggressivität ausgelegt ist, um die stets punktstarke Offense zu ergänzen.
Ich würde hier auch die Titans nennen, mit ihrem Fokus auf einer physischen, dominanten Defensive Line, die Spiele eng halten soll, damit die Offense mit dem Run Game gewinnen kann. Die Bills und Eagles haben jetzt ebenfalls über mehrere Jahre gezeigt, dass sie sukzessive ein Team entwickeln und mit einer klaren Vision aufbauen können.
Aber die Liste dieser Teams ist kurz. Und in einer Liga, die auf Chancengleichheit ausgelegt ist, werden die Unterschiede zwischen den Teams, die hier positiv herausstechen, und den Teams, die häufiger Entscheidungen im Vakuum zu treffen scheinen, umso deutlicher.
Team-Kultur für die entscheidenden Prozentpunkte?
Wenn wir von der "Kultur" eines Teams sprechen, dann spielen da zusätzlich sehr viele Soft Skills mit rein, die wir von außen quasi nicht bewerten können. Wie wird intern mit einem Tief umgegangen? Wer sorgt dafür, dass Spieler zur Verantwortung gezogen werden? Wer führt, wer unterstützt, wer steuert dagegen?
Wir bekommen maximal die Resultate all dieser Fragen zu sehen, in Form der Antworten auf dem Platz. Und auch hier ist natürlich Vorsicht geboten, denn manchmal gewinnt auch einfach individuelles Talent, und überspielt so die Risse hinter der Fassade.
Ich halte es für einen vergleichsweise guten Maßstab, darauf zu schauen, wie Teams mit Rückschlägen im Spiel umgehen. Ist ein Selbstverständnis zu beobachten, eine Geschlossenheit? Oder fällt man aus einem negativen Moment in eine Abwärtsspirale?
Diese soften Faktoren beschreiben nicht den Unterschied zwischen einem guten und einem schlechten Team, wie bei so vielen Diskussionen geht es auch hier letztlich um ein paar Prozentpunkte. Doch diese Prozentpunkte können den Unterschied ausmachen.